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Als Kind mochte ich sie, die Engel. Sie gehörten zu Weihnachten, noch viel mehr als der geschmückte Baum. Es gab sie in allen Variationen: wie niedliche Kinder erscheinend, mit putzigen kleinen Harfen und roten Bäckchen.
Daneben äußerst gut aussehende Engel mit softer männlicher Ausstrahlung und Haaren wie John Lennon oder Albrecht Dürer, in aufwendigen Gewändern mit interessantem Faltenwurf. Manche trugen sachte feminine Züge und wirkten insgesamt recht ätherisch.
Die Schwingen waren so groß wie der Engel selber, wobei die kindliche Variante eher so winzige Flügelchen hatte. Nicht zu vergessen die Rauschgoldengel, die Krönung jedes Weihnachtsfestes. Die hatten meist eine offene Schriftrolle mit einem frommen Wunsch oder einem Sinnspruch, und das kam dem eigentlichen Aufgabengebiet der Zunft recht nahe.
Überhaupt begleiteten sie einen durch das Jahr, die Engel. "Sei ein Engel und hole schnell noch etwas beim Bäcker", oder: "Na, da hast du aber einen fleißigen Schutzengel gehabt." Das waren stehende Redensarten, die man nicht hinterfragte.
Im Religionsunterricht waren sie auch gegenwärtig, ebenso in den Gebeten. In irgendeiner Fernsehsendung meldete sich ein Wissenschaftler zu Wort, der den Beweis lieferte, dass es keine Engel geben könne. Er betrachtete die Sache rein physikalisch und errechnete die Flügelspannweite, die nötig wäre, um einen Humanoiden mit Durchschnittsgewicht durch die Luft tragen zu können. Nun gut, vielleicht war die Symbolik nicht seine Stärke. Man hörte nichts mehr davon.
In den letzten Jahren nun haben die Engel ein gewaltiges Comeback erlebt. Das allgegenwärtige Flügelrauschen dröhnt nur so in den Ohren. Die esoterische Ecke jeder Buchhandlung hat Material in Hülle und Fülle anzubieten. Da gibt es Engelskarten, die dem guten alten Tarot fast den Rang abgelaufen haben. Bücher über Engel, wie Erlebnisberichte oder Tipps für den Umgang mit ihnen. Also ein Leitfaden für gutes "Englisch" gewissermaßen.
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass manche Leute regelrecht kumpelhaften Umgang mit den geflügelten Wesen haben, oder ohne den Rat der Engel nicht in der Lage sind, ihre Kaffeetasse zu heben. Geschenkeshops verkaufen "Ihren persönlichen Schutzengel" in allen Variationen und Materialien. Man wartet nur noch auf die Mauserhilfe.
Sie liegen voll im Trend, die geflügelten Geistwesen. Das wird spätestens dann klar, wenn man den PC hochfährt. Der virtuelle Himmel ist überfüllt wie ein Freibad in den Ferien, und wenn Engel stofflich wären, würden sie um einen Stehplatz rangeln müssen.
Auf den esoterischen Seiten werden Engelsberatungen angeboten, ganze Foren sind ihnen und nur ihnen gewidmet. Engelsgruppen allenthalben wohin man auch sieht ... Englisch ist eben Weltsprache.
Wie sehr sie im Trend liegen, ist schon allein an den Nicknames der virtuellen Gemeinschaft zu sehen. Da gibt es "Engelchen" in allen Variationen und – leider – auch Kombinationen. Da haben wir dunkle Engel, schwarze Engel, Todesengel, Blutengel, Feuerengel und was dergleichen interessante Kreuzungen mehr sind. Manche Damen mit Engelnamen zeigen Avatare, die einen glauben lassen, Engel müssten sich um ihre Cupgrößen wirklich Gedanken machen und kauften ihre Arbeitskleidung bei Beate Uhse.
Dabei fällt mir ein, dass Engel ja eigentlich geschlechtslos sein sollen. Spätestens jetzt stellen sich mir leicht die Nackenhaare auf und ich frage mich, was genau sind denn nun Engel?
Biblisch gesehen ist es recht unklar, was es mit ihnen auf sich hat. Zuweilen wird zwischen "mit Gott sprechen" und "mit einem Engel Gottes sprechen" kein eindeutiger Unterschied gemacht. Das legt den Gedanken nahe, dass Engel als Erscheinungsform oder als ein Aspekt Gottes galten. Wo eindeutiger von ihnen gesprochen wird, sind es meist Boten des Herrn, Mittler also zwischen Gott und den Menschen. In vorchristlicher Zeit wurden allerdings schon Menschen mit Flügeln dargestellt, wobei die Symbolik recht klar ist.
Das Botenthema findet sich auch in den kleinen Schwingen, die dem Gott Hermes, dem Götterboten, an die Sandalen geheftet sind. Also landen wir wieder bei der Symbolik, die uns den Engel an und für sich als Idee anbietet. Als Austausch. Als Rohrpostsystem des Universums meinethalben. Das ist auf jeden Fall besser als eine real existierende füllige Barbie in Dessous und mit einladendem Lächeln, die ihr Ego mittels einer abenteuerlichen Silbenkombination mit "Engel" als Hauptteil pflegt.
Da aber Menschen grundsätzlich nicht ohne übersichtliche Strukturen und Hierarchien leben können oder wollen, gibt es bei den Christen wie den Juden ganze Dienstpläne, wie welche Engel wo zum Einsatz kommen. Mit Namen und Dienstgrad. Komplett mit Untergruppierungen. Die Religionen haben sie ganz schön verwaltet, die Engel.
Und die findigen Menschen sind gerade dabei, sie ganz schön zu vermarkten, die Engel. Ein Blick auf jene Seiten, die esoterische Beratung oder Lebenshilfe anbieten, wirft dann schon wieder eine Menge Fragen auf.
Soweit mir bekannt, legen weder Bibel noch Kirche großen Wert auf Orakel und Wahrsagung. Es könnte sogar sein, dass es eher konträr zu sehen ist, wenn ein Christ sich in diesen Künsten übt. Und im Umkehrschluss könnte man sich fragen, wenn ein Esoteriker oder Nichtchrist "Engelsarbeit" macht, ob er da nicht etwas verwechselt oder nur dem Trend folgt und auf alles und jedes eine Engelsoblate pappt, um sich gut zu verkaufen? Angel sells???
Das alles rundet sich zu einem Bild von überwältigender und überzuckerter Oberflächlichkeit ab.
Wenn Engel Botschafter einer besseren Welt sind, dann haben ihre Mitteilungen mit all dem nichts zu tun. Denn eine alternative, lebenswerte Welt ist eben nicht oberflächlich.
© "Verstehen Sie Englisch? Das Comeback der Engel": Text und Illustrationen von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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