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Feuer-Schröpfen
Wir haben uns ja an einiges gewöhnt, denn es gab schon vor den sonderbaren Einsparungsideen des Herrn Rösler nicht wirklich nachvollziehbare Änderungen, was das Gesundheitswesen betrifft. Man erinnere sich an die heiße Diskussion über die Praxisgebühr in Höhe von zehn Euro.
Natürlich begegnet man in einer Arztpraxis der Realität, denn es geht hier um Leiden und Schmerzen – aber diese Ebene wurde nach der Einführung der Gebühr um ein weites Feld bereichert. Die gestressten Damen an der Anmelde mussten sich da so einiges anhören und vor allem viele, viele Male erklären, dass diese Idee nicht auf dem Mist der Mediziner gewachsen war. Das begriffen viele Patienten nur langsam, oder aber sie brauchten einfach ein Ventil.
Mittlerweile hört man eigentlich außer hier und da einem unverständlichen Gemurmel kaum noch einen Kommentar, wenn in der Geldbörse nach dem passenden Schein gekramt wird. Von zehn Patienten lehnen etwa die Hälfte zusätzliche und kostenpflichtige spezielle Untersuchungen ab, nicht weil ihnen ihre Gesundheit egal wäre, sondern weil das momentan das Budget übersteigt. "Beim nächsten Termin dann", heißt es oft, weil das nicht jeder unumwunden zugeben kann. Oft sind es die Senioren, die so viel Selbstbewusstsein besitzen, um es auszusprechen: "Das kann ich mir jetzt nicht leisten."
Die Gesundheitsreform traf im Prinzip jeden, aber natürlich traf es die mit geringem Auskommen am Härtesten. Zum Beispiel wurde so etwas Alltägliches wie eine Sehhilfe von heute auf morgen ein Luxusartikel, denn es gab keine Zuzahlungen mehr. Wer also schlecht sah, musste damit klarkommen ... ob verschwommen oder nicht. Wer nun nicht viel Geld hatte und dringend auf Hilfsmittel angewiesen war, sparte für den Notfall – denn wer eine Brille braucht, ist arbeitsunfähig, wenn die kaputtgeht – außer er hat ein Zweitmodell zur Hand. Da viele den Optiker ihres Vertrauens schon mit Ratenzahlungen für eine Brille strapazierten, war an eine weitere einfach nicht zu denken.
Früher gingen nur Feiglinge nicht zum Zahnarzt, heute hat das eher mit den hohen Kosten für bessere Füllungen oder aber Zahnersatz zu tun. Die Gesundheitspolitik hat es soweit gebracht, dass eine normale Familie im Falle einer Krankheit einen Notfallplan aufstellen muss. Da wären die Zusatzzahlungen für Klinikaufenthalte, von denen sich Menschen mit niedrigem Einkommen theoretisch befreien lassen können, aber eben leider meist theoretisch. Die Befreiung ist von vielen Faktoren abhängig und erst einmal nicht relevant bei einem plötzlichen Krankheitsfall. Denn die Rechnung flattert schnell ins Haus und muss erst einmal gezahlt werden. Das gilt auch für Medikamente, denn auch hier ist eine Befreiung von den Zusatzkosten zwar möglich, aber nicht so schnell zu bekommen. Je nach Rezept kann das ohne weiteres 25 Euro oder auch mehr kosten, und das tut schon richtig weh bei jemandem, dessen Wochenbudget sich zwischen 50 und 100 Euro bewegt.
Selbst wenn man eine gewisse Notwendigkeit für diese Maßnahmen vermutet, so ruht der zweifelnde Blick doch ein wenig länger auf Menschen wie dem Gesundheitsminister, den man sich eigentlich nur schwer in der zweiten Reihe vor einer Anmeldetheke in einer Arztpraxis vorstellen kann. Nicht dass Politiker nicht krank werden, bewahre ... aber irgendwie sieht man sie nicht in abgeschabten Geldbörsen die Gebühr zusammensuchen. Sie hören wohl auch kaum die resignierten Worte des Arztes, die er oft zu seinen Patienten sagt: "Ich verschreibe erst einmal dieses Mittel – dazu bin ich verpflichtet – wenn es sich als nicht verträglich erweist, probieren wir etwas anderes."
Aber jammern hat auch damals nicht geholfen – als noch Norbert Blüm für die Reform verantwortlich zeichnete – und wird auch jetzt die Dinge nicht ändern. Was nun gebraucht wird ist Innovation. Der Trend zur Naturmedizin ist seit längerer Zeit unverändert stark, aber in dieser Hinsicht muss noch mehr gewagt werden. Zwar können Akupunkteure und andere alternative Anlaufstellen keine Klagen in Bezug auf zu wenige Klienten laut werden lassen, aber man muss den neuen Gegebenheiten noch in stärkerem Maße Rechnung tragen.
Warum greifen wir nicht auf Altbewährtes zurück, wie zum Beispiel das mittelalterliche Modell des "Bauchladendoktors"? Das würde allerlei Kurzweil auf Jahrmärkten und Volksfesten bedeuten, wenn das Zelt mit der Äskulapschlange aufgebaut wäre. Der Medikus könnte zwischen Achterbahn und Wurstbude schnell ein Geschwür aufstechen oder unter dem Beifall der Menge einen Backenzahn ziehen. Örtliche Betäubung gegen Aufpreis, versteht sich.
Eine liebreizende Assistentin in glitzerndem Badeanzug könnte lächelnd die verschiedenen Instrumente hochheben und zu dem spontan aufbrandenden Beifall der Zuschauer knicksen. Da gäbe es wirklich große Möglichkeiten. Die Städter würden sich schnell an die Ärzte gewöhnen, die von Haus zu Haus gehen und freundlich nachfragen, ob ihre Dienste gebraucht würden. In günstigen Fällen könnten die Naturheilmittelhändler auf dem Fuße folgen. Die Preise für Wohnungen oder Häuser mit Möglichkeiten für das Anlegen eines Kräutergärtleins würden wohl in astronomische Höhen schnellen. Und auf den Flohmärkten wären Raufereien um "Omas Kräutermedizinbüchlein" an der Tagesordnung. Das multikulturelle Leben in den Städten wäre um die fahrenden Mediziner bereichert, und der nette Herr aus China mit seinen Tigerknochenarzneien grüßte mit einer Verbeugung den Schamanen aus Sibirien und den afrikanischen Medizinmann, die beide gerade in eine Diskussion über Bluthochdruck verwickelt wären. Ein schönes buntes Bild, das unserer Vorstellung vom Erdenbürgertum durchaus entgegenkommen könnte.
Diese Konkurrenz würde mit Sicherheit die Wirtschaft beleben, und Arbeitsplätze könnten auch geschaffen werden. Varietemäßige Heiler brauchen Assistenzen, außerdem müssen die Arzneien hergestellt, Flugblätter verteilt und Blutegel gezüchtet werden. Mundgeblasene Schröpfköpfe sind ein Muss und kosten natürlich extra. Mittellose Patienten werden kostenlos operiert, denn da dies in der Öffentlichkeit geschieht, finanziert sich der Eingriff durch die Spenden der Zuschauer. Man muss sich eben zu helfen wissen, denn unsere Gesundheit ist doch kostbar ... oder etwa nicht?!
© "Rosskuren – Innovative Impulse für das Gesundheitswesen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Foto der Schröpftherapie von Alanna Ralph, Creative Commons-Lizenz.
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