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Was haben wir gelacht über die Chantalisierung – schließlich kann sich ja kein Mensch so dämlich ausdrücken – oder? Allerdings kann er, und wahrscheinlich muss jeder sich an die eigene Nase fassen, auch wenn er nicht Käwinn oder Schakkeline heißt. "Mach dat Mäh mal Ei" – dieser Satz war mir einigermaßen unverständlich, bis mir die Übersetzung dann gelang ("Streichel mal das Schaf"). Das führte zu einer sehr vergnüglichen halben Stunde, in der sich einige Lachsalven Bahn brachen.
Aber ... die Ernüchterung folgte auf dem Fuße, denn in das eigene Idiom übersetzt, lautet dieser Satz nämlich "Mammomscheefeaale" oder auch, etwas moderner: "Machemscheefschemoaale". Klingt nun auch nicht besser, oder? Wenn man darüber nachdenkt, ist der lokale Dialekt die eigentliche Muttersprache – die allerdings äußerst verzwickte Regeln aufweist. Und, anders als im Schriftdeutschen, mehrere mögliche Übersetzungen zulässt. Nehmen wir zum Beispiel das "Detschasa". Das bedeutet wörtlich übersetzt: "Das täte ich auch sagen." Die Bandbreite der Verwendung ist allerdings üppig. Von "Ich bin mir sicher, wenn du dir sicher bist" bis "Recht hast du, hauen wir denen eine auf die Brezel" ist alles möglich.
Ein Running Gag, der seit Jahren rennt, erzählt die Geschichte von dem Mann, der in einen Eisenwarenladen kommt. Die folgende Konversation klingt dann so: "Homma?" Verkäufer an Chef: "Homma Homma?" Chef an Verkäufer: "Homma homma!" Verkäufer an Kunde: "Homma."
Die Übersetzung lautet: "Haben Sie einen Hammer?" Verkäufer an Chef: "Haben wir einen Hammer am Lager?" Chef an Verkäufer: "Haben wir." Verkäufer an Kunde: "Nehmen Sie ihn?" Eine Variante behandelt die Mehrzahl, was dann "Hämma" heißt. Dagegen ist die Schakkeline, die ein Schäfchen streichelt, irgendwie nicht wirklich fremdartig, oder?
"Wonn gemann?", fragt das Kind, dem diese Dialektforschungen langweilig sind – und Mutter sagt: "Donn womma fäddisch sinn." Was dem vor allem schriftdeutsch sprechenden Deutschen nicht bewusst ist, sind die für ungeübte Ohren kaum zu hörenden territorialen Unterschiede, was den Dialekt betrifft. Wenn zum Beispiel einer "Kumm mol here" sagt anstatt "Kommsche mo" und sich damit als Landsmann einer etwas weiter gelegenen Örtlichkeit outet, kommen sofort die seit langem bestehenden Ressentiments zwischen Ansiedlungen des ein und selben Landstriches an die Oberfläche. Man hat sich viele Jahre lang mit Misstrauen betrachtet, wahrscheinlich seit dem Dreißigjährigen Krieg und vergisst keine Kränkung – auch dann nicht, oder erst recht nicht, wenn diese eine eingebildete ist.
Derjenige, der grundsätzlich so spricht wie man schreibt, ist da klar im Vorteil. Denn die Möglichkeit, die Antipathie an die Herkunft aus einer etwas entfernteren Gemeinde festzumachen, scheidet aus. Zwar wird der Kerl seiner hochgestochenen Sprache wegen auch nicht gemocht, die Anfeindungen bleiben aber eher neutral und lassen persönlichere Beleidigungen, welche die ganze Familie einbeziehen, nicht zu. Erst einmal, jedenfalls.
Das Misstrauen zwischen Ansiedlungen, die kaum einige Kilometer voneinander getrennt sind (Luftlinie), ist zuweilen größer als das zwischen den Großmächten – und wird gerne über die Sprache gefestigt. Dialekt ist etwas Liebenswertes – läuft aber wahrscheinlich von der Muttermilch an eher über das Bauchgefühl denn über den Kopf. Aber im Grunde versteht man sich – und so weist der heimwerkende Vater mit dem Kopf zum Nachbarn und sagt zu seiner Frau: "Gemo niwwa un fro obarre homma hot." Der so Gefragte meint dann schon über den Gartenweg: "Homma homma imma. Holda ne."
© "Dialekt und Schriftdeutsch – Die Sprache – Chantalismus gibt es überall": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Alte Handschrift, CC0 (Public Domain Lizenz).
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