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(Dezember 2010) Dieser Tage fällt dem einen oder anderen ein Artikel geradezu schmerzhaft ins Auge – einer, der von einer absoluten Ungeheuerlichkeit berichtet. Da gibt es, wie eine große Tageszeitung schreibt, eine Schule in Berlin-Neukölln, die eine Besonderheit aufzuweisen hat. Nämlich die, dass tatsächlich 100 Prozent der Schüler lernmittelbefreit sind.
Das ist nun kein Modellversuch in Sachen sozialem Schulwesen, sondern bezieht sich darauf, dass alle, aber nun wirklich alle Eltern der Schüler Hartz-IV-Empfänger sind. Und weil der Bürger nun einmal ein Recht auf genaue Informationen hat, gibt es auch Zahlen, die belegen, wie viel der Bürger jährlich "blechen" muss für die Bücher – so drückt man sich aus in diesem Artikel der Bild und liefert auch eine Zahl: 38.064 Euro sollen es sein.
Für Leute, die sonst nichts zu tun haben, ist das eine schöne Rechenaufgabe für die Mußestunden. Man könnte grob überschlagen, was jeden Einzelnen von uns die Bildung für diese Kinder so kostet. Empörte Bürger greifen jetzt zum Taschenrechner, die anderen haben das schon längst getan und errechnen ihren Anteil am Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Bezirksbürgermeister Buschkowsky leitet dann auch gleich einen gewaltigen Wasserfall auf alle gängigen Mühlen und erklärt so nebenbei, wie die Kinder an dieser Schule reden. Die sagen nämlich ihren Lehrern, die es nicht besser wissen, dass das Geld ja schließlich vom Amt kommt.
Das Kopfschütteln der Leser könnte – übertrüge man es in Windkraft – wohl ein AKW ersetzen, zumindest für kurze Zeit. Aber es kommt noch besser, noch tendenziöser. Eine Mutter, deren Kind auf der Schule ist, erzählt, was die Schüler noch so von sich geben, weil sie nichts lernen wollen. Sie sagen: "Ich werde Hartz IV, das reicht." Spätestens jetzt bleibt dem arbeitenden Deutschen die Luft weg vor gerechter Empörung. Die besagte Mutter ist um einige Klassen besser als die anderen Eltern, sie arbeitet wenigstens halbtags und gehört somit zur gehobenen Klasse der Hartz-IV-Bezieher und darf sich deswegen in der Zeitung äußern.
Aber die Bild-Zeitung wäre nicht das, was es nun einmal ist, wenn es damit schon ihr ganzes Pulver verschossen hätte – es gibt noch ein besonderes Leckerli für den inneren Angstbeißer, denn von 366 Schülern sind 73 Prozent ausländischer Herkunft. Was für ein Glücksfall für die Berichterstatter, denn so etwas zu erfinden, hätten vielleicht nicht einmal die Schreiber dieser Zeitung so ohne weiteres gewagt. Wobei es sich aber doch lohnen würde, etwas genauer zu recherchieren, was die Neuköllner Löwenzahnschule betrifft, die hier fröhlich als Vorbereitungsinstitut auf den "Lernberuf Sozialhilfe" beschrieben wird, der zum Wunschziel fauler Schüler geworden ist.
Man könnte davon ausgehen, dass solch einfach gestrickte Polemik die Leser entweder anwidert oder einfach zum Lachen bringt, aber die Kommentare zum Onlineartikel der Bild zeigen, dass diese Darstellung durchaus ernst genommen wird. Der (aus seriösen Quellen) informierte Leser von Nachrichten erkennt die Absicht und ist verstimmt bis erheitert, aber der harte Kern dieser meinungsbildenden Zeitung bleibt dem Futtertrog treu, frisst alles, was ihm vorgesetzt wird und pfeift fröhlich mit.
Zwar ändert sich die Melodie hier und da, aber der Takt bleibt der Gleiche und begleitet mehrere Strophen. Wenn das Glück dem Blatt hold bleibt, gibt es Aufmärsche frustrierter Bürger, die gegen die Ausbeutung durch mittellose Kinder protestieren. "Polizeischutz für Neuköllner Schüler" wäre doch ein nettes Weihnachtsgeschenk für aufrechte Reporter – schließlich zieht ein verängstigtes Kindergesicht auf der ersten Seite immer, oder?
© "Erkennen Sie die Melodie? Neuköllner Schüler zu 100% lernmittelbefreit": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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