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Stephen King hat einmal eine Horrorstory geschrieben, in der es um ein Toilettengespenst ging. Man sah eigentlich nur die Turnschuhe eines Toten unter der Schwingtür der Klokabine. Der Held der Geschichte glaubte zunächst, dass jemand seine "Sitzung" abhält. Aber täglich standen die Füße in den Turnschuhen in der gleichen Position, und mit der Zeit sammelten sich tote Fliegen darum.
Das Gespenst tat nie wirklich irgendetwas, um jemanden zu erschrecken – es war einfach da. Und die Hauptperson der Geschichte begriff dann irgendwann, worum es wirklich ging: es ging um das Herzeigen. Um das "Guck mal": "Sieh hin wie schön ich bin, wie witzig oder mutig, wie cool und stark."
Wer zwanghaft herzeigt, möchte etwas erreichen. In vielen Fällen ist das der Neid. "Ich bin stark ... und das musst du erst einmal nachmachen." Dahinter könnte natürlich auch der Wunsch stecken, bemerkt zu werden. Und zwar von so viel Menschen wie irgend möglich. Für Jugendliche ist das sehr wichtig, das "Bemerktwerden". Der Mann, der im Park den Mantel öffnet und zeigt, was er für den Mittelpunkt seines Wesens hält, will erschrecken oder Angst machen.
Was aber wollen uns die Bilder und Filmchen sagen, die immer öfter in vielen öffentlichen Internetseiten auftauchen: ein oder mehrere Leute posieren mit einem eigenhändig getöteten Tier, manchmal auch an ein Kreuz genagelt, und grinsen in die Kamera. Manchmal lebt die Katze, der Hund oder das Kaninchen noch ... aber es ist schwer misshandelt worden und wird sterben. Manche Videos zeigen den Todeskampf des Geschöpfes, das sich nicht wehren kann, und die Begeisterung der Täter.
Worum geht es demjenigen, der stolz ein erhängtes Kätzchen oder sonst ein Tier zeigt und dabei strahlt, als hätte er den Jackpot geknackt? Angst erzeugen? Zu einem kleinen Teil vielleicht – denn die offen gezeigte Grausamkeit kann schon beängstigen.
Mut zeigen? Das könnte hinzukommen. Es gehört zwar kein Mut dazu, ein hilfloses Tier zu quälen – aber es öffentlich zu zeigen, ist schon etwas anderes. Zwar geschieht ermittelten Tätern nicht viel, aber immerhin – ganz ungefährlich ist es nicht.
Das alles mag vielleicht zu einem kleinen Teil zutreffen, aber bei solchen Bildern geht es um etwas anderes: um das Verletzen. Selber völlig unempathisch, wissen diese Leute durchaus, wie einem normal empfindenden Menschen ein solches Bild Schmerzen bereiten kann. Selbst wer nicht unbedingt ein großer Tierfreund ist, wird hier zusammenzucken.
Und das ist der Punkt. Man kann im Viertel hier und da Backpfeifen verteilen, Leuten irgendetwas Widerliches in den Briefkasten stecken und dem kleinen Bruder das Leben zur Hölle machen. Aber da gibt es Grenzen – meist in der Gestalt eines stärkeren und geübteren "Vorgartenbösewichts".
Das Internet hebt diese Grenze völlig auf. Jetzt und hier kann man vielen, vielen Leuten sehr wehtun. Und zwar so, dass sie absolut nichts dagegen tun können. So wie Steinewerfen aus der Deckung heraus. Der Spaß mit dem Tier ist nur der Anfang, darum geht es eigentlich gar nicht. Es geht um das Herzeigen und das Verletzen. Damit haben diese Leute auch durchaus Erfolg – jeder, der solch ein Bild oder Video gesehen hat, wird davon verfolgt.
Vielleicht sollten wir diese Botschaften als das sehen, was sie sind: Kampfansagen und ein Versprechen auf mehr. Vielleicht sollte der jeweilige kleine Bruder wirklich Angst haben – denn wie lange werden diese Menschen einen Unterschied wahrnehmen? Es könnte sogar der Fall sein, dass sie noch nie einen gesehen haben und dass nur der Grad der Strafe sie bei den Kaninchen hält.
Wenn jemand unter das Bild eines hübschen Kälbchens "lecker Braten" postet, dann ist das nicht wirklich anders. Hier geht es noch um das "Vor-den-Kopf-stoßen". Erst einmal jedenfalls.
© "Das Internet und die Macht des zwanghaften Herzeigens": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2015. Bildnachweis (CC0, Public Domain Lizenz): oben: Bedrohung, sowie unten: Crime.
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