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In einem bestimmten Land gab es einmal viele reiche Leute, die das Sagen hatten. Denen gefiel das so, denn sogar der Kanzler und seine Minister hatten gar nichts dagegen einzuwenden, und jeder war zufrieden. Ein Geschenk hier, ein Gefallen da – so hielt sich alles im Gleichgewicht und niemand hatte große Probleme. Aber die reichen Leute wollten noch viel reicher werden, denn sie hatten so großen Spaß daran gefunden, dass sie gar nicht mehr damit aufhören konnten. Natürlich brauchten die Reichen in diesem Land auch Leute, die für sie arbeiteten. Das taten auch viele Einwohner, denn wenn es auch viele Reiche gab, so gab es doch viel, viel mehr Arme.
Denen, die arbeiteten, musste natürlich Lohn gezahlt werden, wenn auch nicht besonders viel. Und das ärgerte die Reichen immer mehr. Sie suchten nach einem Weg, wie sie ihr Geld für sich behalten konnten und trotzdem nichts selber tun mussten. Da kam jemand auf eine wirklich tolle Idee. Es gab nämlich auch Menschen, die hatten gar nichts. Niemand hatte sich groß um sie gekümmert, man gab ihnen ein wenig von dem ab, was man hatte, und dafür galt man dann als großherziger Mensch. Was sie bekamen, diese ganz Armen, war eben genug, um ihr Leben zu fristen und nicht zu verhungern oder zu erfrieren, aber dafür galten sie nichts und wurden beschimpft, wo immer sie sich sehen ließen.
"Aber", so dachten sich die Reichen und die Herren des Landes, "zu irgendetwas müssen die doch gut sein. Die muss man doch auch zu etwas gebrauchen können." Und mit dem Blick auf ihre Goldschatullen heckten sie einen Plan aus. Den ganz armen Menschen sagten sie: "Ihr seid die längste Zeit faul gewesen und habt auf unsere Kosten gelebt, jetzt wollen wir unsere Investitionen zurückhaben. Die werdet ihr jetzt abarbeiten, jawohl. Tut ihr das nicht, bekommt ihr nichts mehr von uns. Und bedenkt, dass der Winter vor der Tür steht."
Da konnten sich die Leute nicht wehren, sie mussten wohl oder übel für die Reichen arbeiten. Sie schufteten wie die anderen auch, aber weil sie so arm waren, bekamen sie viel weniger Geld dafür. Das gefiel den Reichen natürlich sehr, denn da konnten sie sehr viel Geld sparen und sich viele schöne Dinge kaufen. Den anderen Arbeitern gefiel das überhaupt nicht, sie machten sich über die Hartzelmännchen – so nannte man die zu Frondiensten gezwungenen Arbeiter mittlerweile (wahrscheinlich hing das mit der Hartzkrämerei der Regierung zusammen) – lustig und schikanierten sie nach Herzenslust.
Aber der Spaß dauerte nicht lange, denn die Herren der Fabriken waren so begeistert von ihren Einsparungen, dass sie sich fragten, wieso sie überhaupt jemandem mehr bezahlen sollten als den Hartzelmännchen. Zwar durften sie nicht einfach so alle Leute aus dem Betrieb werfen – obwohl sie das natürlich gerne getan hätten – denn da gab es Bestimmungen. Die schienen ihnen zwar unnötig – aber die Regierung bestand darauf, weil das besser aussah und weil es ja bald wieder Wahlen geben würde. Also mussten die Reichen listig vorgehen. Sie entließen so viele Arbeiter, wie sie konnten, ohne dass es auffiel, und holten sich immer mehr Hartzelmännchen dafür.
Sie hofften, dass es bald nur noch Hartzelmännchen geben würde, und dass sie niemals mehr viel für die geleistete Arbeit zahlen müssten. Und es sah aus, als sollte ihr Plan aufgehen. Es gab im Land nur noch Reiche und Hartzelmännchen, dazwischen gab es gar nichts mehr. Natürlich war da noch die Regierung, aber die zählte nicht, weil sie keine Ahnung hatte, was sie nun tun sollte. Die fleißigen Hartzelmännchen nun arbeiteten verbissen weiter, weil sie dachten, dass sie selber schuld an ihrer Armut seien und dass es ihnen recht geschähe.
Wer weiß, wie das ausgegangen wäre, wenn da nicht einige der Männchen angefangen hätten, sich zu fragen, wieso sie eigentlich selber Schuld haben sollten. Und sie fragten die anderen, und die fragten wieder andere – bis auf einmal alle diese Frage stellten. Die Reichen kriegten das nicht mit, weil sie ständig beim Einkaufen waren oder sich auf sonnigen Inseln ausruhten. Und dann hörten die Hartzelmännchen auf mit der Fronarbeit und fragten den Kanzler und die Minister, aber die schämten sich ein wenig (wahrscheinlich, weil sie sich ertappt fühlten).
Die Hartzelmännchen wurden nun alle sehr böse und sagten der Regierung, dass sie nicht wählen gehen würden, wenn das nicht wieder in Ordnung gebracht werden würde. Und so mussten sich der Kanzler, die Minister und die Reichen zusammensetzen und beraten. Selbstverständlich waren auch Vertreter der Hartzelmännchen dabei, um aufzupassen, dass niemand mogelte – und nach vielen Wochen gab es einen neuen Wirtschaftsplan und viele neue Bestimmungen. Das waren aber solche, die dafür sorgten, dass niemand zu kurz kam. Die Reichen blieben reich, wenngleich sie wieder richtige Löhne zahlen mussten. Sie mussten auch mehr Leute einstellen, so dass es weniger ganz Arme gab und dafür mehr richtige Arbeitnehmer. Die Regierung wurde wieder gewählt, nachdem sie Besserung gelobt hatte.
Eigentlich war es ganz gut so, nur einige Reiche seufzten und dachten an die schöne Zeit mit den Hartzelmännchen zurück.
© "Das Märchen von den Hartzelmännchen" von Izabel Comati (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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