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Jutta Schöps-Körbers berührende Erzählung "Durch fünf Türen" spielt in den Jahren 2004–2005 in Namibia: Aenne lebt dort allein auf einer Farm. Dort taucht eines Tages ein junger Mann namens Anthony auf. Als er Monate danach stirbt, ist Aenne so erschüttert, dass sie Teile ihres Lebens vergisst.
Im Januar 2005 überredet Aenne ihre Schwiegermutter Heidi, mit ihr nach Deutschland in die Nähe von Stuttgart zu fahren, um sich mit ihrer Mutter auszusöhnen, mit der sie seit über 30 Jahren in Streit lebt.
Aenne stößt eine weitere Tür ihres Lebens auf; diese Episoden wurden veröffentlicht:
– Namibia
– in den Irak
– nach Deutschland (diese Leseprobe)
Leseprobe: Dritte Tür – Eine Stadt bei Stuttgart
Der Himmel über Süddeutschland ist kitschig blau. Die Sonne muss wohl ein Extra-Entgelt bezogen haben, so sehr strahlt sie über das ganze Gesicht. Eine Meise erdreistet sich, durch ihr 'Zizibäh, zizibäh' zu behaupten, der Frühling stehe vor der Tür, dabei ist es erst Ende Januar und noch ziemlich kalt.
Der Fußweg einer Vorstadtsiedlung führt an Bungalows vorbei. Einer duckt sich hinter einer hohen Hecke, so, als ob er etwas zu verbergen habe. Auf der anderen Seite des Wegs schützen Büsche und Bäume den Blick auf ein Industriegebiet.
Zwei Frauen, beide etwas untersetzt und fast gleich groß, kommen den Weg entlang. Es sind Heidi und ich.
"Wie ist das für dich", fragt meine Schwiegermutter, "nach all diesen Jahren wieder einmal in dein Elternhaus zu kommen?"
"Ich fühle mich wie ein Springbock nach langer Trockenheit", behaupte ich, "vor Freude macht mein Herz die tollsten Sprünge. Was denkst denn du?" Doch mein grimmiges Gesicht sagt etwas anderes. Heidi atmet kurz und schwer. Auch sie fühlt sich nicht wohl.
"Warte mal!", bittet sie und bleibt stehen. Ich bin schon ein paar Meter vorneweg.
"Ja?" Ich ahne nicht, was Heidi von mir will, die nun die paar Schritte auf mich zugeht.
"Ich muss dir vorher noch was sagen. Weißt du, das habe ich dir noch nie gesagt. Aber du bist wirklich wie eine Tochter für mich. Und ganz egal, was jetzt passiert, ich stehe zu dir. Immer. Ich hab' dich lieb."
"Aber das weiß ich doch schon, seit Ruacana ist mir das klar." Ich nehme Heidi in die Arme, mitten auf diesem Weg, wo wir von schwäbischen, gelangweilten Hausfrauen beobachtet werden können. Die haben nun was zum Ratschen und Tratschen. Schließlich lösen wir uns voneinander.
"Auf in den Kampf!", scherze ich. Doch mir ist nicht zum Spaßen zu Mute. Je näher ich dem Haus komme, in dem ich aufgewachsen bin, desto heftiger klopft mein Herz. Es purzelbaumt in meiner Brust herum, fast so, als wolle es heraus.
"Erinnert dich irgendwas an deine Jugend hier?"
"Ich fühle mich, als befände ich mich auf dem Mond, genauso fremd erscheinen mir die Häuser, die Vorgärten, die Bäume."
"Aber die Hausnummer, die kennst du doch noch?", witzelt Heidi.
"Es ist die 78! Und wenn du dich jetzt nicht benimmst, dann darfst du klingeln, und ich laufe weg. Hier ist es nämlich."
Wir bleiben vor einem Bungalow in L-Form stehen. Ein Hauch von Schnee hat eine Ruhestatt auf den Grashalmen des Rasens im Vorgarten gefunden und Eiskristalle ummanteln ein paar vom Wind vergessene Blätter der Rosenbüsche, die den Weg zum Eingang des Hauses begleiten. Oben auf dem Flachdach steigt ein verglaster Ausbau auf in Form einer Pyramide. Das sieht pompös aus.
"Oha!", macht Heidi.
"Daran bin ich unschuldig", behaupte ich, "zu meiner Zeit gab es dieses angeberische Ding noch nicht."
"Na, dann ist ja alles in Ordnung!" Heidi kichert.
"Wer weiß!", knurre ich und stoße das Gartentürchen auf.
Nun habe ich die Haustüre aus Glas erreicht und drücke, ohne zu zögern, auf den blanken Klingelknopf neben dem Namen 'Seitz'. Unschlüssig herumstehen macht die Sache nicht besser, denke ich.
Eine Gestalt taucht hinter der Glastür auf.
Sie öffnet.
Sie steht da, ich stehe da.
Wir schauen uns an.
Mir wird ganz heiß.
"Mama?" Ich wage als Erste einen Vorstoß.
"Aenne?", fragt die Frau unter der Tür. Und dann geschieht etwas sehr Seltsames. Wie ferngesteuert mache ich einen Schritt in das Haus und liege im nächsten Augenblick in den Armen der Person, die mir völlig unbekannt erscheint, zu der ich mich aber hingezogen fühle. Gleichzeitig klopft mir mein Herz nun schon bis zum Hals.
"Mama", gibt mein Mund ein zweites Mal von sich. Dagegen kann ich nichts machen, das Wort kommt einfach aus mir heraus, obwohl mein Verstand mir doch etwas anderes einflüstern will.
"Ach, Aenne", meint die Frau und streicht mir immer und immer wieder übers Haar, "dass du endlich nach Hause gekommen bist."
Ich schlüpfe aus den Armen dieser Frau, die mich zwar geboren hat, mir aber sehr fremd geworden ist.
"Ich bin nicht nach Hause gekommen", stelle ich richtig, "ich bin nur zu Besuch. Und das ist Heidi, die Mutter meines Mannes Martin. Du weißt, er ist ums Leben gekommen." Frau Seitz wirft einen raschen, uninteressierten Blick auf meine Schwiegermutter, macht aber einen Schritt beiseite, damit auch sie eintreten kann.
"Bitte schön!", sagt meine Mutter sogar noch und geleitet uns ins Wohnzimmer. Das ist sonnendurchflutet. Das Licht strömt rechts und links durch die Fenster, doch die meiste Sonne fällt durch die Glas-Pyramide, die wir schon von draußen betrachtet haben. Mein Blick streift über die Einrichtung. Sie erscheint mir fremd. Aber nach dreißig Jahren ist das auch kein Wunder.
"Setzen wir uns." Frau Seitz deutet auf eine Couchgarnitur mit einem kleinen Tisch in der Nähe der Tür, die in den Garten führt. Auch der hat sich sehr verändert, seitdem ich ein Kind war.
Ich werfe Heidi einen Blick zu. Sie hat sich neben mir auf das Sofa gesetzt. Bleibt stumm. Ich bleibe stumm. Meine Schwiegermutter schweigt ebenfalls. So hocken wir also um einen Couchtisch aus Granit, ein Triumvirat, dem die Worte fehlen. Es gibt nichts zu essen und nichts zu trinken, selbst die Frage, ob die Gäste etwas möchten, bleibt aus. Eine seltsame Situation.
Dann nimmt die Gastgeberin meine Schwiegermutter ins Visier. Ruckt sich zurecht.
"Und Sie sind also diese Heidi!" Das klingt fast wie ein Vorwurf. Die Angesprochene sagt keinen Ton. Was soll sie auch auf diese seltsame Anmache erwidern?
"Und was wollen Sie hier? Wieso sind Sie hergekommen? Haben Sie nicht genügend Anstand, mich mit meiner Tochter allein zu lassen, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe? Denken Sie nicht, dass Sie wenigstens ein bisschen Anstand hätten haben können?"
"Mama!", beschwere ich mich, "ich habe dich doch am Telefon gefragt, ob ich Heidi mitbringen darf. Und du hast zugestimmt."
"Klar, ich wollte doch die Frau kennenlernen, die mir meine Tochter abspenstig hat und nicht genug ..."
"Ich habe nichts getan, um Ihre Tochter von Ihnen fern zu halten", widerspricht Heidi.
Doch meine Mutter blitzt sie an.
"Pah! Was aber haben Sie unternommen, damit meine Aenne, meine kleine Aenne, zu mir zurückkehrt? Sie war erst zwanzig, noch nicht einmal volljährig, damals, 1970. Zu der Zeit wurden die jungen Leute erst mit einundzwanzig unabhängig von ihren Eltern." Sie verstummt. Senkt den Kopf. Ihr Kinn kommt auf der Brust zu liegen.
Sie sieht mit einem Mal hilflos und verletzlich aus. Ist das dieselbe Frau, die eben noch Heidi angiftete?
Doch ihre Kraft kommt zurück. Mama hebt den Kopf, blickt mir in die Augen, trotzig, wie mir scheint, wenn da nicht die Tränen wären. Aber mit einem Male schießt sie sich erneut auf Heidi ein.
"Sie haben sich strafbar gemacht", keift sie los, "damals." Erneut schweigt sie, aber nur, um ihren nächsten Trumpf auszuspielen: "Entziehung Minderjähriger heißt das, denke ich."
Hinweis: Der Roman "Durch fünf Türen" ist bisher nicht als Buch erschienen.
© "Eine Stadt bei Stuttgart": Text und Foto von Jutta Schöps-Körber.
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