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Die große Halle ist brechend voll, alle Sitzplätze sind belegt. Die Wachleute an den Flügeltüren lassen niemanden mehr passieren. Ein- oder zweimal wird das nicht akzeptiert, und von irgendwoher kommen einige Männer in dunklen Anzügen, die freundlich aber sehr bestimmt die Situation klären. Es kommt zu keinem nennenswerten Zwischenfall.
Weitere Sicherheitskräfte halten sich ohne augenscheinliche Präsenz im Hintergrund. Zwischen den Männern und Frauen in unauffälliger Kleidung, wie Anzügen und Kostümen in matten Farben, arbeiten noch die Leute vom technischen Personal. Das Lautsprechersystem wird noch einmal geprüft, es hat ein kleines technisches Problem gegeben.
Im Wesentlichen sind die Pulte in drei Gruppen platziert. Rechts von der Bühne befinden sich die Bänke der Vertreter der politischen Interessenten. Auf den Pulten stehen Klappschilder mit den jeweiligen Parteilogos. Politiker sind keine anwesend, die Parteien bieten nicht selbst, sie lassen sich durch Anwälte vertreten. Diese haben ihre Plätze eingenommen und beschäftigen sich mit Papieren, die sie mitgebracht haben. Oder sie geben es zumindest vor.
Auf der gegenüberliegenden Seite gibt es nur ein Pult, es ist für die Anbieter reserviert – bis jetzt befindet sich noch niemand dort. Etwa in der Mitte, aber weiter nach hinten versetzt, sind die Bänke für die Pressevertreter. Dort geht es etwas angeregter zu, die etwa zwanzig zugelassenen Reporter stehen in kleinen Gruppen beieinander und unterhalten sich lebhaft.
Ab und an sieht jemand nach der riesigen Uhr mit der digitalen Anzeige, die über der Bühne hängt. Plötzlich flammen noch einige Scheinwerfer auf, das ist wohl das Signal für den baldigen Beginn der Veranstaltung, denn jeder begibt sich zu seinem Platz. Das technische Personal ist verschwunden, die Gänge zwischen den Pulten sind leer. Im Hintergrund stehen schwarzgekleidete Sicherheitsleute an den nun geschlossenen Flügeltüren.
Da betritt ein grauhaariger Mann die Bühne und begibt sich direkt zum Pult. Schlagartig ist alles still im Saal, man blickt gespannt zur Bühne.
"Meine sehr verehrten Herrschaften, ich begrüße Sie bei unserer heutigen Auktion. Die Regeln sind Ihnen bekannt, ich bitte Sie in unser aller Interesse um eine ruhige Abwicklung und wünsche Ihnen viel Glück." Mit einer leichten Verbeugung wendet sich der Mann ab und macht den Platz frei für eine Dame in mittlerem Alter. Diese grüßt nickend in den Saal und legt einen kleinen Stapel Papiere vor sich ab. Dann nickt sie einem der Wachmänner an der Tür hinter dem Anbieterpult zu. Der öffnet die Flügel und lässt zwei gut gekleidete Männer in dunklen Zweireihern eintreten, die ohne Umschweife Platz nehmen.
Mit ruhiger und emotionsloser Stimme verkündet die Dame dann: "Meine Damen und Herren, der erste vorliegende Posten läuft unter der Bezeichnung Mehrfachkonteninhaber. Die CD ist ein Einzelstück und beinhaltet über 30-tausend Adressen, Namen sowie Konten."
Begleitend zu den Worten öffnet einer der Herren eine schwarze Schatulle, in der sich eine CD-Rom befindet und hält sie in die Kamera. Ein vorher dunkler Bildschirm, der an der Decke über dem Rednerpult angebracht ist, leuchtet auf und zeigt die Ware in mehrfacher Übergröße. Die Vertreter der politischen Parteien beugen sich interessiert vor.
"500.000 Euro, meine Herrschaften. Alle Daten sind auf dem neuesten Stand, die Kontoinformationen frisch. Nur relevante Adressen, wie die Verkäufer versichern. Ich erwarte Ihre Gebote." Ein Herr in Oxford Grau hebt die Hand und nickt. Noch bevor die Auktionsleiterin reagiert, wird von einem Parteienvertreter ein neues Gebot abgegeben.
Der Mann in Grau kommt von der Finanzbehörde, wie ein Reporter einem Kollegen zuzischelt. Der Run ist kurz, die Schatulle mit Inhalt geht für 900.000 an einen Anwalt, der für eine der großen Parteien hier mitbietet. Als die beiden Männer ihr Pult verlassen haben, begegnen sie auf dem Weg zur Tür schon dem nächsten Verkäufer. Das angebotene Objekt ist diesmal ein ganzer Koffer mit Telefonmitschnitten aus einem Regierungsamt in Berlin. Jeder berufliche und private Anruf ist gespeichert, über eine Zeit von sechs Monaten. Äußerst interessant für die Amtsleitung und die Relevanz tangiert die höchsten Ebenen.
Die CD bringt nach einem wirklich harten Kampf der Politvertreter die Summe von 2,4 Millionen Euro. Dieses Angebot war das Sahnestück der heutigen Veranstaltung. Die nächsten Offerten beziehen sich auf Krankenakten von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes in mehreren Städten der Republik, auf die Rückfallprognosen von freigelassenen Sexualstraftätern und dergleichen mehr. Hier gehen die Gebote nicht über eine halbe Million hinaus. Ein Objekt, das sämtliche Swingerclubmitglieder der politischen Landschaft Deutschlands zusammengefasst hat, geht für einen Preis von 30.000 Euro an einen Vertreter einer christlichen Partei.
Damit ist die heutige Auktion beendet, die Dame verlässt das Pult, an das nun wieder der grauhaarige Herr tritt, sich für die rege Teilnahme bei Anbietern sowie bei den Käufern bedankt. Einige freundliche Worte in Richtung der Presse, dann erlischt der große Bildschirm und man erhebt sich von den Plätzen. Alles geht sehr ruhig vonstatten, nur die Pressevertreter haben es ein wenig eilig und sind als erste verschwunden.
Unter den aufmerksamen Augen des Sicherheitspersonals werden die Wagen vorgefahren und kurz darauf ist niemand mehr vor Ort. Gleich werden die Reinigungskolonnen ihre Arbeit aufnehmen, und der Auktionsleiter wird das Protokoll vervielfältigen, da es immer wieder Nachfragen von Pressediensten gibt – gegen Bares natürlich. Dann ist alles erledigt und bereit für den nächsten Monat, für die nächste Versteigerung.
© "Steuersünder-Vision: Grenzenloser Ausverkauf": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Datensuche, CC0 (Public Domain Lizenz).
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