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Allenthalben hört man Beschwerden – oder besser gesagt, hörte man. Und zwar darüber, dass schon im Spätsommer Weihnachtssachen in den Läden zu sehen waren. Das betraf durchaus nicht die vielen Geschenkeshops, die es gibt, sondern auch die großen Lebensmittelketten.
Amüsiert hat so mancher den Kopf geschüttelt beim Anblick von schokoladeüberzogenen Lebkuchenherzen und Christstollen – man trug ja auch noch keine Wintersachen. Das Murren ging soweit, dass auf einer Internetplattform jemand in etwa sagte: "Ihr fühlt euch doch nicht von ein paar Keksen bedroht ... es gibt nun wirklich größere Probleme."
Der Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf ... schließlich gehörte ich auch zu den Meckerern. Der Beitrag brachte es auf den Punkt – nicht, dass es größere Probleme gibt als das ... das steht ja außer Frage – aber wahrscheinlich fühlten sich diejenigen, die "not amused" über den allzu frühen Weihnachtsbazar samt Korinthen und Marzipan waren, tatsächlich bedroht.
Das klingt zwar lustig – aber der Hintergrund ist es wahrscheinlich nicht. Ab einem gewissen Alter, wahrscheinlich wenn man als erwachsen gilt, also so um die zwanzig herum, sind die Jahre nicht mehr so lang wie in der Kindheit. Längst ist man angepasst und, sozusagen, auf den Schnellzug aufgesprungen. Zeit wird zu einem künstlich hergestellten bzw. heraufbeschworenen Element, das außer Kontrolle gerät. Es gibt eine alte Zeichnung, die einen Mann zeigt, der von dem Zeiger einer riesigen Uhr aufgespießt wird – das hat immer noch Gültigkeit. Allerdings handelt es sich heute weniger um Uhrzeiger, sondern um weitaus technischere Varianten. Vielleicht wäre ein Mensch, der in den Bildschirm seines Tablets eingesogen wird, zeitgemäßer.
Aber – und hier bemühen wir wieder einmal unsere frühe Geschichte – für eine Hetze, die jeden natürlichen Rhythmus aushebelt, sind wir Menschen eigentlich nicht gemacht. Ohne Schichtarbeit geht es kaum noch – aber auch ohne sie leiden fast alle Menschen an chronischer Überforderung, neudeutsch "Burnout-Syndrom" genannt. Zu viel muss zu schnell erledigt werden – ist dem selten einmal nicht so, setzt man sich selber unter Druck. Menschen, die in aller Frühe mit schlaftrunkenen Kindern zum Kindergarten hetzen und danach zur Arbeit, nach dieser wieder zum Hort und dann nach Hause, wo sich das Hamsterrad weiterdreht. Arbeitslose spüren diesen Druck ebenso – gekoppelt mit Schuldgefühlen – obwohl sie sich scheinbar nicht nach der Uhr richten müssen. Aber für jeden ist ein Tag viel zu kurz, um alles, wirklich alles zu erledigen, das eben erledigt werden sollte. "Sollte" heißt im Übrigen nicht "muss". Eigentlich könnte man viele dieser "sollte" durch "könnte" ersetzen – aber das sehen wir Getriebenen nicht mehr.
Für alle, die sich im ultimativen Schnellzug befinden – also die Mehrheit der erwachsenen Menschen in den Industrienationen – gibt es nicht viele legale Parkbuchten für die Seele. Selbst am Wochenende oder im Urlaub dreht sich das Rad eben im Kopf, auch wenn man so lang, wie man ist, auf der Couch fläzt. Da ist ein wirkliches Fest, so wie nun einmal Weihnachten, ein Punkt, an dem Sehnsüchte festgemacht werden. Das resultiert aus der Zeit, als diese Tage die Hoffnung auf Licht und Wärme in absehbarer Zeit brachten. Die christliche Variante bedeutet eigentlich nichts anderes. Aber gleichgültig, ob man nun Christ oder Heide ist – diese Zeit bringt eine Saite zum Schwingen – ganz unwillkürlich. Mehrere Tage hintereinander, in denen es vor allem um das Zusammensein, um Lichter, Geschenke, Wärme und Freude geht – das ist ein Wellnesspaket für das Gemüt. Selbst wenn es nie so schön wird wie in der Erwartung – es ist ein Highlight des Jahres, auf das man sich freuen kann. Es hat etwas Zauberisches, und ab einem bestimmten Punkt im Jahr ist dieses Fest das größte Ziel.
Wieso freut man sich dann nicht unbändig, wenn die Nikoläuse und Printen schon im Spätsommer in den Regalen liegen, neben den Lichterketten? Weil man sich hier – gerade hier – nicht hetzen lassen will. Die Vorfreude darf nicht zum Normalzustand werden, sonst gerät sie zur bloßen Seelendekoration und verliert den Glanz – eben den, der uns so fehlt auf dem Laufband des Alltags. Die Kekse selber werden schon sehen, was sie davon haben an Weihnachten :-)
© "Weihnachten und die bösen Kekse": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Weihnachtsteller, CC0 (Public Domain Lizenz).
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