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Die Leipziger Buchmesse hat wieder einmal ihre Pforten geöffnet, und tatsächlich ist das Buch wieder in aller Munde, wenn auch leider nicht in jedem Regal. Der elektronische Vertreter des Mediums, das E-Book, holt neben den Hörbüchern gewaltig auf, was den Markt betrifft und sichert sich aller Vorausschau nach einen großen Anteil.
Wenn man von den neuen – und auch noch recht kostspieligen – Lesegeräten absieht, fehlt dem neuen Vertreter der Gattung so einiges an Unverzichtbarem, was die altmodische Variante für viele Menschen so unwiderstehlich machte. Wenn man so oder so am PC oder Notebook sitzt, ist es keine große Sache, ein virtuelles Buch aufzuschlagen und zu lesen. Das ist nicht mit einem großen Aufwand verbunden.
Aber – so würden manche Menschen sagen – ein Buch ist nicht nur ein Mitteilungsspeicher oder ein Medium, das Wissen oder Unterhaltendes vermittelt – es ist viel, viel mehr. Wenn man Zeit dafür hat, sich mit einer Tasse Tee, Kaffee und einigem an Naschwerk auf eine Couch oder einen bequemen Sessel zu fläzen und ein Buch aufzuschlagen, liest man nicht einfach – man genießt eine schöne Zeit mit einem Freund.
Das kann ebenso gut ein Fachbuch wie ein historischer Schmachtschinken sein, dies spielt keine Rolle. Jedenfalls funktioniert das mit digitalen Büchern weitaus weniger gut, ebenso wie das Lesen im Bett vor dem Einschlafen oder vielleicht an einem Sonntagmorgen. Für begeisterte Leser ist allein das Stöbern in einer Buchhandlung etwas spannendes, die Bände in den Händen zu drehen und den Klappentext zu lesen, oder schnell eine Leseprobe vorzunehmen – das ist Shopping der besonders entspannenden und geruhsamen Art.
Wer ein bestimmtes Buch sucht, findet es im Internet sehr schnell – aber so ein Exkurs in einem realen Buchladen oder Antiquariat ist in gewisser Weise ein Abenteuer. Man weiß nie, was einem begegnet und findet vielleicht einen Schatz. In einem Antiquariat können einem alte Freunde aus der Kinderzeit begegnen, die originalen Auflagen mit genau dem Titelbild, an dem man so vieles festmachte in der Kindheit.
Für ein Kind sind Bücher so etwas wie Türen, es ist wie ein Film – mit der ersten Seite geht die Tür auf, durch die man in eine andere Welt gelangt, in der die unerhörtesten Dinge passieren, bis alles ein Ende findet und man mit der letzten Seite wieder aus dieser Welt heraustritt. Wie ein aufgeweckter kleiner Leser einmal begeistert sagte: "Lesen ist wie Kino im eigenen Kopf!" Das ist eine der treffendsten Beschreibungen des Lesens, die man sich vorstellen kann – Kopfkino mit lebensechten Farben, Geruch und sogar Geräuschen.
Ein wirklich in ein Buch vertiefter Leser befindet sich in einer anderen Dimension und reagiert im Allgemeinen nicht auf äußere Reize wie Türklingeln, Fragen oder Gerüche ... zum Beispiel, wenn etwas ganz fürchterlich anbrennt. Man hatte doch nur einmal kurz reinschauen wollen, in das Buch.
Die Liebe zum Gedruckten äußert sich auf verschiedene Weise, mancher Gutenbergjünger behandelt seine Bücher wie Reliquien. Geordnet nach Autoren, Genre oder nach dem Alphabet stehen sie in Regalen und werden liebevoll entstaubt und nach Gebrauch stets gleich wieder auf ihren Platz gestellt.
Es gibt aber auch die entgegengesetzte Weise der Wertschätzung – je mehr Bücher geliebt werden, desto zerfledderter sehen sie aus. Der Besitzer stopft sie in den Rucksack, nimmt sie mit in den Urlaub oder auch zur Arbeit, trägt sie mit sich herum und hat sie eigentlich immer in greifbarer Nähe. Das kann unter dem Kopfkissen sein oder neben der Kaffeemaschine und hinterlässt natürlich Spuren, was den Besitzer nicht stört.
Manche Menschen lesen auch mehrere Bücher gleichzeitig und platzieren sie an strategisch günstigen Stellen, so wie etwa dem Badezimmer, dem Nachtschränkchen oder dem Handschuhfach des Autos. Wo immer sich eine kleine "Zeitblase" öffnet, liegt dann so ein Ticket für einen Miniurlaub herum, der in andere Welten entführt oder dem Input von Informationen dient. Dieses System wird gern von Hausfrauen mit Kindern angewendet.
Es zeugt zwar von schlechtem Benehmen, wenn man beim Essen liest, aber diese Variante ist gerade bei Kindern und Jugendlichen äußerst beliebt. Als Nebeneffekt kann die Speisekarte mehrerer Wochen nachvollzogen werden, was vom Leser durchaus nicht als störend empfunden wird. Penible Leser benutzen schöne Lesezeichen, manche sehr liebevoll von den Kindern oder Freunden selber gefertigt. Schlampige Leser nehmen dafür alles, was ihnen in die Finger gerät – von Geldscheinen bis hin zu Servietten, sowie Kinokarten oder Kontoauszügen. Die einfachste Variante ist, das Buch aufgeschlagen umzudrehen und so liegenzulassen. Es gibt auch die Eselsohrenmethode, die allerdings recht unzuverlässig ist.
Manche Menschen können nicht umhin, Worte oder ganze Sätze zu unterstreichen oder Ausrufe- bzw. Fragezeichen an den Rand zu malen, mit Kugelschreiber oder Filzstift, was viele andere Leser ziemlich verärgert, wenn es sich um ein Buch aus der Bibliothek handelt. Eine sehr interessante Gruppe sind die Mogler, nämlich diejenigen, die schon im Geschäft oder in der Bücherei die letzte Seite lesen, um sicherzugehen, dass es ein Happy End gibt – und andernfalls das Buch nicht kaufen.
Für den einen ist ein gutes Buch eine tiefe, stürmische und unvergessliche, aber einmalige Affäre – für den anderen eine längere Beziehung, weil er Bücher, die ihm gefallen, mehr als einmal liest. Für Leute, die unter chronischem Zeitmangel leiden, sind Hörbücher eine sehr praktikable Alternative, denn während man zuhört, kann man noch etwas anderes tun. Auf diese Weise kann Hausarbeit zum Vergnügen, oder die Wachstumsrate des Strickzeugs erheblich gesteigert werden. Für Kinder, die noch nicht lesen können, eine hervorragende Sache, denn die Fantasie arbeitet auf Hochtouren.
Die neue digitale Art ist mit Sicherheit eine gute Sache, das Angebot der virtuellen Bücher ist riesig und deckt alle Themen ab – aber als Kuschelfreunde müssen sie sich erst einmal bewähren.
© "Buch und Leser: Die Leipziger Buchmesse einmal anders". Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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