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Ich gehöre zu den Menschen, die mit den Jahren zum Weihnachtsmuffel geworden sind. Aber auf die Idee, die Koffer zu packen und an Weihnachten einfach abzuhauen, kam ich lange nicht.
Nun ging ich beruflich in eine andere Stadt, und weil ich dort niemand kannte und auch nicht so schnell eine Wohnung finden konnte, zog ich in ein Wohnheim.
Margit, ein Mädchen vom Wohnheim, und ich sprachen darüber, dass wir Weihnachten mal anders feiern und woanders verbringen wollten. So buchten wir, ihre Eltern fuhren auch mit, zehn Tage Tossa de Mar bei Barcelona in Spanien.
Aber schon als wir morgens am Hauptbahnhof dieses Ortes in den Bus gestiegen waren, wussten wir, dass diese Reise ein Fiasko würde. Uns blieben nur Plätze in den hinteren Sitzreihen und ganz hinten saßen drei Kettenraucher, welche die Bitten der Nichtraucher, etwas Rücksicht zu nehmen, mit Pöbeleien, Provokationen, üblen Beschimpfungen und ebensolchen Beleidigungen beantworteten. So ging dann eine lange Fahrt nach Spanien los, und wir kamen am Morgen des 23.12. in Tossa de Mar an.
Durch die lange Fahrt waren wir alle übermüdet und bis wir unsere Zimmer hatten, gab es einige Gereiztheiten und sehr laute, unschöne Worte, aber nicht von Margit und von mir. Sie und ich hatten uns vorgenommen, das Beste aus der Situation zu machen, was aber nicht ganz einfach war. In der Eingangshalle stand ein künstlicher Weihnachtsbaum mit ebensolchem, abscheulichem Schmuck.
Der Busfahrer Michael war ein netter, kameradschaftlicher Typ. Etwas später wurden er, Margit und ich von Mitreisenden gefragt, mit welcher von uns beiden er sich denn verloben würde und ob wir schon miteinander ...
Es fuhr auch ein unverheiratetes, nicht mehr ganz junges Paar mit und der männliche Teil hatte sämtliche Augen auf mich geworfen, was mir der weibliche Teil sehr verübelte. Ich wollte aber nichts wissen von diesem Mann und benahm mich so abweisend wie möglich, was ihn aber nur noch mehr angestachelt hatte und die Frau wurde immer wütender auf mich.
Am Heiligen Abend abends saßen wir an einem Vierertisch beim Abendessen. Also, das Hotel, unsere Zimmer, der Service und das Essen waren sehr gut, da konnte man nicht meckern. Margit und ich alberten so herum, dass ich lautlos Tränen gelacht habe. Margits Mutter bekam das nicht so richtig mit und sie fragte mich teilnahmsvoll: "Ursula weinst du? Warum weinst du denn? Weil Weihnachten ist? Da hab ich dir was." Und mit diesen Worten warf sie mir eine Serviette, etwa von der Größe eines Tischtuchs, herüber, in die ich "hineinweinen" könnte. Da konnte ich nicht mehr. Ich hatte schon Leibschmerzen vor Lachen, und ich dachte, ich müsste auf allen Vieren aus dem Speisesaal kriechen.
Nach dem Abendessen sollte die Heilig-Abend-Feier in einem großen Saal stattfinden. Der Raum war absonderlich geschmückt und eine Band spielte zur Polonäse Blankenese auf, spielte "Schöne Maid", "An der Nordseeküste", "In einem Polenstädtchen" usw. Margit und ich starrten uns an. Von Weihnachtsstimmung keine Spur. Diese Heilig-Abend-Feier hätte besser zu Silvester oder Fasenacht gepasst. Uns gegenüber saß ein älterer Herr, der uns erzählte, wie viele Damen sich ihm schon angetragen hätten und wie oft er schon zugegriffen hätte. Mir reichte es, ich täuschte Müdigkeit vor, verabschiedete mich, immer wieder gähnend, und Margit ging gerne mit aufs Zimmer.
Die Stimmung in der Reisegruppe war nicht gut. Unter den einzelnen Reiseteilnehmern gab es Pöbeleien und uns gegenüber dummes Geschwätz, das wir gar nicht lustig fanden. Am ersten Weihnachtsfeiertag beschlossen wir, uns einen anzutrinken, weil wir das Ganze nüchtern nicht mehr ertragen konnten; es war das erste Mal, dass wir so etwas gemacht haben. Und wir bekamen kein einziges Weihnachtslied zu hören.
Einige Tage später erwogen Margit und ich, unsere Sachen zusammenzupacken und nach Hause zu fahren. Aber wir blieben dann doch hier und nahmen uns erneut vor, das Beste aus dieser Reise zu machen.
Um wenigstens ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen, setzten Margit und ich uns wenige Tage nach Weihnachten in eine Kirche. Aber auch hier kamen wir nicht in Weihnachtsstimmung. Die Ereignisse der letzten Tage zogen vor meinem geistigen Auge vorüber und wieder schüttelte mich ein lautloses Lachen, obwohl das Erlebte nicht gerade lustig war. Ich wusste bald nicht mehr, wie ich mich beherrschen könnte und krümmte mich. Margit bemerkte meine Stimmung und sie wisperte mir immer wieder mit süßlicher Stimme zu: "Haltung, liebe Ursula – Haltung!", was die ganze Sache bei mir verschlimmerte, und ich vollends die Fassung verlor. Ich war sehr froh, als wir die Kirche verließen. Vor der Kirche hatte ich meine Haltung wiedergefunden.
Wir machten Ausflüge bis an die französische Grenze, zu einem mittelalterlichen Rittermahl und nach Barcelona. Barcelona ist eine sehr interessante Stadt. Wir besichtigten die "Heilige-Familie-Kirche" von Antonio Gaudi. An dieser Kirche wurde zum damaligen Zeitpunkt schon mehrere Jahrzehnte gearbeitet. Die Arbeiten mussten immer wieder unterbrochen werden, weil das Geld nicht mehr reichte. Das Hafengebiet Barcelonas ist für den Touristen ein Muss. Hier wurde es unabsichtlich der Frühstückseier wegen etwas zweideutig, und auch hier gab es einige Lachanfälle. Immerhin hatten mir die Ausflüge sehr gefallen.
Beim mittelalterlichen Rittermahl gab es kein Besteck; die Suppe mussten wir aus dem Suppenteller schlürfen und den Rest mit den Händen zu uns nehmen. So etwas gehörte anscheinend im Mittelalter zur Tischkultur – das Essen war aber superlecker und Wein gab es, so viel man wollte. Allerdings gehörte es zur mittelalterlichen Esskultur beim Essen zu rülpsen und zu furzen – was aber von uns niemand getan hat. Der Abschluss des Rittermahles war nicht sehr toll. Mein Verehrer war brutal erkältet und ebenso blau. Zu den vielen Medikamenten, die er genommen hatte, kippte er sich einige Campari (ich glaube, es waren sechs) hinter die Binde. Nun saß ich mit Michael schon im Bus, als mein Verehrer angewankt kam. Er musste sich festhalten, um in den Bus zu kommen – und das waren ausgerechnet meine Beine, an denen er sich nach oben tastete. Ich war so böse überrascht, dass ich Michael nur noch entsetzt anstarren konnte. Gerade als ich meine Fassung wiedergefunden und mir überlegt hatte, ob ich ihm eine kleben soll, pflaumte Michael ihn an, es gebe auch Haltestangen im Bus.
Diese Reise war mit Werbeverkaufsveranstaltungen verbunden, was uns bei Reiseantritt schon bekannt war. Wir schworen uns aber, nichts zu kaufen – dann kann man so etwas schon mitmachen. Diese Veranstaltungen fanden zumeist irgendwo j-w-d = janz weit draußen statt. Uns wurde gesagt, dass, wer nicht an der Werbeverkaufsveranstaltung teilnimmt, kein Mittagessen bekäme (so hatte ich es in Erinnerung). Margit und ich bekamen trotzdem ein recht gutes Mittagessen, und dann verabschiedeten wir uns, um uns die Gegend anzusehen. Das hatte sich gelohnt. Landschaftlich war das toll und es war auch gar nicht so kalt. Unterwegs munterten wir uns gegenseitig auf, weil wir doch wieder zurück mussten. Margits Mutter sagte uns, dass es hauptsächlich überteuerte Betten und Decken, die besonders bei Rheuma, Arthrose usw. helfen sollten, gegeben habe.
Eines Morgens sah ich ein männliches Reisemitglied schon vor dem Frühstück an der Bar (dass die um diese Zeit schon offen hatte!) Wodka trinken. Danach tatschte er am weiblichen Hotelpersonal herum. Für mich war mal wieder Fremdschämen angesagt.
Nur gut, dass diese Reise bald zu Ende war, und der Nachhauseweg erwies sich ebenfalls noch als Horrortrip und darüber half mir, wie schon am Herweg die landschaftliche Schönheit Nordspaniens, Südfrankreichs und der Schweiz auch nicht mehr hinweg.
Ich habe dann später erfahren, dass in Spanien Weihnachten selbst nicht so wichtig ist. Für die Spanier ist der 6. Januar – der Drei-Königs-Tag – wichtiger, aber da waren wir dann schon zu Hause.
Oh du fröhliche ... Nein, hier auch nicht. Ich hätte zu Hause bleiben können, da wäre es auf jeden Fall schöner gewesen – und vor allem billiger. Diese Reise war eine der wenigen Reisen, die ich besser nicht gemacht hätte, nicht einmal geschenkt, trotz der Lachanfälle, die ich einige wenige Male bekommen hatte.
Ulla Schmids lustige Reiseanekdoten "Wenn einer eine Reise tut" sind im April 2013 erschienen und weisen als Taschenbuch 142 Seiten auf. Alle Bücher von ihr auf ihrer Autorenseite
© Textbeitrag "Wenn einer eine Reise tut": Autorin Ulla Schmid. Die Abbildung zeigt eine Gotische Kirchenruine in Tossa de Mar, ein Foto von Gabriele Delhey (Creative Commons-Lizenz).
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