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2010. Deutschland lebt momentan im Frieden, was bedeutet, es wird in absehbarer Zeit niemand auf einem Bahnhof Abschied nehmen müssen von Familienmitgliedern, die den Marschbefehl erhalten haben. Wenn in naher Zukunft mit der Austeilung von Lebensmittelmarken zu rechnen ist, hat das nichts mit kriegsbedingten Knappheiten zu tun.
Damenkränzchen müssen keine Handschuhe und Socken für die tapferen Männer und Frauen an der Front stricken, und niemand ist mit Bollerwagen in rauchenden Trümmerstädten unterwegs, um verwertbare Dinge zu suchen. Niemand liest stundenlang und unter Tränen die letzten Feldpostbriefe, und die Kriegsversehrtenhilfe hat nicht allzu viel zu tun. Weihnachten wird fast jeder Uniformträger zu Hause sein können und ein schönes Fest genießen. Nichts ist rationiert, und wenn die Feiertagsbraten für manchen eher klein ausfallen, dann wegen der angeschlagenen Galle oder der Arbeitslosigkeit. Es wird in der allernächsten Zukunft hoffentlich keine Kriegswaisen geben, soviel kann angenommen werden.
Dieser unhaltbare Zustand hat die Gemüter mancher Landsleute doch sehr belastet. Die Hoffnungen waren hochgeschraubt durch die Krisen in Afghanistan und im Irak. Als sich da die amerikanischen Streitkräfte vordrängelten und dort so richtig aufräumten, waren manche recht enttäuscht. Zur Not hätte man ja auch mit den Amis Seite an Seite Spaß mit der Zivilbevölkerung haben können – es war ja genug für alle da, nicht wahr. Aber das ist Schnee von gestern – sollte eben nicht sein. Ein wenig hatte man noch auf die beturbanten Terroristen gehofft, ein Krieg innerhalb der Grenzen ist schließlich besser als nichts. Aber die trauen sich nicht so richtig.
Ein richtiger Mann braucht aber ab und an einen Waffengang, das ist gut für das Selbstbewusstsein und gehört sich nun einmal so. Wenn nun aber partout kein Fronteinsatz angesagt ist, die Bürgerwehr vor lauter Langeweile Mau Mau spielt – was bleibt da noch übrig? Richtig, man macht sich einen Krieg im Selbstbausatz. Was man dazu braucht, kann schnell organisiert werden.
Man nehme Knüppel, Latten und Eisenstangen sowie Tränengas und derlei mehr Spielzeug für das Kind im Manne und schare eine größere Meute Gleichgesinnter um sich. Strategisch ausgefuchst wählt man ein Angriffsziel und bestimmt einen möglichst dummen Vorwand, ganz wie im richtigen Krieg. Da blüht die Mannesehre auf und die Langeweile verfliegt. Man überfällt einen Zug, das rundet den ganzen Einsatz ab und sorgt für einen Schuss Desperado-Romantik.
Die angereisten Jungs, die für den feindlichen Fussballverein Fähnchen schwenken, hat man schließlich schon lange auf der Latte. Und dann geht das so richtig los, fast wie im Kino. Kloppe auf die Waggons, Scheiben zerschmettern und rumbrüllen wie Hirsche bei den Brunftkämpfen. So machen das auch Menschenaffen, wie man weiß. Die röhren und klopfen sich mit den Fäusten auf den enormen Brustkasten, um den Gegner zu demoralisieren.
Der Unterschied zwischen Gorillas und Hooligans liegt vor allem in der geistigen Haltung und der Intelligenz (die großen Affen sind sozial hochintelligent entwickelte und friedfertige Tiere mit erstaunlicher Lernfähigkeit). Die Angegriffenen reisten mit Polizeipräsenz, da einige der Fans nicht zu der friedfertigen Sorte gehören und sich wohl gerne in ein richtig herrlich ausartendes Handgemenge gestürzt hätten, aber da war die Obrigkeit vor. Die völlig normalen mitreisenden Fans werden diese Zugfahrt wohl nicht vergessen und waren vermutlich froh über die Beamten, die das Schlimmste verhinderten.
Nun ist so ein selbstgebastelter kleiner Krieg nicht ganz so toll wie in echt, es gab keine Verletzten und schon gar keine Toten. Es gab nur Sachschaden in ziemlicher Höhe. Aber man konnte schon ein wenig Pulverdampf schnuppern, vielleicht reicht es ja zum Träumen. Schützengraben-Idylle und die Schreie der Verletzten, Beileidsbriefe nach Hause und Weihnachten an der Front – herrlich. Da gilt der Mann noch als Mann und braucht keine Stütze, um zu überleben – es rennen ja genug Ratten in den rauchenden Trümmern herum.
Noch sind die Ritter der Eisenstange nicht identifiziert, sonderbarerweise brüsten sie sich nicht in der Öffentlichkeit mit ihren tapferen Taten. Es gibt ja schließlich keinen Orden, sondern mindestens eine heftige Geldstrafe. Der ganze Aufwand taugt eigentlich nur zum Angeben im Kreise der Mitstreiter und zum Aufpolieren des angeschlagenen Egos. Und dazu, sich das Leben möglichst gründlich zu versauen.
Aber das ist auch gar nicht wichtig, denn wer denkt schon an die Zukunft, wenn er sich mitten im Krieg befindet. Da gelten andere Gesetze.
© "Ein Krieg ist durch nichts zu ersetzen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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