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Arztpraxen sind, neben ihrem Wert für die Gesundheit, ein sozialer Begegnungsort. In den meist gut gefüllten Wartezimmern gibt es regen Austausch. Menschen, die sich bisher nicht kannten, teilen ihre Krankengeschichte mit den anderen Wartenden, und ihre Lebensgeschichte nicht selten gleich mit.
Geteiltes Leid macht so manches erträglicher, und beim Arzt kann jeder sicher sein, dass er auf Zuhörer trifft, die seine Probleme verstehen, weil sie ähnliche haben.
Ein Besuch beim Tierarzt ist da eigentlich nicht anders, vielleicht ein wenig stressbelegter, was die Geduld der Patienten angeht, aber dafür mit integriertem Streichelzoo, der wiederum für die Nerven gut ist.
Mancher Hundehalter scheut den Weg zum Veterinär, weil sein Hasso ein übler Raufbold ist oder sich zumindest dafür hält. Ein mit potenziellen Gegnern vollgestopfter Raum ist für Herrchens Vorstellungskraft erst einmal der reinste Horror. Von den Katzen ganz zu schweigen. Aber mittlerweile geht nichts mehr und man muss eben durch. Veterinäre können sich nicht über Arbeitsmangel beklagen, ihre Praxen sind meist voll.
Tiere leiden unter denselben Zivilisationskrankheiten wie ihre Menschen, das geht von Krebs über Diabetes bis hin zu Allergien und Gebissproblemen. Dazu kommt die Routine wie Impfungen und Kastrationen sowie allgemeine Checks. Früher oder später trifft es jeden Vierbeiner einmal. Also auf zum Onkel Doktor und ... überraschen lassen. Vor dem Wartezimmer herrscht verdächtige Stille, ist man vielleicht der einzige Klient an diesem Tag? Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein. Also beherzt die Tür geöffnet und in einen mit Menschen, Hunden, Käfigen und Transportboxen vollgestopften Raum treten.
Da der eigene Hund sofort zu einer wütenden Bellorgie anhebt, geht das "Guten Tag!", das man erschüttert von sich gibt, etwas unter, aber alle Anwesenden nicken dem Neuankömmling freundlich zu. Fast alle – einige haben den Arm bis zur Schulter in einer Kiste, um die kranke Katze oder das Meerschweinchen vor einer Nervenattacke zu bewahren – sind mit Streicheln und Beruhigen beschäftigt. Also sucht man sich eine freie Ecke, in die man sich mit extrem kurzgenommener Leine zusammen mit dem Flegel zurückziehen kann.
Erstaunlicherweise sind die meisten anderen Hunde ruhig, was wohl an der Ausnahmesituation liegt. Einige werden sich an öftere Besuche gewöhnt haben und betrachten die Praxis als neutrale Zone. Das vierbeinige Greenhorn nun weiß gar nicht, auf welchen Feind er sich zuerst werfen soll, außerdem hat er die Anwesenheit einiger Katzen registriert, kann sich darauf absolut keinen Reim machen und verlegt sich erst einmal auf gequältes Heulen. Das hat sofortiges besorgtes Nachfragen einiger Wartenden zur Folge. "Nana, so ein Guter! Was fehlt ihm denn?" Derart ermuntert stößt der nervöse Mensch erst einmal die Gründe für sein Hiersein hervor, während er Bello je nach Größe mit eisernem Griff an seine Knie drückt oder auf dem Schoß festhält.
Und sofort erfährt er von der freundlichen Dame gegenüber so manches über die Krankengeschichte ihres bezaubernden Mischlings, praktisch geht die Berichterstattung reihum. Der eigene Hund hat sich sonderbarerweise beruhigt, wahrscheinlich weil keiner der anderen Patienten auf seine Angebereien eingeht und höchstens freundlich mit dem Schwanz wedelt. Außer dem einen oder anderen leisen Fauchen aus einem Transportkorb verhalten sich die Tiere sehr zivilisiert.
Der Mensch entspannt sich langsam und nimmt an den Gesprächen teil. Da ist von Operationen die Rede, von Ängsten, und es werden auch sehr traurige Geschichten erzählt. Eine Dame meint, sie sei mindestens ein- bis zweimal im Monat hier, weil ihr Kater so ein übler Raufbold sei. Obwohl er doch als Kastrat sehr viel ruhiger sein sollte, meint sie und schüttelt dabei den Kopf. Der riesige Kater, der durch das Gitter der Box zu erkennen ist, nimmt die Situation mit stoischer Gleichmut. Er kennt das alles ja schon. Und man kann nicht übersehen, dass er der ganze Stolz seines Frauchens ist.
Ein ganz junges Mädchen ist gleich mit zwei Meerschweinchen da, eines hat Verdauungsprobleme und sie lässt das andere gleich mit untersuchen, meint sie. Ein älterer Herr mit seinem ebenfalls älteren Teckel erzählt von den Hunden, die er schon hatte und dass er sich jedes Mal, wenn er einen begraben muss, schwört, dass er sich das nicht wieder antun wird. Und dann, meint er lächelnd, dann kann er doch nicht ohne Hund. Er fühle sich sonst nur als halber Mensch, und außerdem kommt er auf diese Weise regelmäßig an die frische Luft. Der Rede pflichten alle bei, keiner will mehr "ohne".
Der in die Jahre gekommene Drahthaardackel schläft leise schnarchend auf den Füßen seines menschlichen Freundes. Ab und an wird der Nächste in die Behandlungsräume gebeten, manchmal von den guten Wünschen der Wartenden begleitet. Mittlerweile sind wieder Neuankömmlinge hinzugekommen, grüßen freundlich, erzählen ihre Geschichte und erkundigen sich nach den der anderen.
Eine Sache ist anders als beim Humanmediziner, wo jeder bestrebt ist, die Praxis so schnell wie möglich zu verlassen und meist nur beim Rausgehen grüßt. Hier beim Tierarzt gibt jeder den Wartenden, mit denen er sich ausgetauscht hat, Auskunft über den Stand der Dinge. Noch ein Streicheln für den hübschen kleinen Mischling, ein aufmunterndes Wort für die Dame mit dem Zwergkaninchen, man sieht sich vielleicht ja einmal wieder hier.
Menschen, die mit Tieren leben und denen ihr Wohl wirklich am Herzen liegt, sind eine besondere Spezies. Meist fällt ihnen das aufeinander Zugehen sehr leicht, sie haben vielleicht den Vierbeinern das Geheimnis der Verständigung abgelauscht. Und wenn sich die Sache mit Senta als Geringfügigkeit herausstellt, dann hat man sogar eine sehr interessante Zeit an diesem Tag verbracht.
© "Krankengeschichten in Arztpraxen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Verletzter Hund, CC0 (Public Domain Lizenz).
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