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Es gibt kaum etwas am Menschen, dem so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird wie dem Haar. Eigentlich sind Haare nichts anderes als dünne Fäden, die aus derselben Substanz bestehen wie die Hörner, mit denen viele Tiere ausgestattet sind. Doch die Haarpracht ist ein wesentlicher Faktor, anhand dessen die Persönlichkeit bewertet wird.
Wie man in der Frühzeit mit dem natürlichen Kopfschmuck umging, ist nicht in allen Einzelheiten bekannt, doch Grabfunde zeigen auf, dass geschnitzte Spangen oder Nadeln schon durchaus zu den täglichen Gebrauchsgegenständen gehörten. In der Antike verwendete man mindestens so viel Zeit wie heute auf das Frisieren und Herrichten des Haupthaares ... wahrscheinlich noch mehr.
Brennscheren und Färbemittel wurden von beiden Geschlechtern geschätzt. Das kunstvolle Flechten zum Beispiel war nicht nur den Damen vorbehalten, sondern auch den Herren, die in manchen Kulturen auch ihr üppiges Barthaar mit einbezogen so wie im Zweistromland. Der Bart eines Mannes war in gewisser Weise der Sitz der Ehre, denn einen anderen am Bart zu ziehen galt als todeswürdige Beleidigung.
Die Ägypter, die uns auf den alten Darstellungen mit schönen dichten Pagenfrisuren vorgestellt werden, hatten die praktische Seite der Perücken entdeckt. So eine Zweitfrisur konnte zu einem sehr kostbaren Kunstwerk geraten – geschmückt und parfümiert war zeitweilig höchste Mode beim Adel und den Vornehmen. Untendrunter waren beide Geschlechter oft rasiert, was bei der Hitze durchaus seine Berechtigung hatte. Man konnte das Bad genießen und die Kühle, während geschickte Coiffeure die Haarpracht aufputzten.
Die komplizierten Frisuren der kretischen Damen lassen größte Kunstfertigkeit vermuten und hervorragende Kenntnisse in Sachen Kosmetik. Hierzulande war eine möglichst helle und dichte Haarpracht ein absolutes Muss, vor allem für die Männer. Dichtes und langes Haupthaar wurde mit Männlichkeit und Stärke assoziiert, wenngleich die Natur da nicht immer mitspielte. Es war üblich, sich das Haar mit Schwefel und anderen natürlichen Mitteln zu bleichen und Pferdehaare einzuflechten, um die ganze Sache voluminöser zu gestalten.
Keltische Krieger steiften ihre Frisuren mit Gipswasser, was sie mit ihren farbenfrohen Kleidern wohl wie Vorläufer der Punks aussehen ließ. Die hochgestellten Haare sollten die ganze Person größer und eindrucksvoller erscheinen lassen – ein Kniff, den man vielleicht den Tieren abgeschaut hatte. Denn deren hochgestellte Nackenhaare sollen sie ebenfalls in den Augen ihrer Kontrahenten größer erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind.
Dass davon noch vieles die Jahrtausende überlebt hat, ist anhand der zahlreichen Techniken ersichtlich, die angewendet werden, um schütteres Männerhaar zu verbergen. Von sehr guten Toupets, die eingeflochten oder geklebt werden, bis hin zu Wunderkuren und Haarverpflanzungen ist alles zu bekommen. Allerdings hat man seit einiger Zeit auch die Attraktivität eines wohlgeformten und haarlosen Männerkopfes entdeckt – wahrscheinlich seit Yul Brynner dadurch bekannt wurde. Ironischerweise war dessen Glatze allerdings nicht echt ... er rasierte sich täglich den Kopf.
Die Griechen ließen die Lockenpracht noch recht lang, die Römer allerdings führten den Kurzhaarschnitt für Herren ein. Bei römischen Damen waren Perücken aus dem Haar der Germaninnen sehr beliebt, des rotgoldenen Farbtones wegen. Von den Wandbildern der Etrusker weiß man, dass beide Geschlechter lange Flechten trugen und sehr attraktiv damit aussahen. Die Moden im Mittelalter wechselten sich ab – von langlockigen Mähnen für Männer bis zu Ponyfransen und Topfschnitt. Damen trugen neben ihrem Haar meist noch etwas anderes auf dem Kopf, und den unverheirateten Mädchen blieben lange Zöpfe vorbehalten.
Damit unter den Hauben die Stirnen recht hoch und rein wirkten, zupften sich zu manchen Zeiten die Frauen mühsam die Stirn- und Schläfenhaare aus. Es gehörte zum Ideal der Zeit und kann auf alten Darstellungen bewundert werden. Für den heutigen Geschmack sieht es etwas seltsam aus – aber das tat der mittlerweile gesellschaftsfähige Irokesenschnitt auch.
Der Einfluss der Mode erfuhr eine gewaltige Verstärkung, vom Menschen der Vorzeit bis heute, aber so richtig lustig wurde es an den Höfen Europas, als Könige wie Ludwig XIV. regierten. Es gibt die Geschichte der Herzogin von Fontanges, einer Favoritin des Sonnenkönigs, der sich bei einem Jagdausflug die Frisur löste. Kurzerhand nahm die pragmatische Dame ihr Haar mittels eines Bandes auf dem Scheitel zusammen und ritt weiter.
Der König fand diese Verlegenheitsfrisur ungemein attraktiv und löste damit eine wahre Hysterie aus. Denn schon nach kürzester Zeit war diese neue Art, das Haar zu tragen, allerhöchste Mode. Die Damen des Hofes wetteiferten um die höchste Frisur ... die "Fontange", denn der Stil wurde nach der Erfinderin benannt. Endlich, als so ein Ungetüm mehr als einen Meter messen konnte und von Stangen gestützt werden musste (man bediente sich dabei eines begleitenden Pagen), wuchs dem König die Sache über den Kopf und er verbot die Fontange.
Überhaupt waren Perücken das Übliche, denn die mangelnde Hygiene führte zu mancherlei Gästen, die sich im Kopfschmuck tummelten. Haarewaschen wurde vermieden, so gut das eben ging, weshalb man sich eine komplette Frisur überstülpte. Das Verbot war allerdings nur schwer durchzusetzen und Ludwig wird sich vielleicht des Öfteren die Haare gerauft haben. Aber es geschah ein Wunder und die Fontanges verschwanden praktisch über Nacht.
Das Wunder, das dazu führte, kam aus England, war eine bildhübsche junge Frau und trug das Haar in kurzen und gepuderten Locken. Was der König nicht durchzusetzen vermochte, vollbrachte mühelos eine schöne Frau mit einem neuen Stil. So ging es weiter, Knoten und Dutts wechselten mit hohen Rollen und um den Kopf gelegten Zöpfen, bis der erste Bubikopf erschien.
Nebenbei bemerkt wurden die Allongeperücken, die von den vornehmen Herren getragen wurden, ebenfalls üppiger und höher, so dass sie gefährlich in den Bereich der Lächerlichkeit traten. Diese wurden später von einfachen Haarbeuteln oder Nackenzöpfen abgelöst. Die Männermode, was die Frisuren betraf, wechselte danach eher selten und blieb lange Zeit recht langweilig.
Der kurze Schnitt der Flapper-Mode in den 1920er-Jahren brachte neuen Schwung für die Damen ... sie schnitten die sprichwörtlichen alten Zöpfe ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich für einige Zeit bei den Frauen eine Art "Minifontange" durch, die so genannte Hochfrisur. Allerdings weitaus hygienischer und recht hübsch anzusehen. Dauerwellen waren das Gebot der Stunde, und in den siebziger Jahren trugen auch Männer sie.
Die 68er-Bewegung brachte eine gewisse Freiheit und Gleichheit, denn lange Mähnen mit Scheitel waren die Einheitsfrisur bei beiden Geschlechtern. Viele Mädchen zogen sich damals verrenkte Rückenwirbel zu beim Bügeln der Haare, denn lang, glatt und glänzend war gefragt. Die legendäre Marsha Hunt machte den wilden Lockenkopf im Afro-Stil kommunenfähig, welcher von den Männern gern mit buschigen Koteletten und Bart variiert wurde. Haare waren zu jener Zeit überaus wichtig, denn sie waren ein Symbol für Freiheit. Damit wiederholte sich eigentlich die Geschichte, denn bei unseren Vorfahren war langes Haar ein Zeichen für freie Geburt. Nur Leibeigene und Verbrecher trugen die Zierde des Hauptes kurz. Der Ausdruck "Gscherter" bezeichnet noch heute einen eher sinistren Menschen niederer Herkunft.
Interessant ist in diesem Sinne auch Standardmode bei gewissen politischen Gruppen, die sich auf das Germanentum – oder was sie dafür halten – beziehen, denn sie tragen sich "geschert" und zeigen sich damit als Knechte ... nicht als Herren. Jedenfalls, was die tatsächliche Historie betrifft.
Heutzutage ist im Großen und Ganzen erlaubt was gefällt, und das Stadtbild bietet von langen Wallemähnen bis interessanten Kreationen in Grün und Pink einen Querschnitt durch die Mode der Jahrhunderte. Haarteile, Perücken, Pagenköpfe, aufgestellte Strähnen. Eigentlich hat es alles schon einmal gegeben. Jeder kann seinen eigenen Stil tragen und damit seine Persönlichkeit unterstreichen, oder vielleicht auch verschleiern.
Für die Pflege des Persönlichkeits-Aushängeschildes bietet die Industrie Tausende von Produkten, die Unglaubliches versprechen. Man wäscht sich nicht nur das Haar, man repariert es oder macht es geschmeidiger, dichter und gesünder – und die Hersteller reicher. Ohne Vitamine im Shampoo geht gar nichts, und Da Vinci hätte glänzende Augen bekommen bei der verfügbaren Vielzahl der Farbtöne, die zur Verfügung stehen.
Wie das Haar getragen wird, kann als interessantes Accessoire betrachtet werden – vorschnelle Schlüsse auf die Persönlichkeit sollte man als das sehen, was sie sind: an den Haaren herbeigezogen.
© "Unser Kopfschmuck: An den Haaren herbeigezogen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: oben Moderne Perücken, unten Schaufensterpuppen, beide: CC0 (Public Domain Lizenz).
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