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Das hier ist vor einigen Tagen passiert – geschehen an einem ruhigen, späten Abend in einer kleinen Stadt im Süden Deutschlands.
Wir saßen zusammen und unterhielten uns, als ich auf Schreie aufmerksam wurde. Es war draußen schon recht dunkel und man konnte nicht sehen was vorging, denn wir hatten schon das Licht angemacht. Also trat ich vor die Tür, um mich umzusehen.
Die Schreie stammten von einem Pärchen, das auf der anderen Straßenseite lief. Das heißt, eigentlich liefen die beiden ja nicht, denn der Mann hatte das Mädchen am Hals gepackt und gegen eine Hausmauer gedrückt. Dabei brüllte er auf sie ein. Ich konnte nicht verstehen, was er da schrie, und ich denke, das war auch besser so.
Er ließ sie los, nur um sie von neuem an die Wand zu schubsen. Und dann brüllte ich. Das musste ich tun, denn anders hätte der wütende Schläger mich wohl nicht wahrgenommen.
"Ich habe die Polizei angerufen", schrie ich über die Straße. Dass niemand auch nur aus dem Fenster gesehen hatte, trotz dieses Krachs, fiel mir zu diesem Zeitpunkt nicht einmal auf. Das kam später.
Jedenfalls fuhr der Mann, ein noch recht junger Mann übrigens, zu mir herum und kreischte regelrecht: "Könnense ruhig tun. Aber Sie vergessen eins: ich weiß ja, wo Sie wohnen."
Das ist hier in der Stadt eine übliche Drohung und soll Angst verbreiten. Mich hat es nur wütend gemacht. Natürlich habe ich nicht den Notruf gewählt, weil die beiden schon längst weg gewesen wären, wenn die Streife eingetroffen wäre. Außerdem hätte das Mädchen mit Sicherheit nur gesagt, dass alles in Ordnung wäre und überhaupt nichts passiert sei. War mir völlig klar. Der Mann hielt das Mädchen praktisch mit einer Hand an der Kehle, während er mir Beleidigungen zubrüllte. Zu diesem Zeitpunkt waberte schon roter Nebel vor meinen Augen, so wütend war ich.
Und dann stieß der Kerl seine Freundin weiter, um beide Hände frei zu haben, ließ die Hose herunter und zeigte seinen Hintern. Dazu brüllte er so laut er konnte: "Heil Hitler." – Dann gingen beide ihres Weges. Fluchen hörte man den Mann noch lange. Und ich hatte etwas gelernt.
Dieser junge Mann war, so glaube ich, keineswegs der rechten Szene zuzuordnen. Das sagten mir einige Dinge wie sein Gehabe und sein Äußeres. Außerdem kennt man hier in der Stadt seine "Pappenheimer". Und das macht die ganze Sache interessant.
Es war dunkel draußen, sehen konnte er mich nicht richtig, und deshalb auch kaum einschätzen. Trotzdem schrie er nicht das "F***"-Wort, wie grundsätzlich üblich, sondern kam mit dem bösesten Spruch rüber, den er kennt. So als würde er alle anderen Menschen, vor allem aber diejenigen, die sich über sein Verhalten aufregen, denen zurechnen, die man mit diesem Gruß beleidigen kann.
Die Straße war im Übrigen sehr ruhig, kein Fenster wurde geöffnet. Keine Lichter waren angegangen – außer denen, die schon die ganze Zeit gebrannt hatten. Niemand streckte den Kopf heraus. Hier wohnen die "anständigen" Weggucker.
Was ich mir denke, ist das: seine Beleidung musste den Richtigen treffen. Den, der sich für das Mädchen einsetzte. Den einzigen, der vor das Haus trat. Das musste passen und tat es auch.
Wer nicht wegsieht, ärgert sich über den Hitlergruß. Das liegt in der Natur der Dinge. Weil das Wegsehen diesen Gruß erst aufkommen ließ. Damals und heute auch.
© "Spät am Abend: Kompliment in Braun": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2016. Bildnachweis: Person in dunkler Nacht, CC0 (Public Domain Lizenz).
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