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Die Erstveröffentlichung der Autorin Katja Wanner schildert die Entwicklung eines jungen Menschen, bei der politische, aber auch psychologische Aspekte miteinbezogen werden.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Mann Ende zwanzig, der Mitglied einer rechtsradikalen Gruppierung ist und einen tief verwurzelten Konflikt mit seinem Vater hat. Ronnie, der Protagonist, ringt schon seit Jahren um Anerkennung und ist durch dieses Bedürfnis nach Bestätigung in gewisser Weise von der rechtsradikalen Organisation abhängig. Im Laufe der Erzählung lernt Ronnie eine Frau kennen, deren innere Ruhe ihn nach und nach immer mehr beeindruckt.
Der eigentliche Anlass, der Ronnie gegen Ende der Erzählung dazu bringt, seine Zugehörigkeit zur Gruppierung zu hinterfragen, ist eine öffentliche Podiumsdiskussion, in der er seine Kräfte messen möchte. Sein Diskussionsgegner ist ausgerechnet sein linksliberaler Vater. Im Höhepunkt der Geschichte vermischen sich Inhalts- und Beziehungsebene, so dass die Diskussion sich zu einem gefährlichen Spiel um Macht entwickelt. Es ist eine Achterbahnfahrt zwischen Ekstase und freiem Fall, deren Endpunkt Ronnie zu einem anderen Menschen macht.
Die Erzählung "Ronnies Freiheit" ist Ende August 2020 als E-Book erschienen, das im Online-Buchhandel erworben werden kann. Die Dateigröße dieses E-Books liegt bei ca. 375 KB (dies soll ca. 54 Seiten einer Printausgabe entsprechen).
Die Autorin Katja Wanner hat uns eine Leseprobe aus ihrer Novelle, die sie in die Genres zwischen Entwicklungs- und anspruchsvoller Liebesgeschichte einordnen möchte, zur Verfügung gestellt. Den Lesern wünschen wir viel Vergnügen mit der Textauswahl!
Mit schnellem Schritt hastet er den gewohnten Weg entlang. Seine schmale Erscheinung löst bei den meisten Menschen, die ihm entgegenkommen, einen Beschützerinstinkt aus. Diejenigen, die ihm in die Augen blicken, wollen allerdings nur noch die Flucht ergreifen. An der Grundschule vorbei, die Parkanlage entlang, über die Kreuzung. Auf der Brücke bleibt er stehen. Immer wieder machen sie ihn fassungslos, diese Unmengen an Vorhängeschlössern. Es ist kein Platz zum Atmen bei diesem Meer der Naivität und er tritt einen Schritt zurück, um besser Luft holen zu können.
Als er wieder ruhig atmet, fängt er an zu lachen. Er ist lächerlich, dieser Glaube an die ewige Liebe. Anstatt endlich aktiv zu werden und für das deutsche Volk zu kämpfen konzentrieren sich die Menschen auf ihre romantischen Liebesbeziehungen. Gemeinsam können wir alles schaffen. Es ist unter anderem dieses Festhalten an einer Illusion, was sie nachgiebig und verantwortungslos werden lässt. Es ist ja so bequem, die Fehler der Politiker kleinzureden und sich an ihren vagen Versprechungen festzuhalten. Als ob sich so irgendetwas verändern würde.
"Versager", schreit er und kickt gegen das Geländer. Er kann es nicht fassen, dass diese Liebesschwüre ihm immer noch die Luft nehmen. Doch die Wut fühlt sich gut an. Er kickt ein zweites Mal.
Gleichgültig nimmt er wahr, wie eine Passantin auf der anderen Straßenseite stehenbleibt. Mit Genugtuung sieht er, dass sie sich wieder umdreht und mit schnellerem Schritt weiterläuft. Er weiß, dass ihn seine Kumpels um seine tiefe Stimme beneiden. Er selbst mag seine Stimme eigentlich nicht, aber in solchen Situationen ist sie ein Sechser im Lotto. Er hört das gehässige Krächzen der Krähen, die an ihm vorbeifliegen. "Ruhe", brüllt er und die bösen Biester flattern verängstigt davon.
Die Liebe ist für ihn absolut bedeutungslos. Na klar, seine Mutter, die ist ihm wichtig. Aber eine Frau als Partnerin, das raubt ihm nur Energie. Energie, die er dafür braucht, Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. Die Ruhe kehrt in ihn zurück und er genießt sie, diese Klarheit, die in vorantreibt im Leben. Es ist ein trostloser Morgen mit einem Hauch von Nostalgie. Die Lichter der Straßenlaternen spiegeln sich in den Pfützen des Niederschlags der letzten Tage wider. Bitter schaut er zum Himmel hinauf. Es sind nach wie vor nur leichte, kraftlose Tropfen, die er auf seiner Haut spürt. Selbst der Himmel scheint ihm zuzustimmen, er hat jeglichen Zorn verloren, ja, er wirkt geradezu erstarrt beim Anblick der ernüchternden Leistung des undeutschen Volkes.
Wie viel lieber sind ihm die heftigen Sommergewitter der letzten Wochen gewesen, die gewaltvolle Warnung einer höheren Macht. Die deutschen Bürger schienen die Warnung einfach zu ignorieren. Aber er ist anders. Er ist nicht so feige wie sein Vater es früher gewesen war und es heute noch ist. Er bleibt nicht einfach stumm und schaut zu, wie sein Heimatland den Bach runtergeht. Ihm ist klar, dass es wichtig ist, am Ball zu bleiben. Er ist dazu bestimmt, gemeinsam mit den anderen für die deutsche Nation zu kämpfen. Sie vor den schlechten Entwicklungen zu schützen. Den deutschen Arbeitsmarkt zu erhalten, anstatt ihn Ausländern zu überlassen. Aber bis die Politiker das endlich kapieren, ist es zu spät. Falls es jemals soweit sein wird.
Er kickt nochmal gegen das Geländer und lauscht dem blechernen Klang der Erschütterung. Er fühlte sich so stark durch die Mitarbeit bei den Treuen Deutschen. Seit er vor zwei Jahren dort angefangen hat, weiß er was er kann. Er ist etwas. Das hatte er bei ihnen gelernt. Und er weiß endlich, wie Deutschland sein sollte. Und er kämpft täglich dafür, dass dieses Ziel eines Tages Wirklichkeit wird. Er glaubt daran. Leider gibt es viele, die anders denken. "Toleranz ist ein Wert, den wir auch von Ihnen verlangen", hört er die quietschige Stimme der Vorsitzenden der jungen Grünen, mit der er gestern telefoniert hat. Tief in ihrem Inneren wissen es wohl viele der Deutschen. Aber sie sind zu schwach, um es sich einzugestehen, sie reden sich ein, dass die Gesellschaft gut sei, so wie sie ist. Und träumen sich in eine heile Welt davon, indem sie Schlösser an Brückengeländer hängen. Erbärmlich.
Er läuft jetzt mit schnellem Schritt über die Brücke und am Hauptbahnhof vorbei. Sein schwarzes T-Shirt ist durchnässt und klebt an seinem Oberkörper. Er stört sich nicht daran. Das einzige was für ihn zählt ist, dass man die Aufschrift auf dem Stoff auf seinem Rücken lesen kann. Und, dass sein Vater sie gleich lesen kann. Auch wenn er es nicht mag, wenn seine Körperform für alle sichtbar wird. Es macht ihn wütend, dass das Fitnessstudio nur so langsam zu einer Veränderung führt. Aber er wird dranbleiben. Denn er hasst, immer der magere Typ zu sein.
Und er hasst diesen Weg. Er überlegt mehrmals, ob er umdrehen soll, entscheidet sich jedoch weiterzugehen. Er spürt den Kloß in seinem Hals, der immer entsteht, wenn er diesen Weg entlangläuft. Noch mehr als den Weg hasst er diesen Kloß. Reiß dich zusammen. Beiß die Zähne zusammen und ignorier einfach sein dummes Geschwätz. Mutter ist der einzige Grund, warum ich komme. Er ist jetzt beim Einfamilienhaus seiner Eltern angekommen. Beim Vorbeigehen kickt er gegen den silbernen Mercedes seines Vaters. Und so jemand will Mitglied bei der Öko-Partei sein.
Er prustet und spuckt gegen den linken Vorderreifen. Er klingelt und seine Mutter drückt ihn an sich. Noch in der Tür bietet sie ihm einen Wurstsalat und ein Bier an. Vom Vater kommt ein kurzes "Hallo Ronnie" aus dem Arbeitszimmer. Höflich, artig, distanziert. Das ist er, sein Vater. Ronnie grüßt nicht zurück. Während er isst, berührt ihn seine Mutter immer wieder am Arm. Er ist froh, so eine Mutter zu haben. Auch wenn er das vor den Jungs niemals zugeben würde. Er bemerkt ihr Trommeln mit den Fingern und kann nicht anders, als es anzusprechen.
"Und? Hat er ihn genommen?", fragt er und spricht dabei gerade so laut, dass es im Arbeitszimmer gut zu hören sein müsste. "Lass doch das Thema mal ruhen", bittet die Mutter. Das Trommeln ihrer Finger hat inzwischen einen schnelleren Rhythmus erreicht. Ronnie spürt die Schuld schwer auf seinen Schultern lasten. Gleichzeitig merkt er, wie sich das laute Pochen der Wut langsam in seinem Inneren ausbreitet. Ronnie schluckt den letzten Bissen und wartet. Er weiß, dass sein Vater reagieren wird. Stets um den Frieden bemüht. Und tatsächlich kommt der Vater schließlich in die Küche und setzt sich mit einer dynamischen Bewegung an den Tisch. Er atmet tief durch und kreist mit den Schultern. Wahrscheinlich hat er das beim Yoga gelernt. Das Gesicht des Vaters ist sonnengebräunt von der Arbeit im Garten und sein Körper, wie immer, gut trainiert. Ronnie dreht den Kopf und konzentriert sich darauf, seine Augen bei seiner Mutter ruhen zu lassen. Er erträgt sie nicht, diese Perfektion.
Der Blick der Mutter wandert nun hektisch zwischen den beiden Männern hin und her. "Ich würde so gerne über ein anderes Thema mit euch reden. Ronnie, du warst doch schon mal im Urlaub in Bayern. Wir wollen im September dort wandern gehen. Kannst du uns eine Gegend empfehlen?", ihre Stimme ist piepsig und überschlägt sich fast. Ihr Mann nimmt ihre Hand und wendet sich an Ronnie. Dieser hält den Blick stur auf die Mutter gerichtet. Mit betont ruhiger Stimme fängt der Vater an zu sprechen: "Ja, ich habe Adil angestellt. Sein syrischer Schulabschluss ist in Deutschland als Realschulabschluss anerkannt und er ist freundlich und motiviert. Zudem brauche ich dringend einen Auszubildenden als Bauzeichner. Warum sollte ich ihn also nicht nehmen?"
Es war klar. Ronnie hat nichts anderes erwartet von diesem Schwachkopf. Und doch könnte er explodieren. Es pocht in seinem Ohr. Er schluckt. Er wird nicht die Fassung verlieren. Dieses Mal wollte er der Sieger sein. Und wie immer, war der Vater besser. Ronnie schluckt. Er nimmt sich vor, nächste Woche, statt zweimal dreimal ins Fitnessstudio zu gehen. "Weil es darum geht, den Erhalt des deutschen Volkes zu sichern. Millionen qualifizierter Deutscher sind heute arbeitslos", spuckt er in Richtung seines Vaters. Am liebsten würde er seinem Vater ins Gesicht schlagen.
Er merkt, dass das Maß voll ist, dass er das dumme Geschwätz heute nicht ertragen kann. Dieser Überdruss an Toleranz. Dieses Zuviel an Empathie. Übelkeit macht sich in seinem Magen breit. Ein dicker Kloß steckt in seinem Hals. Er steckt seinen Schlüssel und sein Handy in die Tasche seiner schwarzen Hose und springt auf. Er umarmt kurz seine Mutter und schlägt die Tür hinter sich zu. Den Sinn der Worte, die sein Vater ihm hinterherruft, realisiert er erst, als er die letzten Meter zu seiner Haustür läuft. "Es ist eine Schande, dich als Sohn zu haben." ...
© Wir danken der Autorin Katja Wanner für die Leseprobe aus ihrer Erzählung "Ronnies Freiheit", 07/2020; Ergänzungen: 08/2020. Bildnachweis: Illustration eines Mannes, CC0 (Public Domain Lizenz).
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