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Beichten? Sicher, das war so eine Sache, die der Religionslehrer (oft ein Kaplan) wärmstens empfahl, bzw. mit strengem Blick anriet. Für die Kinder eine Sache, die einerseits recht spannend, andererseits aber auch etwas seltsam war.
Jeder war natürlich schon neugierig gewesen auf das Innere der interessanten kleinen Kammern, die da rechts und links von den Bankreihen in der Kirche standen. Mehr oder weniger schön verziert und sehr geheimnisvoll sahen sie aus, diese Beichtstühle – und sie gehörten irgendwie zum Erwachsen sein.
Aber wie macht man das nun, das Beichten? Getreu der Ermahnungen von Kaplan und anderen Fachleuten machte man sich einen Zettel. Darauf hatten nun alle die kleinen Sünden zu stehen, die man eben begangen hatte. Und es kam, was kommen musste: im Beichtstuhl hatte man keine Ahnung, was man sagen sollte und leierte das herunter, was man als Beispiel gehört hatte. Sünden wie Naschen oder Lügen oder auch die eine oder andere Frechheit den Erwachsenen gegenüber. Dann blubberte die Stimme hinter dem Gitterfenster etwas Lateinisches – und man durfte gehen. Eine Buße gab es auch: zehn Ave Maria oder etwas Ähnliches. Man begab sich also nach vorne vor den Altar, kniete nieder und leierte wieder etwas herunter. Gelernt oder gar begriffen hatte man nichts.
Für die Kinder war Sünde einfach das, was die Eltern nicht mochten. Heute ist auch diese Definition eher hinfällig, aber immerhin gab es diesen Fixpunkt. Wahrscheinlich hat niemals ein Kind ab zehn Jahren Begriffe wie Reue oder Buße auf einen fernen, gesichtslosen Gott anwenden können. Und es ist fraglich, ob ein Erwachsener das fertigbringt. Wobei sich alle Lehrer, Erwachsenen und viele Filme bemühten, diesen Gott zu personifizieren, bis er etwa wie ein strenger Rektor wirkte. Aus Liebe zu ihm sollte man nun bitterlich bereuen, dass man der Tante die Zunge herausgestreckt und die Mama belogen hatte.
Das tat man natürlich schon – einerseits, weil es dafür eine Strafe gegeben hatte, und andererseits, weil die Tante eigentlich lieb war und man auch gar nicht mehr wusste, wieso man so pampig gewesen war. Und dieses Gefühl kommt der Reue am allernächsten: sich unwohl fühlen, weil man jemandem wehgetan hatte. Dass Mama sowieso wusste, wenn man log, war eine andere Sache. Die liebte einen so oder so – auch wenn man vielleicht drei Tage nicht raus durfte.
Man hätte auch nicht gewusst, dass man einfach aus schlechter Laune heraus patzig sein kann und denjenigen, dem man eine Grimasse macht, gar nicht wirklich meint. Das hatte einem ja auch keiner gesagt. Im Religionsunterricht hörte man allen Ernstes, dass der Teufel dafür zuständig sei. Man hätte der Tante ja auch sagen können: "Das war nicht schön, eigentlich wollte ich das nicht wirklich", und sich in Zukunft zusammennehmen. So einfach hätte das alles sein können. Mehr war an dieser Sache mit der Beichte wirklich nicht dran – sie hatte mit dem Gewissen absolut nichts zu tun. Dafür war man nämlich selber zuständig, und das fühlte man auch.
Zum Glück haben Kinder oft ein sehr feines Gefühl für das Ausgleichen, sonst würden alle Erwachsenen, die eine katholische Erziehung genossen haben, sich auf das Stempelchen verlassen, das der Beichtvater ihnen gibt. Egal, was ich verbrochen habe: Gott vergibt mir immer. Also habe ich so eine Art Freibillet. Die Art von Erwachsenen gibt es natürlich, wenn auch nicht allzu oft.
Wer jemandem wehtut, sollte das wiedergutmachen. Und zwar nicht bei jemandem, den man damit nicht verletzt hat, also Gott – sondern bei eben demjenigen, den es getroffen hat. Das war uns als Kindern schon klar – auch wenn wir es nicht immer taten.
Die Beichte als Begriff gibt es natürlich auch außerhalb der christlichen Lehre. "Ich muss dir was beichten", heißt es oft, und dann wird mit der Sprache herausgerückt. Vergeben wird meistens auch – und zwar nachhaltiger und vor allem beruhigender als im Beichtstuhl. Denn hier wird direkt an der Basis "operiert" – und so soll es auch sein.
Wo Reue kein leerer Begriff ist, sondern wirkliches Empfinden, da heilt die Vergebung Dritter nicht unbedingt. Reue ist eine sehr schmerzhafte Angelegenheit, die über Jahre hinweg quälen kann. Und oft ist es leider so, dass man es gar nicht wiedergutmachen kann. Ungerechtigkeiten, die man Menschen zufügte, die mittlerweile nicht mehr am Leben sind oder auch nichts davon wissen wollen und nicht vergeben mögen, können zwar nicht ungeschehen gemacht werden, aber man kann einen Ausgleich schaffen und das Gelernte anwenden.
Nehmen wir an, jemand hat ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht um seine alten Eltern gekümmert hat – aus Gedankenlosigkeit oder möglicherweise auch, weil er glaubte, später dafür noch jede Menge Zeit zu haben. Nun sind sie tot – einen Abschied hat es ebenso wenig gegeben wie eine Aussprache. Hier ist nichts mehr zu tun – aber es gibt auch andere einsame Alte. Man könnte hier und da einige Zeit opfern, um sich da ein wenig anzunehmen. Das ist nur ein Beispiel unter unzähligen Möglichkeiten. Ein erfreuter Greis, den man ein wenig unterhält und seinen Geschichten lauscht, kann keine Absolution erteilen, aber man fühlt sich sehr viel besser dabei.
Die allermeisten von uns haben Erinnerungen an Dinge, die sie am liebsten ungeschehen machen würden. Das ist unmöglich – auch wenn sich noch Jahre danach die Haare aufstellen, weil man sich für sich selber schämt. Dabei muss es überhaupt nicht um Absicht gegangen sein, das spielt keine Rolle. Es besser machen oder anderen dabei zu helfen, es besser zu machen, ist die perfekte Form der Buße. Selbstkasteiung ohne Aktion nützt niemandem, mag sie auch noch so bequem sein, weil sie vom Wiedergutmachen abhält.
"Gehe hin und tue es nicht wieder" ist zwar ein gut gemeinter Rat, aber nicht so einfach zu befolgen. Sobald man weiß, wieso man "es getan" hat, kann man aber daran arbeiten. Und zusehen, dass man daraus etwas machen kann, das uns und anderen nützt. Dann ist es wirklich perfekt. Völlig ohne Ritual.
© Text und Foto zu "Gehe hin und tue es nicht wieder": Winfried Brumma (Pressenet), 2014.
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