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Die Jahrmarktzeit ist gekommen, und in die meisten Städte und Dörfer auch die Schausteller, Budenbesitzer und Karussellbetreiber, obwohl sich das Wort Karussell doch sehr nach alten Zeiten anhört.
Heute würde eigentlich niemand auf den Gedanken kommen, diese Hochleistungs-Amüsiermaschinen als Karussell zu bezeichnen. Dafür klingt es doch zu sehr nach weißlackierten Pferdchen, Kutschen und kleinen Kabriolets mit dem unwiderstehlichen kleinen Knopf. Der war nämlich der Hauptspaß bei so einer fast zeitlupen-langsamen Fahrt.
Schon lange, bevor man von den auf einmal sehr kräftigen Kleinen auch nur in Sichtweite des Fahrbetriebs gezerrt wurde, hörte man die Symphonie für Tute und Quietscher, die sogar die neuesten Schlager übertönte, die grundsätzlich per Lautsprecher für Atmosphäre sorgen sollten.
Begeisterte Kinder ließen entweder den Finger gleich auf dem Knopf oder dosierten im Rundenmodus, nämlich immer dann, wenn sie wieder bei Mama und Papa vorbeikamen. Gleich daneben die lebendigen Ponys, die jeder bedauerte, weil sie stundenlang im Kreis gehen mussten und die doch jeder streichelte. Manche bekamen sogar mit, dass die Tiere umgeschirrt wurden in einem gewissen Zeittakt – inwieweit das die Lage der hübsch herausgeputzten Reittiere wirklich erträglicher machte, ist nicht bekannt.
Jedenfalls wurden Kinder in fast allen Größen von eifrigen Erwachsenen in die Sättel, und auch wieder herausgehoben. Manchen kleinen Reiter verließ plötzlich der Mut, denn die Pferdchen bewegten sich anders als die auf dem Karussell, und das war erst einmal beängstigend – und so mancher verhinderte kühne Cowboy klammerte sich heulend am Sattelhorn fest, bis Mutter oder Vater ihn erlösten.
Die Teenager sammelten sich in größeren Mengen, meist bei den schnelleren Bahnen oder gleich bei den "Boxautos". Das hatte allerdings weniger mit den angebotenen Attraktionen zu tun, als mit anderen Teenagern. Meist verfügten diese Fahrgeschäfte über junge und attraktive Fahrbegleiter, die in markigster Weise halsbrecherische Stunts auf den Trittbrettern hinlegten und für Mädchen in einem bestimmten Alter schlichtweg unwiderstehlich waren. Diese wiederum zogen gleichaltrige Jungs an, die vergebens versuchten, gegen die tollen Kerle von der Himalaya- oder Berg-und-Tal-Bahn anzukommen.
Die feschen Typen brachten das soziale Gefüge der eingeborenen Teenager-Cliquen jedes Mal, wenn der Jahrmarkt da war, sehr durcheinander. Das spielte sich erst wieder ein, wenn der Rummel weitergezogen war – und die gebrochenen Herzen der Mädchen und die Racheschwüre der Jungs sorgten noch wochenlang danach für Unterhaltung und deckten die Sensationslust der Beteiligten recht gut ab.
Viele Kinder zogen unter Assistenz der Großen begeistert Lose aus bunten Eimerchen, die freundliche Männer ihnen hinhielten – manche ließen richtig viel Geld bei den Losbuden, um doch noch die Puppe im Reifrock oder den riesigen Bären oder Panther mit nach Hause nehmen zu können. Das kostete meist weit mehr, als wenn man das Teil gleich gekauft hätte, aber da hätte der Spaß gefehlt. Es gab sogar hartnäckige Perfektionisten, die versuchten, Ringe über Flaschenhälse zu werfen, obwohl ihre daneben stehenden Freunde ihnen genau erklärten, wieso das nie und nimmer klappen könne.
Verliebte Paare machten an Buden halt, an denen man Pfeile auf Styroporherzen oder rosa Ballons werfen konnte, und die Schießstände waren immer bestens besucht. Seiner Liebsten eine unglaublich hässliche Plastiknelke verehren zu können, machte aus vielen Pazifisten richtige Kunstschützen. Und zum Jahrmarkt der alten Zeiten gehörte einfach dazu, dass die Angebetete ein Lebkuchenherz mit dümmlicher Zuckeraufschrift um den Hals und eine Kunstrose in der Hand trug, und unter dem Arm ein Plüschtier.
Eltern befestigten die Schnüre von heliumgefüllten Ballons an den Handgelenken der Kinder, denn wenn so ein bunter Schwebeball entkam, war das Geschrei meist sehr groß und konnte nur durch einen neuen Luftballon abgeschaltet werden. Manchmal auch mit einer dieser unglaublich roten und süßen Kariesbomben, die man kandierte Äpfel nannte. Deren Wert, was den Zulauf zu Zahnärzten betraf, konnten eigentlich nur noch die bunten Zuckerstangen übertreffen. Die waren meist gestreift in tollen Farben und schmeckten alle gleich, obwohl manche ein unverkennbares Pfefferminzaroma aufwiesen. Zuckerwatte blieb zwar auch am Gebiss haften wie Sekundenkleber, landete aber zum größten Teil auf den Backen, den Haaren oder der Kleidung der Kinder.
Außer den Buden und Bahnen fanden sich meist noch Krämerstände ein, die denselben Schnickschnack oder auch Haushaltsware verkauften wie die Geschäfte im Ort, nur eben teurer. Aber das nahm man in Kauf, denn wenn der Jahrmarkt kam, galt das als Ereignis.
Schlendert man heutzutage über die Märkte, dann sieht alles ein wenig anders aus. Viele kleine Buden sind verschwunden, sie sind längst ersetzt durch mobile Casinos, in denen man sein Kleingeld los wird, indem man versucht, Münzen dazu zu bringen, in einen Schacht zu fallen, oder es in eine Variante der Slotmaschinen steckt.
Man tauscht das Geld gegen Plastikchips, und die wiederum gegen Nippes der allerverspieltesten Art – kurz gesagt, dem Zeug, das man sonst keines Blickes würdigt. Außer, dass es mehr Glitzer und mehr Technik gibt, hat sich nicht viel geändert. Die verschiedenen Magenheber, also raffinierte Hochgeschwindigkeitsmaschinen, die dem wagemutigen Besucher mittels superschnellem Rotieren und plötzlichem Absacken versuchen, den Mageninhalt zu entlocken, ziehen nach wie vor kreischende Teenies an und sind ein interner Treffpunkt auf dem Festplatz.
Alles ein wenig schneller, teurer und technischer und im Großen und Ganzen nicht mehr so anziehend wie damals. Denn die bunte Welt der Medien ist ein tägliches Abenteuer und schlägt die Glitzerkugeln, die in den Buden hängen, bei weitem. Der Zauber, der aus der Musik, den Lichtern und den Düften eines richtigen Jahrmarktes kommt, wirkt allenfalls noch auf die ganz kleinen Kinder. Diejenigen, die noch zu klein sind für die digitalen Effekte der modernen Zauberkästen, die in den Kinderzimmern stehen. Und viele Großen erinnern sich noch.
© "Viel Glitzer und Technik: Kirmes, Dult und Jahrmarkt": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Karussell Kirmes, CC0 (Public Domain Lizenz).
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