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Augenzwinkernd wird vom "ältesten Gewerbe der Welt" gesprochen, und damit meint man nicht den Tauschhandel, der mit Recht so genannt werden kann, sondern die Prostitution. Das allerdings ist nicht richtig, denn in der Frühgeschichte des Menschen gab es wahrscheinlich mangels Nachfrage keine Bordelle.
Zwischenmenschliches war anders geregelt als in den kommenden Jahrtausenden – die vielleicht sehr moderate Rezeptur ging dann wohl verloren. Aus der Antike kennt man die Tempelprostitution, was nichts anderes heißt, als dass Frauen in den Tempeln sexuelle Dienste gegen Spenden und Geschenke tauschten, die allerdings dem jeweiligen Gott zugutekamen.
Oft wurden die fleißigen Mädchen Tempeljungfrauen genannt, wenngleich das nicht der passende Terminus gewesen sein dürfte. Allerdings waren intakte körperliche Jungfräulichkeit und Prostitution nicht an den gegenseitigen Enden der Messlatte markiert, so wie dies im Mittelalter der Fall war.
Grob betrachtet gab es zwei Arten von Prostituierten bzw. Huren. Zum einen die mondänen großen Kurtisanen, die nicht selten regelrecht Hof hielten und im Ruf standen, geistreich und gebildet zu sein. Die Salons dieser Damen waren Treffpunkt für einflussreiche Männer wie Politiker und Adlige, zogen aber auch Künstler an, die sich wohl fühlten in einem Kreis, der frei von Bigotterie war. In China hatte man die Frauen der guten Familien dermaßen reduziert auf hausfrauliche Dinge und auf bloßes Gehorchen, dass die Langeweile im eigenen Haus viele Herren in die Teehäuser führte, wo oft gebildete und freie Frauen Abwechslung und intelligente Unterhaltung boten.
Zum anderen gab es das Heer von Mädchen und Frauen, die durch Straßenprostitution ihr Leben fristeten, weil sie schlichtweg keine andere Möglichkeit hatten. Ob es sich nun um ein Waisenkind in Theben oder Rom handelt, oder um Ausreißer in den modernen Städten – Prostitution ist zuweilen für die Betroffenen bitter notwendig. Wer dem widerspricht, weiß wahrscheinlich nicht, was er sagt, denn irgendwann gibt es keine Möglichkeit mehr, außer dieser einen.
Vor allem im oder nach einem Krieg gab es kaum andere Möglichkeiten. Man denkt an die Frauen, die nach Kriegsende alleine waren in einem zerstörten Land, zwar keinen Mann mehr, aber dafür Kinder hatten, die hungrig waren. Geld gab es ebenso wenig wie Heizmaterial oder Kleidung, aber es gab Kriegsgewinner und Besatzungssoldaten, die entgegen den Befehlen gerne fraternisierten.
Viele wurden von einer Freundin zum ersten Mal mit in die jeweilige Kaserne genommen, hatten einen schönen Abend und gingen mit Proviant und einem neuen Freund nach Hause zu den Kindern. Dann war dieser weg und der nächste Verehrer kam, und irgendwann war es normal. Arbeit war nicht zu haben, Lebensmittel waren knapp, und wer lange genug gehungert hat – und vor allem seine Kinder hungern sieht – setzt einfach Prioritäten. Der Absprung gelang nicht allen Frauen, die sich nach dem Krieg prostituierten. Viele wollten es auch nicht mehr ändern, denn im aufstrebenden Deutschland gab es ungeahnte Möglichkeiten für findige Frauen.
Im Übrigen war der Unterschied zwischen Huren und ehrbaren Ehefrauen nicht so groß wie letztere es gerne gesehen hätten, denn im prüden und muffigen Nachkriegsdeutschland war sexuelle Selbstverwirklichung eine noch nicht entdeckte Dimension. Es gehörte zu den (gesetzlich festgelegten) Pflichten der Frauen, Geschlechtsverkehr zuzulassen. Dafür, und für ihre Dienste im Bereich der Hauswirtschaft, wurden sie bezahlt mit Unterkunft, Kleidung und Verpflegung. Das war der Deal in einer Zeit, als viele Väter ihren Töchtern eine Ausbildung verwehrten mit den Worten: "Die heiratet ja sowieso."
Dass viele Ehemänner dann doch öfter zu professionellen Huren gingen, lag wohl, wie im alten China, an der Langeweile. Auch das Viktorianische Zeitalter, in dem jede brave Ehefrau nur mit geflochtenem Haar in das Ehebett schlüpfte, um Zügellosigkeit zu vermeiden, kannte gewisse Häuser, in denen man sich ungezwungen amüsieren konnte. Der vielzitierte Satz den ehelichen Verkehr betreffend: "Schließ die Augen und denk an England, mein Kind" ist bezeichnend für diese Zeit. Und während Damen Migräne hatten und stickend in ihren überladenen Salons saßen, mussten sich Mädchen und Jungen für das Allernotwendigste an den Straßenecken verkaufen.
Genau betrachtet ist es in vielen Ländern der Welt heute noch nicht anders, oft werden sogar die Kinder der Ärmsten regelrecht gestohlen und für die Prostitution ausgebildet. Von dem Erlös für ihre Tätigkeit sehen sie allerdings nichts – außer dem Nötigsten, um ihren Marktwert zu erhalten. Da es aber bei den Armen fast unbegrenzten Nachschub gibt, muss kaum sehr viel in eine Hure investiert werden. Viele enden in irgendeiner Gasse oder einem Kanal mit aufgeschlitzter Kehle. Das sind die Schattenseiten einer Gesellschaft, die von doppelbödiger Moral dermaßen geprägt ist, dass alle Bereiche des Lebens davon betroffen sind, sogar noch in der heutigen Zeit.
Diese Verbrechen haben allerdings nichts mit dem Beruf der freien Hure zu tun. Da muss endlich umgedacht werden – das sahen etwa hundert Huren im Jahre 1975 in Frankreich genau so und nicht anders. Die Frauen besetzten die Kirche Saint-Nizier in Lyon. Mit dieser Aktion sollte die Problematik zum öffentlichen Thema werden, und dieser Zweck wurde erreicht – mehr noch, die Besetzung wurde zum Politikum. Das ganze Land wand sich geradezu, es wurde darüber berichtet und es gab polizeiliche Repressalien. Was diese Frauen wollten, war gar nicht viel – es ging ihnen darum, ihre schlechte Situation bekannt zu machen.
Angemeldete Prostituierte hatten zwar Pflichten, aber keine Rechte. Man forderte die gleichen Selbstverständlichkeiten, wie andere Berufsstände sie schon lange genießen: Krankenversicherung, Rente und alles, was ein Schweißer oder eine Krankenschwester auch erwarten kann. Warum es noch keine rechtliche Gleichstellung dieser Arbeit gibt, ist auch nicht wirklich nachvollziehbar. Denn es handelt sich – vorausgesetzt, es ist eine freiwillige Tätigkeit – um eine Arbeit wie jede andere auch. Hätten die Huren wirkliche Rechte und auch Anspruch auf Schutz, wäre das Zuhälterunwesen vielleicht unter Kontrolle zu bringen. Am Internationalen Hurentag sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Berufsstand zwar nicht der Älteste, aber doch durch die Jahrtausende etabliert ist.
Wenn ein Mann oder eine Frau völlig freiwillig die vorübergehende Nutzung des eigenen Körpers feilbietet, muss das von der Gesellschaft akzeptiert werden. Schließlich gibt es viel mehr Menschen, die ihre ethische oder politische Gesinnung verkaufen, und diese sind sonderbarerweise nicht geächtet – nicht wenige davon haben Stellungen inne, in denen sie über das Wohl und Wehe von anderen Menschen bestimmen können.
© "Der Internationale Hurentag am 2. Juni": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Illustration Rotlichtmilieu, CC0 (Public Domain Lizenz).
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