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Der Roman "Durch fünf Türen" der Autorin Jutta Schöps-Körber spielt in den Jahren 2004/2005. Aenne, 53 Jahre, lebt in Namibia auf einer Farm. Dort taucht eines Tages ein junger Mann namens Anthony auf. Als er Monate danach stirbt, ist Aenne so erschüttert, dass sie Teile ihres Lebens vergisst.
Jason reist in den Irak, um in Basra eine Wasseraufbereitungsanlage aufzubauen, macht aber einen Umweg über Bagdad, wo er ums Leben kommt. Aenne reist ebenfalls dorthin. Sie hofft, endlich herauszufinden, wer Anthony war und wer Çemal ist.
Aenne stößt eine weitere Tür ihres Lebens auf; in mehreren Episoden werden die Leser in folgende Regionen entführt:
– Namibia
– in den Irak (diese Leseprobe)
– nach Deutschland
Die Reise in den Irak wird als Rückerinnerung erzählt. Durch die Einnahme einer Droge aus einem geheimnisvollen Kästchen macht Aenne eine Zeitreise in das Jahr 2004. Es ist der 4. November.
Zusammen mit Moses, der es nicht lassen konnte, mich zu begleiten, haste ich durch die Hallen des Flughafens von Kuwait. Es kommt mir vor, als ob ich träume. Doch so ist es nicht. Was ich erlebe, am 4. November im Jahre 2004, ist Wirklichkeit. Im Augenblick bin ich damit beschäftigt, mich in diesem Gewühl von Menschen zurecht zu finden.
Moses und ich folgen den Menschen zum Ausgang des Flughafens. Hinter der Absperrung stehen Personen und lachen und winken und schreien, sobald sie den entdecken, den sie erwarten. Auch wir sollen abgeholt werden. Von jemandem von HOPE. Also halte ich nach einem Schild Ausschau, auf dem mein Name steht. Aber ich entdecke keins. Was, wenn niemand gekommen ist? Schon fühle ich mein Herz angstvoll schlagen. Es kann so vieles schiefgelaufen sein. Wenn der Krieg im Irak auch offiziell beendet ist, so ist das Land nicht sicher. Und HOPE muss durch den Irak, um mich in Kuwait abzuholen.
Meine Augen streifen weiter über die Menschen vor der Absperrung und da ist einer, der sieht aus wie Eric, lacht wie Eric und dann ist es Eric, mein Eric, denn wer sonst sollte mich in die Arme nehmen und sagen:
"Hi, Mum, nett, dich zu sehen!"
Ich bin völlig durcheinander:
"Oh Gottogott! Du hier? Wie schön. Wie schrecklich. Oh Gottogott."
Heiße Luft peitscht mir entgegen, als ich die klimatisierte Flughalle verlasse. Der Geruch von Wasser hängt in der Luft und der Staub darin behindert die Sicht. Ich bin durcheinander und so nicke ich nur, als Eric meint:
"Wir fahren gleich weiter, zum Irak. Je früher wir an der Grenze sind, desto besser. Am Nachmittag müssen wir es jedenfalls erst gar nicht mehr versuchen."
Mir ist alles recht. Ich kraxle neben Eric in einen Wagen der HOPE-Hilfs-Organisation, lächle Moses zu, der es sich im Fond bequem macht und dann lasse ich mich einfach fahren.
Bin ich eingeschlafen? Jedenfalls stupst mich Eric an und erklärt:
"Wir sind an der Grenze. Hier müssen wir den Wagen stehen lassen und mit einem Shuttle-Bus weiter. Auf der anderen Seite warten Robert und Erika auf uns."
"Den Wagen einfach stehen lassen?" Ich verstehe nicht. "Das geht doch nicht."
"Alles organisiert! Keine Sorge! Bei HOPE gibt es genügend Leute, die werden sich kümmern."
Da ist auch schon der Bus. Alles ist so unwirklich. Ich werde aus dem Wagen hinaus und in den Bus hineinbugsiert ... und Moses? – Auch er ist im Bus.
Es sind nur wenige Meter durch das Niemandsland und schon befinde ich mich im Irak. Jedenfalls behauptet das Eric. Mir ist es egal. Es berührt mich nicht. Es erregt mich nicht. Es geht mich nichts an, denn ich bin ja nur Bestandteil eines Films, eines Spiels, einer Halluzination. Die wird gleich vorbei sein und ich werde nur noch schlafen. Keine Versuche mehr, Rätsel zu lösen, oder die Stücke meiner Vergangenheit zu finden, die ich verloren habe. Ich will nur noch schlafen.
Nichts anderes will ich.
Doch ich kann nicht. Weitere Bilder zucken auf, in rascher Reihenfolge, wie im Zeitraffer. Buben stürzen sich auf uns, schnappen sich unser Gepäck, werfen es auf einen Transportwagen und rollen es durch die Kontrollstelle.
Eric zieht Dokumente hervor, Einreisepapiere für mich und Moses und schon dürfen wir durch die Öffnung in der Mauer, die die Grenze kennzeichnet. Auf der anderen Seite wieder ein Auto von HOPE, die Aufkleber darauf lassen keinen anderen Schluss zu. Ein Paar erwartet uns. Robert und Erika stellen sie sich vor, ein kurzer Gruß und schon geht es los nach Basra. Dort sollen wir erst mal bei Freunden bleiben, denn es ist bald Mittag und in der Hitze können wir nicht fahren. Niemand jagt bei 40 Grad durch die Gegend, es sei denn, er will sich verdächtig machen, in diesem Land, in dem keiner dem anderen vertraut. Am nächsten Tag würden wir beim ersten Morgenlicht aufbrechen, dann können wir gegen 12 Uhr in der Hauptstadt sein.
Noch stehen die letzten Sterne am Himmel, als ich erneut in den Kombi von HOPE steige. Robert hat den Motor bereits angelassen und schon geht die Reise los. Das geschieht in einem Höllentempo und ich verstehe nichts von dem, was passiert. Ich komme mir vor wie ein Frachtstück, das hin- und hergeschoben wird. Nur gibt es bei mir noch etwas wie Gefühle, bei einem Paket jedoch nicht und so nimmt meine Verwirrung zu, mit jedem Kilometer, den ich durch den Irak geschüttelt werde, während Frachtgut sich nicht einmal bewusst ist, dass es durchgerüttelt wird. Ich wäre froh, mit einem Packen ohne Gefühle tauschen zu können, denn das, was da draußen vorbeifliegt, legt sich als schweres Frachtgut auf meine Seele. Zuerst ist es nur die Sandwüste mit ein paar Steinbrocken dazwischen, manchmal sind es ein paar zerrupft aussehende Palmen, ihre Wedel staubbedeckt, aber dann steht da ein Haus mit Schlünden in seinen Mauern, groß wie aufgerissene Walfischmäuler, so dass nur ein Gerippe übrig ist, ein Skelett aus Steinen und verbogenen Eisenstreben, das sich verzweifelt gegen das Einstürzen wehrt.
Das letzte der Fenster klammert sich in einem Akt letzten Aufbäumens an das übrig gebliebene Mauerwerk. Doch ein Stockwerk tiefer, von dem die Zwischenwände fast gänzlich weggefetzt wurden, steht in aller Unschuld ein Gartenstuhl aus weißem Plastik, einer, der überall auf der Welt zu kaufen ist. Einen Augenblick lang meine ich, eine alte Frau dort sitzen zu sehen, vielleicht die Großmutter derer, die einmal in dem Haus wohnten, die den vorbeijagenden Autos nachsieht und auch mal einem zuwinkt. Aber da ist der Wagen schon vorbei, rumpelt nun an einem Loch vorüber, gefüllt mit einer dreckigen, brackigen Brühe, aus dem zerlumpte Kinder Wasser schöpfen.
Mein Herz schmerzt. Ich würde diesen Kleinen so gerne helfen. Ich möchte Robert bitten anzuhalten, aber das Auto ist schon aus dem Ort heraus und was hätte ich diesen Kindern schon geben können, wie ihnen beistehen? Die einzige Wasserflasche, die ich mit mir führe, würde die Familien jener Kinder wohl kaum vor dem Verdursten retten.
Noch 44 km bis zur Hauptstadt verrät ein Straßenschild. Aber auch ohne das spürt man die Nähe Bagdads. Rechts und links der Straße stehen immer mehr zurückgelassene Fahrzeuge, ohne Räder, mit zerbrochenen Fensterscheiben, abgeschraubten Scheinwerfern, ausgerissenen Türen. Zerborstene Panzer erzählen von Kämpfen um die Stadt. Und dann sind da ein paar längliche Hügel, kaum einen Meter vom Straßenrand entfernt, immer wieder tauchen sie auf.
"Gräber!", überbrüllt Robert den Lärm des Motors und deutet auf die unscheinbaren Erhebungen. Ich kann nicht hinsehen. Wende mich ab. Ich kann das nicht ertragen. Diese Art Sightseeing-Tour habe ich nicht erwartet. Wie behütet lebe ich doch in 'Heidis Heim', trotz der Löwen und Leoparden, die die Kälbchen bedrohen, trotz der herumstreunenden Schwarzen, die Farmen überfallen, dabei aber nur versuchen, selbst am Leben zu bleiben.
Ich schließe die Augen. Doch nun erscheint ein neues Hirngespinst. Anthony grinst mich an und sagt:
"Grüß' mir Bagdad und den Tigris, vergiss' es nicht." Vielleicht war Anthony als amerikanischer Soldat in Bagdad, kommt es mir plötzlich in den Sinn. Aber warum war er dann in Namibia auf 'Heidis Heim' und nicht in den USA, falls er aus der Armee entlassen wurde? Das eine Teil des Puzzles passt nicht zum andern.
Jetzt, da wir durch den Irak jagen, als ob wir auf der Flucht wären, könnte ich Robert über Anthony befragen oder auch Erika. Doch Robert verlangt vom Motor des Kombis seine höchst möglichste Leistung und der röhrt in so lauten Tönen, dass eine Unterhaltung völlig unmöglich ist.
+ + +
Urplötzlich hält der Wagen an. Benommen sehe ich auf. Robert hat schon den Motor abgestellt, öffnet galant die Autotür. Ich setze die Füße auf die Straße, der Körper folgt hinterher. Dann reiße ich die Augen auf, lege den Kopf in den Nacken und betrachte den hyper-modernen Bau eines Hotels. Sein altertümlicher Eingang, an einen buddhistischen Tempel erinnernd, passt sich seltsam gut der Moderne an. Ich bin beeindruckt. So nobel können HOPE-Mitglieder absteigen?
"Wir wohnen aus Sicherheitsgründen hier. Das Sultan Palace Hotel wird gut bewacht." Erika kann Gedanken lesen, schießt es mir durch den Kopf, oder ist alles doch nur ein Traum? In Träumen kann alles Unmögliche geschehen. Doch ein paar Meter weiter die Straße hinunter steht ein amerikanischer Panzer auf Position und der Hoteleingang wird von zwei US-Soldaten flankiert.
"Außerdem hat es sich in letzter Sekunde entschieden, dass wir hierher nach Bagdad fahren. Dieser Entscheid kam gewissermaßen von höchster Stelle, ich meine, vom amerikanischen Headquarter. Jason hatte da wohl seine Hände mit im Spiel."
Ich zucke zusammen.
"Jason? Was hatte er mit dem Headquarter zu tun?", hake ich auf der Stelle ein.
Doch es kommt keine Antwort.
"Schnell, schnell!", drängt Robert unsere kleine Gruppe zum Hoteleingang und schiebt mich durch die Tür in die Lobby. Ich muss blinzeln. Der plötzliche Wechsel aus dem gleißenden Licht der Sonne draußen in das Halbdunkel des Hotels irritiert meine Augen. Allmählich wird es besser und ich staune. Säulen aus hellem Marmor tragen eine verglaste Kuppel, durch die das Licht flutet und Schattenspiele auf den spiegelblanken Boden malt.
Die Rezeption nimmt die Mitte des runden Raumes ein, halb rechts davon steigt eine geschwungene Treppe hinauf in die oberen Stockwerke, die Fahrstühle sind auf der linken Seite der Halle zu finden. Ich bin so mit Schauen beschäftigt, dass ich nicht mitkriege, wie Erika mich und Moses anmeldet. Irgendwann wird mir ein Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt, dann werde ich in einen der Fahrstühle gedrängt und schon geht es nach oben.
Hinweis: Der Roman "Durch fünf Türen" ist bisher noch nicht als Buch erschienen.
© Textbeitrag "Durch fünf Türen: Bagdad": Jutta Schöps-Körber
© Bildnachweis:
oben: Blick auf das Zentrum Bagdads, Lizenz: Public domain
mitte: Highway 2 zwischen Arbil und Mosul, Lizenz: Creative Commons
unten: Assassins' Gate in Bagdad, Lizenz: Public domain.
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