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Aus Liebe zum Meer haben die an dieser Anthologie beteiligten zehn Autoren Ute Bareiss, Jana Förster, Martin Halotta, Ute Hiemann, André Huter, Ellen Löchner, Petra Schulz, Brina Stein, Corina Wagner und Michael Zilz Kurzgeschichten geschrieben, die nicht unterschiedlicher sein könnten.
In einigen Erzählungen wird der Leser mit auf eine Kreuzfahrt genommen, in einer anderen blickt er in das Auge eines Wals, dann wieder erlebt er mit einer alten Frau ihren letzten Tag am Meer. Die Autorinnen und Autoren bedienen sich unterschiedlicher Stilrichtungen, um ein breites Lesepublikum anzusprechen.
Den Erlös aus den Buchverkäufen spenden die Autoren zu 100 % an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Mit einem Vorwort von Dr. Helmut Thoma, Gründer des deutschen Fernsehsenders RTL und EMMY Preisträger.
Unser Buchtipp: Aus Liebe zum Meer: eine maritime Anthologie ist im Juni 2015 im Verlag 3.0 Zsolt Majsai erschienen (sollte das Buch vergriffen sein, wählen Sie gerne ein anderes Buch der Autorin).
Ich glitt lautlos auf die Ostsee hinaus. Das Meer war sanft und das Wasser plätscherte leise an meinen Bug. Es fühlte sich an, als ob es mit mir kuscheln wollte. Das war längst nicht immer so, oft konnte es rau und so tosend sein, dass es meterhohe Wellen krachend über mir zusammenschlagen ließ. Am Horizont sah ich die Umrisse des Fährschiffes schärfer werden.
Ich bin ein Lotsenboot. In der Sommersaison, wenn die An- und Abfahrtszeiten der Fähren im Hafen von Travemünde doppelt so hoch waren wie im Winter, hatte ich immer viel zu tun. Meine Aufgabe war es, die großen Schiffe heil aus dem Hafen hinauszubegleiten und ankommende Schiffe wieder hinein. Ich bin 16 Meter lang, 5 Meter breit, orange lackiert und heiße Tania. Der Kapitän, der mich schon viele Jahre steuert, nennt mich liebevoll Tanni. Wir haben eine ganz besondere Beziehung zueinander aufgebaut, von der ich Ihnen heute erzählen möchte.
Vor vielen Jahren übernahm mich der Kapitän. Wir waren damals beide noch jung und unerfahren. Es war zu der Zeit, als Deutschland durch eine Grenze in Ost und West geteilt war. Oben im Norden – in Travemünde – war sie besonders gut sichtbar, verlief sie doch quer durch den Priwall und machte diesen zu einer Halbinsel für Westdeutschland. Sie durchquerte den Strand und sogar das Meer. Ein Irrsinn, aber es war damals so.
Während im westlichen Teil des Priwalls die Menschen an den langen Sandstränden lagen, sich sonnten, badeten und das Leben genossen, war der Strand auf der anderen Seite verwaist. Lediglich einige Wachtürme waren errichtet worden und von diesen beobachteten und bewachten ostdeutsche Patrouillen ihr Land. Das Meer wurde durch eine harmlos wirkende Kette aus rot-weißen Kugeln abgegrenzt.
Tag und Nacht fuhr im ostdeutschen Bereich ein Boot der Küstenschutzschiffsflotte. Das ehemalige Regime hatte größtes Interesse, dass hier niemand das "gelobte Land" verließ. Segler aus dem westlichen Bereich, die sich zu dicht der Grenze näherten, wurden mittels Megafon in einem rauen und rüden Ton darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich nicht weiter dem Hoheitsgebiet der DDR nähern dürften. Es gab Fälle, in denen Schüsse abgegeben wurden, wenn die Segler Anweisungen nicht unmittelbar befolgten. Manchmal wurden sie nur in die Luft abgefeuert und es reichte in diesen Fällen aus, um die Boote zu vertreiben.
Eines Tages sprach ein Mann meinen Kapitän an, als er gerade im Hafen auf mich aufsteigen wollte. Der Mann war älter, ich schätzte ihn auf circa sechzig Jahre. Er fragte, ob wir ihm helfen könnten. Er würde heute Abend auf die Ostsee hinaussegeln und plante, in das Hoheitsgebiet der DDR einzudringen. Er durfte mit seiner Frau vor einem halben Jahr ausreisen, aber sie mussten ihre Tochter, Anfang zwanzig, zurücklassen. Diese hatte ihre Republikflucht danach akribisch geplant. Sie hatte ein Schlupfloch im Maschendrahtzaun an Land auf dem Priwall entdeckt und würde danach durch die Ostsee in die Freiheit schwimmen. Der Vater wollte mit seinem Segelboot das Patrouillenboot ablenken.
"Das ist Wahnsinn, guter Mann", meinte der Kapitän. Mit Tränen in den Augen sah der ihn an und wandte sich zum Gehen. Der Kapitän fasste ihn an die Schulter. "Was wäre meine Aufgabe?", wollte er wissen. Der Mann drehte sich um: "Gegen 22 Uhr fährt die Nils Holgersson hinaus, ihr begleitet sie jeden Abend als Lotsenboot, wie wir beobachtet haben. Wir segeln hinter dem Fährschiff hinaus und kreuzen vor der mecklenburgischen Küste. Wenn Ihr zurückkommt, werden wir bereits die Grenzer provozieren. Eure Aufgabe sollte es nur sein, zusätzlich für ein wenig Ablenkung zu sorgen. Tut so, als ob ihr uns zur Rechenschaft ruft und meine Tochter kann ungehindert über die Grenze schwimmen."
Wie selbstverständlich war er zum vertrauten "Du" übergegangen. Er beförderte aus seiner Tasche eine Seekarte hervor. Der Kapitän blickte nach rechts und links, niemand hatte dieses Gespräch gehört. "Kommen Sie an Bord", meinte er. ...
© Wir danken der Autorin Brina Stein und dem Verlag 3.0 Zsolt Majsai für die Bereitstellung dieser Leseprobe.
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