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Ein von uns mit Interesse gelesenes Blog vertrat die Meinung, dass Raucher toleranter sind als Nichtraucher. Schließlich – so der Kernsatz – verlangen die Raucher nicht, dass Nichtraucher nur in bestimmten Lokalitäten ihrem Nicht-Laster frönen dürfen. Umgekehrt sei das sehr wohl der Fall. Von der Tatsache abgesehen, dass Nichtrauchen niemanden schädigt – außer vielleicht der Tabakindustrie – sind die leidenschaftlichen Qualmer jedoch alles andere als tolerant, wie jedes gewesene Mitglied dieses Clubs bestätigen kann.
Vor vielen Jahren, als die gesundheitsschädigende Wirkung des blauen Dunstes noch nicht diskutiert wurde – also außerhalb der Intensivstationen – rauchte praktisch jeder. Junge Leute waren ohne Zigarette äußerst selten zu sehen – und sobald jemand sich als Nichtraucher outete, war er sofort als Lusche etikettiert.
Nicht rauchen, das hatte etwas von brav und angepasst, gehorsam und feige an sich. Das hatte sich so festgesetzt in den Köpfen. Dass derjenige, der einen Schnuller braucht, obwohl er gerade seinen Schulabschluss macht, wohl eher der Warmduscher ist, bekam niemand mit. Niemand dachte daran, auf Nichtraucher Rücksicht zu nehmen – wer unter Leute wollte, musste sich in den verqualmten Kneipen mühsam den Weg zur Theke suchen, weil jeder rauchte.
Wahrscheinlich war es einfacher, selber damit anzufangen, damit man sich nicht so fürchterlich vor dem Gestank ekelte. Und Raucher stinken nun einmal nach Qualm, eine Tatsache, die jeder bestätigen kann, nachdem er/sie mit dem Rauchen aufgehört hatte. Nur bekommt es derjenige, der diesen Geruch ausströmt, nicht mit. Er merkt es einfach nicht. Als ich nach meinem Entschluss, die Dinger fortan liegen zu lassen, in einer Schlange stand und die Vorderfrau eindeutig als Kettenraucherin identifizieren konnte, schämte ich mich nachträglich einigermaßen dafür, dass ich meinen Mitmenschen so etwas über Jahre zugemutet hatte. Wenn nun der für den Raucher selbst nicht wahrnehmbare Qualmgeruch zusätzlich mit einer Dosis Parfüm oder After Shave gemischt wird, können die Augen anfangen zu tränen.
Das sind die Belästigungen, die mehr oder weniger unabsichtlich sind – aber es gibt da eine Intoleranz den "Davongekommenen" gegenüber, die zwar nicht öffentlich wahrnehmbar, aber doch sehr gravierend ist. Wer nun tatsächlich aufgehört hat, dies dann auch im Kreis der Freunde sagt und wirklich keine Zigarette anzündet, hat einen sehr schweren Stand. Da sind erst einmal Sprüche wie: "Na, da will ich mal sehen, wie lange. Du fängst ja doch wieder an." Sehr aufbauend und vor allem sehr tolerant ...! Kommt der Verdacht auf, der frischgebackene Nichtraucher könnte seinem Vorsatz tatsächlich treu bleiben, werden ihm so viele Zigaretten angeboten, wie es in seinem vorherigen Leben als Raucher nie der Fall war.
Da die Stängel recht teuer geworden sind, wirft man damit nämlich nicht unbedingt um sich. "Na komm ... eine kannst du doch. Eine bringt dich ja wohl nicht um." Raucher haben absolut kein Interesse an Menschen, denen der Absprung geglückt ist. Schafft es einer, bedeutet das nämlich, dass man es selbst vielleicht auch schaffen könnte ... wenn, ja wenn man eben keine Lusche wäre. Also soll demonstriert werden, dass es ja doch nicht geht. Das Aufhören. Und dass dieser Zwang absolut nichts mit Schwäche zu tun haben kann.
Will der neue Nichtraucher einer bleiben, muss er entweder von großer Willensstärke sein oder er muss sich neue Freunde suchen. Was er vermutlich tun muss, denn die Qualmerei wird er immer weniger vertragen, ebenso wie die Sprüche. Das intolerante ist, auch wenn einer der Clique die Röntgenbilder seiner ruinierten Lunge zeigt, wird man ihm Zigaretten anbieten. Niemand ist so gut im Wegwischen von Tatsachen wie Raucher. Ändert der einzige Raucher in einer Gruppe von Nichtrauchern sein Leben, wird man ihn bewundern und auf die Schulter klopfen.
Kettenraucher, denen aus irgendwelchen Gründen die Zigaretten ausgegangen sind und die sich momentan keine beschaffen können, sind nicht etwa der Inbegriff der Toleranz, sondern so etwas wie eine Flasche mit Nitroglyzerin – sie explodieren sehr schnell bei unsachgemäßer Handhabung. Allerdings kann man sie nicht richtig behandeln in dem Zustand, in dem sie sich befinden – sie detonieren auf jeden Fall und stehen Nichtrauchern, die sich über qualmende Leute aufregen, in rein gar nichts nach. Und sie erzählen die heilige Raucherlegende nicht, sie brüllen sie. Bei dieser seit dem ersten Süchtigen von Generation zu Generation weitergegebenen Geschichte geht es immer um einen Onkel, der mit vierzig Jahren an Lungenkrebs starb, ohne jeweils geraucht zu haben, und um die Tante, die mit neunzig noch Zigarren raucht und Aerobic Kurse gibt.
Diese Formel ist eine Art Rosenkranz, der vor der Todesangst bewahren soll, wenn man nur daran glaubt. Das tun die Raucher wahrscheinlich alle.
© "Sind Raucher toleranter als Nichtraucher?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Rauch einer Zigarette, CC0 (Public Domain Lizenz).
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