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(Febr. 2013) Wenn an deutschen Stammtischen darüber diskutiert wird, welche Spieler der Männerauswahl des Deutschen Fußball-Bundes das Kabinenluder Angela nach dem nächsten Länderspiel besuchen können sollte, so wird da häufig mehr Fachwissen versprüht, als wenn sich Politiker und Journalisten zu dem Komplex Schule äußern.
Wer hat den Begriff Frontalunterricht noch nicht gehört oder gelesen? Das muss doch etwas ganz Schlimmes sein, womit fiese Lehrer Schulkinder quälen. Oft wird jeder lehrergeleitete Unterricht als Frontalunterricht abgetan. "Die Kinder sollen doch am Computer lernen, das macht doch viel mehr Spaß!", äußerte Fritz Kuhn einst noch zu Sabine Christiansens Zeiten. Dass weder Lehrprogramme, noch "Lernmaschinen" oder gar Lernsoftware bislang Lehrer ersetzen konnten, muss den Politiker ja nicht interessieren.
Nachdem das Wort in der Diskussion über die Schule schon zum Schimpfwort aufgebläht worden war, tauchten gegen Ende des Jahres 2012 auf einmal positive Anmerkungen dazu auf. So auch Frontalunterricht macht klug von Inge Kloepfer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.12.2012. Auch da wird lehrergeleiteter Unterricht durchweg gleichgesetzt mit frontal; selbst von einem Bildungsökonomen, der sich mit Unterrichtserfolgen beschäftigt.
Journalisten und Wissenschaftler fügen sich also in die modegemäße Verwendung eines Schlagwortes und entwerten dadurch ihre eigenen Aussagen.
Das Wort Frontalunterricht umschreibt nur eine von vielen Sozialformen des Unterrichts. Genauer gesagt, eine Form des Unterrichtsgesprächs, die allerdings schon vor fast dreihundert Jahren und lange vor der Prägung des Begriffes nicht als bestmögliche Unterrichtsführung angesehen wurde: "Den Sinn der sokratisch heuristischen Methode spricht die brandenburgisch-lüneburgische Schulordnung von 1732 klar aus: 'Es gehöret ... zu den allgemeinen Regeln der Unterweisung überhaupt, dass man die Beurteilungskraft der Lernenden gleichsam herauszulocken und sodann zu unterhalten und zu stärken bemüht sei. Dies geschieht sonderlich durch allerhand Fragen, in welchen man dasjenige, was in ganzen zusammenhängenden Sätzen vorgetragen worden war, zergliedert ... es werden Einwürfe gemacht, ein Schüler über des andern seine Antworten zu urtheilen aufgefordert.'
Die Form des Gesprächs also wird in methodische Gestalt gebracht und als die Lösung des Unterrichtsproblems angesehen. Die große neue Kunst ist die Fragekunst des Lehrers, in der sich Pfarrer wie Lehrer fleißig üben. In der Theorie ist man sogar schon, wie die oben zitierte Stelle zeigt, zur aktiven Teilnahme der Schüler fortgeschritten. In der Praxis hat sich aber, wie auch die zeitgenössische Kritik beweist, fast immer eine mehr oder weniger geschickte Fragekette des Lehrers ergeben, der die Schüler von Glied zu Glied folgten, ohne wohl immer den Sinn und Zusammenhang des Ganzen zu erfassen." (Blättner, Fritz: Die Methoden des Unterrichts in der Jugendschule. Beltz, Weinheim, 1966, S. 65).
Man beachte den Unterschied zwischen Theorie und Praxis! Es war wohl diese "Praxis", die Petersen meinte, als er den Begriff "Frontalunterricht" prägte. Der Reformpädagoge Peter Petersen (1884–1952), Begründer der Jena-Plan-Pädagogik, wollte keine Klassenzimmer mit in Front zur Tafel ausgerichteten Bänken. In seiner "Schulwohnstube" gab es für die Schüler Stühle. Gespräche für alle wurden im Sitzkreis abgehalten. Der Lehrer saß mit im Kreis, hatte aber den Auftrag, die Gespräche vorzubereiten und zu leiten!
Alois Roth zeigt als äußeres Merkmal des Frontalunterrichts auf, dass das Frage-Antwort-Spiel immer vom Lehrer zu einem Schüler und wieder zurück zum Lehrer laufe. "Der Schüler hat die Anstöße, die der Lehrer gibt, in Form von Antworten an ihn zurückzugeben. Er hat nur so viel und so weit zu denken, als die Lenkungsmaßnahmen des Lehrers gestatten. Unter den Schülern besteht unterrichtlich gesehen kein unmittelbarer Kontakt. Die Klasse ist eine Summe von Einzelindividuen." (Roth, Alois: Die Elemente der Unterrichtsmethode. List, München, 1967. S.108 ff.). Roth spricht dieser Sozialform des Unterrichts auch Vorteile zu. Unter anderem, dass er das Erreichen eines Minimums an allgemeinen Bildungsaufgaben garantiere. Zudem sei Frontalunterricht zeitsparend, und wo dies nicht auf Kosten der Bildungswirkung eingelöst werde, sei er nicht unbedeutend.
Nachteile sind nach Roth, dass diese Unterrichtsart zu einer Nivellierung auf das Niveau des Durchschnitts führe, was bei den Begabteren zu Leerlauf und Langeweile führe und durch die passive Aufnahme wenig Bildungswirksamkeit erziele.
Die Reformpädagogen lehnten die Gängelung durch Lehrerfragen ab. Berthold Otto (1859–1933) erhob die Schülerfrage zur treibenden Kraft in seinem "Freien Gesamtunterricht". Auch Hugo Gaudig (1860–1923) sah es so: "Die Frage des Lehrers ist das fragwürdigste Mittel der Geistesbildung", und: "Der Fragetrieb, mit dem das Kind in die Schule kommt, ist eine lebendige Kraft, die alle Pflege verdient." (Zitiert nach Blättner, ebenda).
Auf Gaudig geht der Begriff Freies Unterrichtsgespräch zurück. Hier soll der Lehrer möglichst überhaupt nicht fragen und so wenig wie möglich in die Kommunikation der Schüler eingreifen. Grob gesehen gibt der Lehrer anfangs eine möglichst provozierende Problemstellung – die Schüler formulieren aus sich heraus die Zielfrage, äußern Lösungsvorschläge, überprüfen diese und erarbeiten gemeinsam die Lösung.
Hier haben Schülerinnen und Schüler mehr Raum zum eigenständigen Denken. Schwächere können von Stärkeren angeregt werden. Aber diese Unterrichtsform benötigt aber auch mehr Zeit. Weshalb seitens der Lehrberechtigten darauf geachtet werden muss, dass diese Zeit sich auch lohnt. "Der größere Zeitaufwand, den jedes Unterrichtsgespräch gegenüber den rein darstellenden und entwickelnden Lehrformen benötigt, ist nur zu rechtfertigen, mit einer größeren Wirkungstiefe dieser Unterrichtsform. Wird aber aus dem Gespräch ein innerer Leerlauf, ein fragwürdiges und zielloses Herumraten unwissender Kinder, dient es nur zur Befriedigung persönlicher Motive ... oder verliert es sich in oberflächliche Redensarten und Unterhaltung, so ist der Verlust immer ein doppelter: Es bedeutet Erziehung zur Oberflächlichkeit und ist zudem ein bedauerlicher Verlust an wertvoller Unterrichtszeit." (Stöcker, Kurt: Neuzeitliche Unterrichtsgestaltung. Ehrenwirth, München, 1970, S.245). Die genannten negativen Begleiterscheinungen und andere zu vermeiden, ist Aufgabe der Lehrpersonen.
Ich habe von 1966 bis 1969 an der damaligen pädagogischen Hochschule Kaiserslautern für das "Lehramt an Grund- und Hauptschulen" studiert und von 1969 bis 2001 an Hauptschulen unterrichtet. Während des Studiums und auch in den drei Jahren Fortbildungspflichtzeit zu Anfang der praktischen Tätigkeit galt das "Freie Unterrichtsgespräch" als Hauptbestandteil guten Unterrichts und musste in Vorführ- und Prüfungsstunden demonstriert werden. Natürlich war es peinlich, wenn da die süßen Kleinen gerade ihre lebendige Kraft des Fragetriebs zuhause gelassen hatten und schon die Zielfrage seitens des Lehrers geäußert werden musste.
Das "Freie Unterrichtsgespräch" ist anstrengend und bis es laufen kann, muss erst mal vieles aufgebaut werden. Unabdingbar ist Vertrauen; sowohl zwischen Lehrkräften und Schülern als auch unter den Schülern. Es muss oft erst durchgesetzt werden, dass kein Beitrag bespottet oder belacht wird. Fange ich mit einer Klasse oder Gruppe neu an, ist das erste Abtasten wohl ein "frontales" Hin und Herfragen. Man lernt sich kennen und dann kann sich der Unterricht immer mehr in die Richtung des "Freien Unterrichtsgesprächs" entwickeln. Ich habe mit Unterrichtsgesprächen viel Ärgerliches, aber auch sehr viel Schönes erlebt, aber die reine Höchstform nie erreicht. Diese betrachte ich als richtunggebendes Ideal.
Als ich während des Studiums begriff, dass schulisches Lernen überwiegend Denken in Zusammenhängen sein sollte, war das für mich eine Offenbarung, die die letzten Zweifel an der Berufswahl beseitigte. Es ist ein großer Unterschied, ob zum Beispiel mathematische Formeln an die Tafel geschrieben, auswendig gelernt und dann durch Rechnen vieler gleichartiger Aufgaben "eingeschliffen" werden oder im Klassengespräch Schritt für Schritt aufgebaut und geklärt. Der Schüler, der weiß, dass er die Formeln aus sich selbst heraus aufbauen kann, wird ruhiger an die betreffende Prüfungsarbeit herangehen.
Alles könnte so schön sein, gäbe es den schon angesprochenen Unterschied zwischen Theorie und Praxis nicht! Ich war entsetzt, als ich feststellte, dass an den Schulen nicht nur ältere lehrbeamtete Personen, sondern auch Leute, die gleichzeitig mit mir ausgebildet worden waren, massiv auswendig lernen ließen. Einerseits wiederholten sie wohl das, was sie in ihrer Schulzeit erfahren hatten, andererseits ist es ja wirklich anstrengend, mit Lerngruppen Sinnzusammenhänge zu erarbeiten.
Grund für vieles, was in unseren Schulen Stückwerk bleibt, ist die Sehnsucht ach so vieler beamteter Lehrberechtigter nach dem ruhigen Plätzchen hinter dem Pult. In meiner Zeit als Schüler mochte ich die Lehrer nicht, mit wenigen Ausnahmen. In meiner Zeit als Lehrer wurden die Ausnahmen weniger!
Lange verstand ich auch nicht, dass es "Heftnoten" gab, und somit ein Hauptschüler in der neunten Klasse noch mit einer guten Fach-Note dafür belohnt wurde, dass er einen Text abschreiben konnte, ohne sonst das Geringste über den Inhalt und dessen innere Logik zu wissen. Aber: Wenn die Schulgezwungenen länger schreiben, dauern die Ruhephasen hinter dem Pult auch länger.
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In dem Artikel von Inge Kloepfer "Frontalunterricht macht klug" wird auch Götz Bieber, Leiter des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin – Brandenburg, zitiert. Er äußert da unter Anderem: "Wäre der alte Unterricht wirklich effizient, hätten die deutschen Schüler in den internationalen Leistungsvergleichsstudien wohl deutlich besser abgeschnitten."
Aus dem Mikrokosmos, der meiner Beobachtung zugänglich ist, kann ich da antworten: Die Unterrichtsprämissen wurden leider von einem großen Teil der Lehrerschaft nur als Stückwerk umgesetzt. Ich weiß auch nicht, auf welche Studien sich Götz Bieber bezieht. Die erste TIMMS Studie wurde 1995 durchgeführt. Wie viele deutsche Schüler wurden damals schon mit "offenen Unterrichtsmethoden" beschult?
"1996 hat das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin in seinem zweiten Bericht über 'Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklungen im Jugendalter' (BIJU) die Auswirkungen von 'offenem Unterricht' in den Jahrgängen 7 bis 10 untersucht. Nach diesen Studien ist die 'direkte Instruktion' die wirkungsvollste Form des Lehrens. Ein guter Lehrer verfügt über eine geschickte Fragetechnik und hohe Leistungserwartungen. Er hält einen wohlgeplanten und streng organisierten Unterricht, der das aufgabenbezogene Verhalten der Schüler sicherstellt, das zielerreichende Lernen betont, tutorielle Hilfen gibt und diagnostische Rückmeldungen bietet." (Wulff Rehfus: Die Verteidigung der Kinder gegen die Pädagogik. In: Neue Mythen in der Pädagogik. Ein bildungspolitisches Lesebuch. Michael Felten Hrsg. Auer, Donauwörth, 2001, S.24.).
Wenn man also zu diesem Zeitpunkt eine solche Studie als notwendig erachtete, dann wurden vor TIMMS bestimmt nicht alle überprüften Schüler nach den "alten" Methoden unterrichtet.
Aufgrund dieser Studie und der kurz darauf ebenfalls vom Max-Planck-Institut durchgeführten Untersuchung namens SCHOLASTIK, die ebenfalls die Überlegenheit der "direkten Instruktion" feststellte, hätten die maßgeblichen Stellen in allen Bundesländern reagieren müssen. Der "offene Unterricht" setzte jedoch seinen Siegeszug fort.
In meinem Umfeld beobachte ich schon seit Jahren, dass die Grundschüler sich mit immer schweren Rucksäcken abschleppen, was den zarten Wirbelsäulen gewiß nicht guttut und in keiner Weise von liebevoller Fürsorglichkeit der dafür verantwortlichen Lehrkräfte zeugt. Inzwischen gehen Eltern schon dazu über, ihren Kindern mit Rädern versehene Koffer statt Rucksäcke zu kaufen, damit diese die Last ihrer Bildungsunterlagen zur Schule karren können. 2010 konnte ich mal in den prallgefüllten Rucksack eines Drittklässers hineinsehen. Da war eine Unzahl an dicken vorgedruckten Heften mit viel Platz zum Ausfüllen sowie Vorlagen zum Anfärben; für jedes Fach zwei. Mich beschlich die Vision, wie Lehrbefohlene hinterm Pult das eine Fachheft kontrollieren und abhaken, während die Kinder mit dem anderen ausgelastet sind. So lassen sich fast alle Pflichten am Vormittag erledigen.
"Selbständigkeit" ist das Prinzip offenen Unterrichts. Damit möglichst alle Schülerinnen und Schüler die Vorlagen ausfüllen können, ohne lästige Fragen zu stellen, muss sich das Anspruchsniveau folglich am Durchschnitt oder darunter orientieren. Für die Begabteren wird das Ausfüllen zur lästigen Formaltätigkeit. Die Nivellierung, die Roth (siehe oben) dem echten Frontalunterricht als Nachteil anlastet, ist hier wohl mindestens ebenso schlimm.
Durch die vielfältigen vorgedruckten Unterrichtsmaterialien werden Lehrkräfte entlastet, Eintreten für offenen Unterricht hat so manche Karriere erst ermöglicht. "Aber wer profitiert hier am meisten?", fragte ich mich beim Anblick des prallgefüllten Rucksackes.
In dem Artikel von Frau Kloepfer fällt das Wort "Frontalunterricht" auch in Zusammenhang mit der Schulleistungseffizienz Finnlands, die seit der Pisa-Studie bewundert wird. Auch hier scheint mir der Begriff zu oberflächlich angewendet. Den Hauptgrund für die Leistungsfähigkeit finnischer Schulen sehe ich in deren Aufbau: "Die ersten sechs Jahre zählen als Grundstufe, in denen der Klassenlehrer die zentrale Rolle spielt und fast alle Fächer selbst unterrichtet. Nach weiteren drei Schuljahren erreichen die Schüler den ersten Abschluss, danach trennen sich ihre Wege: Berufsausbildung oder gymnasiale Oberstufe." (Der Spiegel, NR. 50/10. 12. 01).
Hier ist der Klassenlehrer Bezugsperson und verbringt viel Zeit mit seinen Schutzbefohlenen. Da entsteht Vertrautheit und der lehrergeleitete Unterricht wird sich bestimmt in Richtung "Freies Unterrichtsgespräch" entwickeln. Man sollte da mit mehr Vorkenntnis genauer beobachten und differenzierter berichten. Ein weiterer Vorteil der finnischen Grundstufe ist, dass sich der Klassenlehrer am späteren Erfolg seiner Schüler messen kann. Mit Sicherheit aber wird er daran gemessen, also ist Mühe geboten!
Ein Journalist muss nicht erst die Geschichte der Unterrichtsmethodik studieren, um über Schule schreiben zu können. Aber über Fachbegriffe sollte man schon ein wenig recherchieren. Leser sollten doch ein Recht auf differenzierte Information haben. Und Politiker brauchen ja nicht zu informieren und müssen selbst nicht informiert sein, sonst kämen sie ja in Gefahr, die Wahrheit zu sagen!
Aber wenn Lehrbeauftragte an Hochschulen ahnungslosen Studierwilligen Schauermären über Frontalunterricht erzählen, ohne das "Freie Unterrichtsgespräch" überhaupt zu erwähnen, dann sind sie entweder Deppen oder Ideologen, wobei eines das andere nicht ausschließt, oder sie dienen irgendeiner Lobby, aber nicht dem Wohle der Kinder!
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© "Diskussion um Frontalunterricht": Text mit freundlicher Genehmigung von Friedrich Treber; die Karikatur zeigt einen Lehrer mit Schulklasse, Lizenz: gemeinfrei.
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