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Die ersten etwas wärmeren Tage, und in vielen Straßen steht man wieder – wie in der guten alten Zeit – am Gartentürlein und unterhält sich. Und Passanten erfahren so ungewollt das eine oder andere – meist Dinge, die sie eigentlich nicht hören wollten. "Die kriegen mehr als wir, die kriegen ja alles bezahlt", ereifert sich da ein Pensionär. Die ebenso im Alter fortgeschrittene Dame hat ihre Einkaufstaschen abgestellt und nickt dazu in tadellosem Takt. "Die sollten lieber arbeiten geschickt werden, die wissen doch gar nicht, was das ist: 'Arbeit'."
Ein älterer Passant, der gerade von einem "pro Forma Vorstellungsgespräch" kommt, zieht schaudernd die Schultern hoch und geht rasch weiter. "Pro Forma" heißt das, weil jeder im Vorfeld weiß, dass er nicht eingestellt wird, wenn gewisse Komponenten zusammenkommen. Und durchaus nicht "Faulheit – Desinteresse – Kriminalität", sondern eher "Alter – Gesundheit – Immobilität". Aber der Rentner läuft keine Gefahr, dass der Passant stehen bleibt und so etwas wie aufklärerische Arbeit leisten will, denn er weiß es wohl nicht besser. In seiner besten Zeit waren Gut und Böse durchaus noch säuberlich getrennt – also im Klartext: solche, die arbeiten wollen, und solche, die das nicht wollen. Er ist nicht in der Lage, da umzudenken. Außerdem ... er kommt kaum mit seiner Rente zurecht.
Aber es gibt auch jüngere Unbelehrbare. Solche, die nachplappern und sich immer und immer wieder darüber aufregen, dass "die Hartzer alles bezahlt kriegen ... und dann noch Kindergeld kassieren". Diesen Leuten (meist in mittlerer Position) kann nichts erklärt werden – sie sind auf beiden Ohren völlig taub. Da kann noch so erläutert werden, dass kein Hartz-IV-Bezieher Kindergeld bekommt, weil eben das angerechnet wird – man glaubt es einfach nicht. So mancher Verzweifelte legt diesen Leuten (oftmals Verwandte) sogar den Bescheid über gezahlte Leistungen vor, damit endlich Ruhe ist – aber auch dann zeigt sich, dass beide Augen blind sind.
Es gibt natürlich auch kleine und schöne Momente im Leben eines auf staatliche Hilfe angewiesenen Menschen – so kann es vorkommen, dass so mancher Berufstätige sich weigert zu mobben, einfach weil er weiß, dass es meist nur Glück war, dass er Arbeit hat und der andere nicht. Noch schöner ist, wenn eben dieser denkende Bürger das auch laut sagt – leider sind solche Erlebnisse sehr selten. Ausländer und Migranten halten sich meist fern vom harten Kern der Vorgartenidylle, sie haben ihre eigene Szene und vermeiden jeden Ansatz von Integration, was man ihnen kaum verdenken kann. Aber an ihre Stelle rücken nun die Mitbürger, denen stillschweigend die Bürgerrechte aberkannt worden sind, weil sie nicht in der Lage sind, für ihr Leben selber aufzukommen. Wobei bemerkt werden sollte, dass Schließungen von Firmen, plötzliche chronische Krankheiten oder Entlassung wegen Arbeitsmangel nicht in deren Verantwortung liegt. Aber das will man ja nicht wahrhaben, denn wenn "die da" nicht selber schuld sind ... dann könnte es ja auch einen selber treffen. Die Angst davor wird unter Häme versteckt.
Und dann kommt es zu Szenen wie dieser: einer steht in der Schlange an der Kasse und hinter ihm zischelt ein Nachbar: "Die kaufen ja von unserem Geld ein." Zustimmendes Gemurmel und keine Chance auf ein Entkommen, weil die Schlange sehr lang ist an diesem Tag. Der so Betratschte dreht sich dann ruhig um, zückt seinen Geldbeutel und fragt ruhig und mit leiser Stimme den Herrn mit der Angst um sein Geld: "Was bin ich Ihnen schuldig?" Spürbarer Rückzug des von der Armutsangst verfolgten Mannes, dieser verlässt die Schlange und reiht sich weiter hinten wieder ein. Die Beifallsflüsterinnen betrachten angestrengt die Warengondeln mit Süßem und Tabak, die entlang dem Kassenweg aufgebaut sind. Einer lacht, ein anderer klatscht. Alltag in Merkelland, Bundesland Hartz.
Alle Personen sind nicht fiktiv – die Szenen auch nicht. Dies ist nur ein kleiner Abriss aus dem schönen Bundesland "Hartz".
© "Ignoranten und Unbelehrbare: Auf beiden Ohren taub": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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