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2009. In Berlin fürchtet man zum 1. Mai eskalierende Gewalt, und die Sicherheitskräfte bereiten sich darauf vor. Anlässlich der angemeldeten Demonstration der rechtsextremen NPD haben Gegendemonstranten ebenfalls ihre Präsenz angekündigt. Das Bündnis "1. Mai Nazifrei!" plant scheinbar eine Blockade und wird so viel Anhänger mobilisieren wie möglich.
Weitere Kundgebungen der NPD werden auch in anderen Städten stattfinden, wobei der Schwerpunkt aber in Berlin liegen wird. Die Berliner Polizei befürchtet, dass sich gewaltbereite Chaoten unter die friedlichen Gegendemonstranten mischen werden, und versucht dem durch verstärkten Einsatz vorzubeugen, der vor allem für Abstand sorgen soll.
Das ist insoweit nachvollziehbar, wenngleich auch ein kleines Teufelchen hartnäckig etwas von "Agent provocateur" ins Ohr flüstert – denn die Praxis des eingeschleusten Aggressors, der für die gewünschte Eskalation sorgt, ist ja ebenso alt wie die des Demonstrierens und feierte in den sechziger Jahren fröhliche Urständ, wie man weiß. Im Gegensatz zu den damaligen Zeiten scheint man Demonstrationen gegenüber weitaus toleranter zu sein – Hauptsache, sie sind ordnungsgemäß angemeldet.
Früher reichten lange Haare bei beiden Geschlechtern, um in den Genuss der Wasserwerfer zu kommen, selbst wenn man nur Brötchen holen wollte und eigentlich gar nichts mit der Demo zu tun hatte. Vielleicht ist das der Grund, warum die rechtsradikale Fraktion heutzutage so gar keine Probleme mit den Stadtverwaltungen hat, denn schulterlange Mähnen kommen mit Sicherheit nicht vor. Aber hinter diesen launigen Gedankenspielen lauert ernsthaftes Erstaunen darüber, wie es möglich sein kann, dass sich ein solches Problem überhaupt stellt.
Es stellt sich die Frage, wieso dieses Land noch immer sehr schwer zu tragen hat am Erbe, dass das Dritte Reich ihm hinterlassen hat. Noch sind die Verbrechen, die während dieser grauenvollen Zeit begangen wurden, nicht vergessen. Noch leben Menschen, die direkt davon betroffen waren oder zu den Tätern gehören. Das Geräusch der Stiefel der braunen Milizen auf dem Straßenpflaster ist noch nicht völlig verklungen in der Erinnerung, und noch sind die Aufmärsche der SA und der SS in den Gedanken vieler Menschen gegenwärtig.
Dem trägt Rechnung, dass vieles verboten ist, was diese Zeit symbolisiert – niemand darf mehr "Sieg Heil" brüllen und dabei den rechten Arm vorstrecken. Die Runensymbole Sowilo und Odal sind nicht erlaubt in der Öffentlichkeit, wobei letztere interessanterweise die Kragenspiegel vieler Soldaten ziert – aber das muss man nicht unbedingt verstehen. Hier jedenfalls versteht das Gesetz keinen Spaß. Es ist auch verboten, den Holocaust zu leugnen – wer erzählt, dass dieser eine Propagandalüge ist und die Filmdokumentationen eine Fälschung, riskiert hohe Strafen und gesellschaftliche Ächtung.
Die Verbote sind verständlich und notwendig, aber sie betreffen vor allem Symbole. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, wieso Äußerlichkeiten strafrechtlich relevant sind, die tatsächliche Verkörperung dieses Gedankengutes aber nicht. Die NPD ist nach wie vor nicht verboten, sie wird sogar geschützt vor den linken Chaoten. Die Bündnisse gegen Rechts und die vielen Antifa-Gruppen in Deutschland greifen zuweilen zu den falschen Mitteln, das wird hier nicht bestritten – aber dafür sind sie diejenigen, die wirklich ankämpfen gegen eine große Gefahr, die scheinbar nicht wirklich realisiert wird.
Der Einwand, dass in einer Demokratie keine Partei verboten werden darf, kann hier nicht wirklich greifen. Denn wenn es einen wirklichen Feind allen dessen gibt, was demokratisches Denken heißt, ist es die NPD, und somit das verkörperte Nazitum. Von der Demokratie kann nicht erwartet werden, dass sie ihr genaues Gegenstück, ihren natürlichen Widersacher auch nur duldet – denn etwas anderes als völlige Diktatur ist der Nationalsozialismus nicht, wie die Vergangenheit zeigte. Und eine Diktatur wird nichts anderes als Elend, Unterdrückung, Gewalt, Willkür und Terror zeitigen.
Natürlich ist die "Volksherrschaft" keine unmittelbare – was hier im Argen liegt, spürt so langsam jeder Bürger. Den tatsächlichen Gegebenheiten nach handelt es sich auch eher um eine Regierungsform, die auf dem monetären Wirtschaftssystem gründet – und viele Menschen haben gute Gründe für ihre Unzufriedenheit, das bestreitet niemand. Aber sie dürfen ihrem Unmut Luft machen. Wenn jemand auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen hat, weil er jenseits der Vierzig ist, und in das soziale Abseits gerät, weil seine finanzielle Situation das forciert – das sind Dinge, die ganz und gar nicht in Ordnung sind. Aber noch wird keiner ausgegrenzt, weil er die falsche Augen- oder Haarfarbe hat.
Es ist, gleich wie man das Problem angehen will, nicht nachvollziehbar, wieso ein Aufmarsch der Unmenschlichkeit und eine Partei der Intoleranz und berufsmäßigen Rattenfänger in diesem Land geduldet wird. Es schadet der Demokratie keineswegs, wenn sie die in ihr lebenden Menschen schützt.
Liest man den Text der Verfassung, versteht man noch weniger, wieso der Braunton noch immer nicht von der Palette der deutschen Politlandschaft verschwunden ist. Manche Gegner eines Verbotes der NPD meinen zwar, ein Verbot steigere die Attraktivität – aber auch wenn das so sein sollte: Damit können wir vermutlich leben.
© "Gedanken zum 1. Mai | Gegen Gewalt und Terror": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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