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Frankreich stand im November 2009 vor einer geschichtsträchtigen Revolution. Die Pariser Abgeordnete Edwige Antier, Wortführerin einer Anti-Gewalt-Kampagne, forderte ein Verbot der Prügelstrafe im Elternhaus.
Anders als hierzulande, wo ein entsprechendes Gesetz seit dem Jahr 2000 in Kraft getreten ist, dürfen französische Eltern ihren Kindern "körperliche Verweise" erteilen, sprich: Gewalt als Erziehungsmittel einsetzen; in den Schulen ist die Prügelstrafe allerdings abgeschafft.
Was geeignete Erziehungsmaßnahmen betrifft, so ist man beim europäischen Nachbarn eher konservativ eingestellt: Ein Jahr zuvor machte ein ohrfeigender Lehrer Schlagzeilen. Der Mann war von einem elfjährigen Schüler mit einem wenig schmeichelhaften Schimpfnamen belegt worden und hatte zugelangt, woraufhin der Vater des Jungen dafür sorgte, dass der Mann 24 Stunden unter Arrest gestellt wurde.
Interessanterweise erklärten sich viele Kollegen, Eltern und sogar ehemalige Schüler mit dem gestressten Pädagogen solidarisch. Eine Unterschriftenaktion brachte es auf über 15.000 Signaturen, tatsächlich könnte man von einer Sympathiewelle sprechen, die über dem Mann zusammenschlug. Auch von Seiten der Politik hatte man Verständnis für den Lehrer, wenn man auch mit der Ohrfeige nicht grundsätzlich einverstanden war.
Ein Politiker meinte, dass mehr Lehrer unter der Gewaltbereitschaft der Schüler zu leiden hätten als umgekehrt. Überraschend ist das alles nicht, zieht man in Betracht, dass die Mehrheit gegen diese Einschränkung der Erziehungsmaßnahmen ist. Man will sich in die Erziehung nicht unbedingt dreinreden lassen. So gesehen ist diese neue Revolution dringend notwendig, aber steht es beim französischen Nachbarn wirklich so viel schlechter als bei uns?
Zwar ist Gewalt gegen Kinder verboten – aber wer hält sich tatsächlich daran? Nervlich extrem angespannte Eltern und Lehrer, die ständig am Rand eines Burnout-Syndroms stehen, haben einen schweren Stand. Schläge sind das schlechteste Mittel, das man zur Erziehung einsetzen kann, das ist sicher.
Wie ist ein kleiner Schubs oder einige Püffe zu werten, um ein trödelndes Kind "aufzumuntern"? Was wiegt schwerer, ein Schlag auf die Finger oder permanenter Liebesentzug? Tausende von Kindern werden von ihren Eltern körperlich und seelisch misshandelt, und die Tendenz steigt. Zur seelischen Misshandlung kann auch das absolute Desinteresse an der Person des Kindes gewertet werden, welche sich in erschreckender Weise etabliert hat. Das bezieht sich auf jene Kinder, denen man fast alle materiellen Wünsche erfüllt, um sich von der Erziehungspflicht freizukaufen.
Es ist erschreckend, wie viele Eltern nicht die geringste Ahnung haben, womit sich ihre Kinder beschäftigen. Da kaufen Eltern PC-Spiele, die ab achtzehn Jahren freigegeben sind, obwohl der hoffnungsvolle Sprössling erst knappe zwölf ist. Ein solches Verhalten kann mit keinem Stress der Welt entschuldigt werden. Aber es ist leider nicht selten.
Erziehung bedeutet erst einmal ein gerüttelt Maß an Pflichten für die, denen sie obliegt. Die Sorge für die seelische Entwicklung ist ebenso wichtig, wie die für die körperliche. Aber das setzt ein gewisses Interesse am Kind und seiner Zukunft voraus. "Wer seinen Sohn liebt, züchtigt ihn", so spricht die Bibel und damit haben sich viele Generationen verteidigt, wenn der Riemen, die Rute oder auch die Hand zum Einsatz kamen, um zu strafen.
Zu allen Zeiten, so scheint es, war man sich darüber einig, dass körperliche Strafen für die Erziehung unabdingbar notwendig sind. Durch das ganze Mittelalter hindurch erklangen Lobgesänge auf die Rute, wenngleich es auch zu allen Zeiten Kritiker gegeben hat, wenn auch nur wenige. Das sind nun alles bekannte Fakten, und es war ein langer Weg von dem Spruch "Kinder soll man sehen aber nicht hören" bis zu der Erkenntnis, dass eine Kinderseele ein sehr zerbrechliches Ding ist.
Die Realität sieht anders aus. Hauen, Schubsen und Wegsperren gehören für viele Kinder zum Alltag, das wissen wir. Zum Alltag der Eltern und Lehrer gehört die ständige Angst bei der Gratwanderung, die sie täglich machen müssen. Da tritt mancher Lehrer nur noch mit permanenter Angst vor die Klasse, denn zur Abwehr hochgehaltene Hände, oder der Versuch einem attackierenden Schüler die Hände festzuhalten, können die Suspendierung bedeuten.
Manche Eltern sehen sich nicht mehr in der Lage, ihre Kinder im Teenageralter um eine kleine Gefälligkeit zu bitten, da dies sofort einen Schwall übelster Beschimpfungen auslöst. Es gibt völlig überforderte Eltern, die niemals auch nur eine Backpfeife in Betracht gezogen, geschweige denn verteilt haben, die von ihren Kindern beleidigt oder gar mit Prügeln bedroht werden. Zaghafte Versuche, ein klärendes Gespräch zu führen, werden im Keim erstickt – und mit nicht gerade netten Worten.
Mancher Erwachsene, der versucht hat, eine Prügelei auf der Straße zu unterbinden, kann von einem erstaunlichen Vokabular berichten, das seinen Horizont in Bezug auf kreative Schimpfworte der fäkalen Art explosionsartig erweitert hat. Und so mancher hatte Glück, dass es nur bei Beleidigungen geblieben ist.
Die Tatsache, dass viele Erwachsene tatsächlich nur ernten, was sie selber gesät haben, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch andere Fälle gibt. Und leider ist auch da die Tendenz steigend. Die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern, oder überhaupt zwischen den Generationen, scheint völlig gestört zu sein. Man kennt die Unfähigkeit vieler Eltern, sich mit den Kindern tatsächlich auszutauschen, da es ihnen nicht möglich ist, deren Sprache zu verstehen. Das mag unter anderem an der Unfähigkeit liegen, sich in das Kind hineinzuversetzen, um dessen Art der Kommunikation zu verstehen.
Was die umgekehrte Problematik betrifft, so kann wohl behauptet werden, dass die Kinder die Fähigkeit zur Kommunikation bzw. zur Konfliktbewältigung nicht erlernt haben. Wer seine sozialen Erfahrungen fast ausschließlich in virtuellen Spielwelten oder über das Internet macht, wird real kaum zu einem befriedigenden Austausch fähig sein. Frustrationserlebnisse gehören zum Erwachsenwerden, und die Fähigkeit, diese zu integrieren, ist ein Lernprozess. Ebenso das Verstehen und Einfühlen in eine andere Person. Findet der Lernprozess nicht statt, da die soziale Interaktion durch etwas anderes ersetzt wird, kann das Versäumte kaum nachgeholt werden, und die Hilflosigkeit und das Unvermögen schlagen in Gewalt um.
Könnte man abschließend also sagen, Gewalt ist zwar in jedem Falle abzulehnen, doch das Recht auf Selbstverteidigung steht jedem zu?
Am Rande bemerkt sei, dass es Gemeinschaften von Menschen gibt, bei denen die Züchtigung von Kindern praktisch nicht bekannt ist, da sie nie ausgeübt wird. Ein Beispiel sind die Buschmänner der Kalahari, deren hochentwickeltes soziales Gefüge völlig ohne Zwang auskommt. Allerdings sind die Gegebenheiten dieses Stammes so, dass Gewalt lebensbedrohend wäre, da das Überleben in der Kalahari sehr schwierig ist, und der Clan überlebenswichtig. Diese Menschen scheinen einiges zu wissen, dass wir schon längst vergessen haben.
© "Es lebe die Revolution – Zur Prügelstrafe im Elternhaus": Textbeitrag und Abbildung von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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