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Konny fühlt sich diskriminiert und auf Schulanfänger zurückgestuft. Dazu muss man wissen, dass Konny zwar Hartz IV bezieht, sich aber nebenbei den angemeldeten 450-Euro-Job selber finanziert, wie viele andere auch. Er ist nämlich selbstständig auf geringfügiger Basis. Konny hat einen Hausmeisterservice angemeldet und träumt seit langer Zeit von einer selbstständigen Existenz mit einem Imbisswagen.
Seine Lebensgefährtin hat eher gemischte Gefühle – bei ihr herrscht die Angst vor. Konny meint nur: "Ich will nicht ewig Hartz IV beziehen." Und so geht er Hecken schneiden und Gehwege fegen, drückt den Löwenanteil an die Jobbörse ab und fummelt an seinem Imbisswagen herum. Er hat sich Geld geliehen von seinem Bruder, sich eine gebrauchte Imbisswagenruine zugelegt, und in jeder freien Minute hat er das Teil wieder auf Vordermann gebracht – von handwerklichen Sachen versteht er nämlich einiges. Jetzt hat er die ersten Probeeinsätze hinter sich, ebenso den ersten Frust – am Anfang verkaufte er nicht mal so viel, wie die Standgebühr ausmacht. Außerdem muss man sich bei den Veranstaltern bewerben, und das kann dauern. Aber langsam geht die Kurve nach oben, Konny sieht Land, obwohl er noch draufzahlt gewissermaßen. Aber er ist Diabetiker und 55 Jahre alt – der erste Arbeitsmarkt ist praktisch eine außerirdische Plattform für ihn.
Trotz seines Engagements muss Konny eine "Maßnahme" bei der Arbeitsagentur mitmachen – und das behagt ihm nicht. Er hat es nicht so mit abstrakten Dingen, er greift lieber zu. Und dann legen die ihm da so einen Arbeitsbogen mit einer Aufgabe vor: er soll Wörter einfügen, die auf einer Leiste oben stehen. Konny sieht sich das kurz an und sagt dann "nein". Er weigert sich, das zu machen. Zur Kursleiterin sagt er: "Wieso sollen wir so ein Zeug machen, das in die dritte Hauptschulklasse gehört? Würden Sie Ihre Eltern so einen Blödsinn machen lassen?" Die Leiterin könnte vom Alter her Konnys Tochter sein und versteht nicht, wieso ihn das noch mehr erbittert. Zwar bleibt sie ihm die Antwort schuldig, aber sie macht Druck. Sie droht mit Sanktionen, weil Konny sich der Zurückstufung verweigert. Und das kann sie – es ist ihr Recht. Die Teilnahme an der Maßnahme, so betont sie, wäre ja freiwillig. Dann ist sie beleidigt, weil Konny und auch die anderen Teilnehmer lachen.
Es kann nicht oft genug gesagt werden: diese Maßnahmen der Arbeitsagenturen kosten sehr viel Geld und sind meist verschwendete Zeit. Es geht hier um die "Stückzahl" der Teilnehmer – sonst um nichts. Finden drei der Leute einen Arbeitsplatz, gilt das als hervorragende Quote. Diese müssen die Bildungsträger aufweisen, um weitere Aufträge von der Kommune oder der Stadt zu bekommen. Aber die drei kommen wieder – meist werden sie in befristete Jobs gestopft oder in solche, die eine Zuzahlung nötig machen. Meist sitzen sie schnell wieder auf der Straße. Wieso nun Menschen gezwungen werden – die stark damit beschäftigt sind, sich allen widrigen Umständen zum Trotz eine Existenz aufzubauen – dort dümmliche Tests und immer und immer wieder dieselben Dinge zu tun, ist nicht nachvollziehbar.
Leute wie Konny sind empfindlich, was ihre Würde betrifft. Es kostet sie sehr viel, nicht an den Umständen zu verzweifeln. Und dann kommt jemand und legt einem einen Test vor die Nase. Jemand kann einen zwingen, die Intelligenz prüfen zu lassen – mit einer Aufgabe, die in die Grundschule gehört. Hier wird es tatsächlich Zeit, dass man sich weigert. Und Konny hat es nun getan, was ihn einiges von dem knappen Geld kosten wird. Er wurde unter Androhung von Kürzungen in diese Maßnahme gezwungen – dann wollte man ihn zwingen, seine Würde zu verlieren ... jedenfalls in seinen Augen.
Wiederum fragt man sich, wieso lässt man sich die Gängelung von Konny so viel kosten? Was glaubt man, damit erreichen zu wollen? Wenn Konny aufgibt, ist er nicht der alleinige Verlierer – denn er wird keine Arbeit mehr bekommen in irgendeinem Betrieb. Außer vielleicht in einem, der auf halblegale Weise Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Die Arge wird auf jeden Fall dann völlig für ihn aufkommen müssen. Was bleibt, ist die Befriedigung einiger Leute, die es diesem renitenten Hartzer so richtig gezeigt haben. Für solchen Unsinn ist die Lage in Deutschland aber zu prekär.
Die Person Konny ist nicht fiktiv – die Szenen auch nicht. Dies ist nur ein kleiner Abriss aus dem schönen "Hartz".
© "Konny macht einen Aufstand": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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