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Sommer 2016. Die Welt ist in Aufruhr und vieles verändert sich. Das ist aber nicht nur heute, sondern war schon immer so. Und immer haben sich Menschen darüber beklagt. Das konnte allerdings nicht der große Teil der Menschheit, so wie das heute möglich ist. Das allgemeine Murren, ob nun zu Recht oder zu Unrecht, blieb meist auf das direkte Umfeld und das Dorf oder die Stadt begrenzt, in der man lebte.
Das Internet macht nun globales Murren möglich, und das ist gar nicht schlecht. Kommunikation ohne Einschränkungen ist eine gute Sache. Man erfährt vieles, das man nicht wusste – und vieles, das man eigentlich nicht wissen wollte. Man kann alles und jedes abrufen, kaum eine Information ist nicht verfügbar. Und das praktisch kostenlos. Nie war es so einfach, sich zu informieren und Informationen zu vergleichen.
Und es scheint, als habe es nie eine so große Resistenz gegenüber Fakten und Zahlen gegeben. Diese neue Unempfindlichkeit jeder Logik gegenüber ist ein hervorragender Dünger für Verschwörungstheorien, deren Fülle erst einmal sprachlos macht. Bevor man sich köstlich darüber amüsiert.
Besonders farbenfrohe Blüten der Vorstellungskraft kursieren täglich in irgendeiner Gruppe bei Facebook oder Google+ und sind nicht etwa als Satire gedacht, sondern bitterster Ernst. Da wäre zum Beispiel die "jüdische Kanzlerin". Diese Herkunft soll dann erklären, wieso sie ihr eigenes Volk verrät und verkauft. Wahrscheinlich an einen Fond der Rothschilds. Die Familie Rothschild nimmt in den Theorien der neuen Resistenten einen großen Raum als finaler Endgegner, sprich: Teufel, ein.
Weniger witzig sind die immer wieder aufkommenden Leugnungen der jüngsten Geschichte. Und wer in der Nachkriegszeit aufwuchs, bekommt bei manchen Äußerungen ein flaues Gefühl in der Magengegend. "Beim Adolf hätte es das nicht gegeben ..." Das kannte man damals, als die Haare lang und die Brillen rund waren. Und hatte gehofft, es nie wieder zu hören.
Bei Zahlen versagt der Realitätssinn der Resistenten dann völlig. Die Angst vor Übermelanierung der deutschen Bevölkerung scheint den Angst-Supergau der Neuzeit zu stellen. Viele Deutsche scheinen zu fürchten, dass ihre Kinder bald Kisuaheli anstatt Deutsch lernen müssen. Sie fühlen sich von Flüchtlingen überrollt.
Dass die tatsächliche Anzahl derjenigen Menschen, denen hier im Land Asyl gewährt wurde, lächerlich gering ist, fällt der Resistenz zum Opfer. Die Anzahl der Flüchtlinge weltweit kann jederzeit abgerufen werden, ebenso die Anzahl der Asylanten hier im Land. Das tut ein Resistenter aber nicht, denn er will sein Wirklichkeitsbild nicht getrübt wissen. Außerdem fällt jede Information, die sich nicht kompatibel zu seinem Weltbild verhält, unter das Aktenzeichen "Lügenpresse".
Die Islamisierung schreitet mit Riesenschritten voran und muss sich am Ende mit den afrikanischen Flüchtlingen auseinandersetzen, die Deutschland "unter sich aufteilen wollen". Überhaupt "wollen" alle nur eines: das deutsche Volk oder auch gleich die ganze "weiße Rasse" vernichten. Das "will" auch die Regierung. Warum auch immer. Darauf bekommt man von den Resistenten nie eine Antwort.
Wer dumme Fragen stellt, die einen Faktenresistenten womöglich in Erklärungsnot bringen könnten, wird entweder erst einmal als Nichtdeutscher, als Grüner, Linker oder Volksverräter eingestuft. Dann folgen Beleidigungen. Das wäre alles eigentlich recht lustig und würde Kabarettsendungen überflüssig machen. Wäre da nicht der Geist, der dahintersteht.
Wer als Volksverräter beschimpft wird, sieht sich einer Drohung gegenüber, die sehr ernst ist. Es ist eine Art Versprechen. Wenn nämlich erst einmal die ganzen Feinde niedergekämpft sind, dann sind eben diese "Nestbeschmutzer" an der Reihe. Und da die Realitätsverleugner es nun wirklich nicht mit allen Asylanten, Muslimen, Grünen und Linken sowie den USA aufnehmen können, wäre der Gedanke naheliegend, dass die "Volksfeinde" vorgezogen werden könnten. Und wer ein solcher ist, hängt eben nicht von der Beweislage ab. Denn die hat entfernt etwas mit Fakten zu tun. Es ist hoch an der Zeit, zu verhindern, dass irrationale Ängste zu einer zerstörerischen, inhumanen Macht werden.
Es geht nicht um die Macht zum Bösen, denn die haben die Resistenten nicht. Es geht um den Willen dazu. Und der ist spürbar.
© Textbeitrag "Politik: Die neue deutsche Faktenresistenz": Winfried Brumma (Pressenet), 2016. Bildnachweis: Augen beobachten, CC0 (Public Domain Lizenz).
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