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Ein neues Zeitalter scheint angebrochen, denn die Zeitschrift "Brigitte", traditionell das Gegenteil von "Emma" und "Courage", will Zeichen setzen. Auf die kleidervorführenden Hungerhaken soll in Zukunft verzichtet werden, und sich mit normal gebauten Models – sprich "der Frau von der Straße" – den real existierenden Konfektionsgrößen annähern.
Sollte das wirklich so sein, wäre dies ein guter Weg. Die Geschöpfe, die da so ätherisch auf den Hochglanzseiten oder den Laufstegen präsentiert werden, wären eher als wandelnder Spendenaufruf für die Welthungerhilfe denn als Mannequin zu gebrauchen und beleidigen das Auge. Die Kreationen der Modeschöpfer sehen zwar oft, in den Alltag transponiert, nicht sehr tragbar aus – aber an den vorstehenden Rippen der kränklich aussehenden Damen erreichen sie die Grenze des Grotesken.
Dieser Skelett-Look entspricht nicht einmal dem gerade gängigen Schönheitsideal, es ist eine Geschmacklosigkeit, die eine eigene Dynamik entwickelt hat. Man fragt sich, ob die Besucher der großen Modeschauen heimlich Wetten darüber abschließen, welches Model zuerst zusammenbricht. Es muss ja schließlich einen Grund dafür geben, dass sich die Menschen so etwas ansehen.
In der Vergangenheit hatte die Mode schon immer skurrile Ausmaße – ein Gesellschaftsspiel für Müßiggänger und Gelangweilte. Glaubt man manchen Psychologen, so ist ein Gutteil Masochismus dabei, denn "modisch aussehen" konnte ziemlich schmerzhaft sein. Man denke an das Schnüren, nur um eine Taille vorweisen zu können, die von zwei Männerhänden umfasst werden konnte. Einige konsequente Damen ließen sich sogar Rippen entfernen, um dem Ideal zu entsprechen, heißt es.
Und ab der Taille schleppte man kiloweise Gewichte in Form von Krinolinen und Unterröcken mit sich. Diese wandelnden Glocken waren so gut wie bewegungsunfähig. Wahrscheinlich trauten sie sich bei windigem Wetter nicht auf die Straße. Ein moderates Instrument zur Selbstkasteiung waren wohl auch die "Fontanges", bis zu 1,5 m hohe Haargebilde auf den Köpfen der Damen am französischen Hof. Tatsächlich trieben es manche so weit, dass ein begleitender Page diesen Haarturm mit einer Stange stützen musste. Das Gesicht einer Dame a la mode befand sich zu dieser Zeit etwa in der Mitte ihrer Erscheinung.
Das Korsett war wahrscheinlich notwendig, damit man sich aufrecht halten konnte mit diesen Gewichten, die man zu tragen hatte. Viel später trugen die Damen, die auf sich hielten, den Cul de Paris, den Pariser Hintern. Eine Art von Rosshaarkissen, das die Dame in ein Schlachtschiff mit ausladendem Heck verwandelte. Die Frage kommt auf, wie um alles in der Welt man sich damit hinsetzen konnte. Aber das war wohl schon bei den überdimensionalen Reifröcken eine artistische Leistung. Bei all diesen erstaunlichen Moden war die geschnürte Mitte unbedingt ein Bestandteil.
Doch trotz der "Sanduhrlinie" waren die Schönen der Vergangenheit nicht dürr zu nennen. Glaubt man den schmachtenden Sängern, die hingerissen volle milchweiße Arme besangen, so waren sie recht drall, die Schwestern damals. Der Maler Rubens, der eine Vorliebe für präsente Frauen hatte, machte die Fülle geradezu sprichwörtlich mit seinem Namen. Und die Bildnisse Bouchers zeigen wunderschöne Damen, die allerdings nicht in Konfektionsgröße 36 passen.
Selbst die ranken Schönheiten auf den ägyptischen Fresken, die in schön proportionierter Schlankheit und hauchzarten Gewändern gemalt sind, haben ein neckisches Bäuchlein. Und die Kreterinnen, die zuweilen knabenhaften Geschöpfe, zeigen sich trotz allem mit sehr weiblicher Oberweite.
In den alten Zeiten waren Modeexzesse im Übrigen nicht nur für die Frauen da, in der Antike wurde auch bei den Herren gezupft, geschminkt und gekräuselt, was das Zeug hielt. Ein recht tröstlicher Gedanke eigentlich – man kommt sich nicht allein blöd vor. Vom Bruder des Sonnenkönigs, dem Herzog von Orleans, heißt es, er trug bei seinen begeisterten Einsätzen im Gefecht keinen Helm, damit seine sorgsam coiffierte Frisur nicht zerdrückt wurde. Möglicherweise übertrieb er die Modehörigkeit sogar noch mehr als seine Zeitgenossen – aber dass er sein Leben aufs Spiel setzte, um des Aussehens willen, ist kein Einzelfall. So mancher Kavalier wurde wegen zu starker Schnürung bei einem Ball etwas blass um die gepuderte Nase.
In späteren Zeiten setzte sich eine nüchterne Betrachtungsweise durch, bzw. änderte sich das Selbstbild der Männer. Fortan wurde es den Frauen überlassen, sich zum Narren zu machen. Und sie taten es mit Begeisterung bis heute. Erich Kästner verewigte diese Damen in seinem Spottgedicht als "Sogenannte Klassefrauen" und meinte damit die Spezies, die sich den Teufel antut, weil irgendwer ihnen erklärt, was Schönheit ist. Sie lassen sich Gelkissen unter die Haut schieben, sie verwandeln ihre Haut unter der Sonnenbank in eine Art Leder, sie schrecken nicht einmal davor zurück, sich Schlangengift in die Haut spritzen zu lassen (nun ja, vielleicht war der Tod der Cleopatra ein Unfall bei einem Selbstversuch, da sie gerade die Botoxbehandlung erfunden hatte).
Aber das Schlimmste von allem: sie versagen ihrem Körper die Nahrung, bis sie aussehen wie die Frauen in Afrika, die ihre verhungernden Babys im Arm haben und selber dem Tod geweiht sind. Oder wie wandelnde Skelette, die die Konzentrationslager überlebten. Solche Körper, die mit dem lasziven Gang der Models und behängt mit Designerfähnchen den Catwalk entlanggeistern, sind eigentlich eine einzige geschmackliche Verirrung und eine Verhöhnung derjenigen Menschen, die nicht genug Nahrung haben, um sich am Leben zu erhalten. Wahrscheinlich erheben weder die Mannequins noch die Designer einen Anspruch auf Schönheit, es geht hier wohl um etwas anderes. Etwas, das viel mit kaltem Zynismus zu tun hat.
Jedenfalls wäre es ein Anfang, wenn eine führende Frauenzeitschrift sich aus diesem morbiden Zirkus ausklinkt.
© "Kleider von der Stange: Der morbide Zirkus der Mannequins": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Zwei Puppen, CC0 (Public Domain Lizenz).
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