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(April 2010) Mehrere Meldungen befassten sich in diesen Tagen mit Morden, die von jungen Leuten an Eltern begangen wurden. In Österreich hatte ein 14-jähriges Mädchen nach einem Streit um das Internet seine Mutter erstochen. In Deutschland tötete ein junger Mann von 19 Jahren seine Schwester, und der neueste Fall betrifft einen Jungen aus Russland, der seinen Vater mit einem Hammer erschlagen hat.
In jedem der drei Fälle ging es um den Computer bzw. das Internet. Eine Mutter verbot das exzessive Surfen, eine Schwester versuchte gegen die Spielsucht ihres Bruders anzugehen, indem sie ihm den Laptop wegnahm, und ein Vater wollte seinem Sohn das Spielen verbieten.
In letzterem Fall hatte der Junge schon eine Woche lang fast ununterbrochen gespielt, bis der Vater, der anscheinend nicht mehr zu seinem Sohn durchdringen konnte, die Tastatur wegnahm. Als der Mann schlief, tötete sein Sohn ihn mit Hammerschlägen und spielte dann noch mehrere Stunden lang. Die völlig verängstigte Mutter hatte die Tastatur zurückgegeben. Erst als der Junge einschlief, wagte die Frau, Verwandte zu alarmieren, die dann die Polizei einschalteten.
Horrormeldungen? Sicher, aber es geht hier um den alltäglichen Horror. Es kann in jeder Familie passieren, dass sich ein Mitglied ausklinkt, um in anderen Welten zu leben. Das gab es schon vor Jahren, wenn Papa sich die Sportschau ansah und Mutter eine Stunde lang auf der Southfork Ranch lebte, oder umgekehrt.
Es gab sicher auch Streit, wenn sich die Sendetermine überschnitten – hier zeigte sich dann meist, wer wirklich das Sagen hatte ... derjenige, der die Fernbedienung hatte. Waren wichtige Fußballspiele angesagt und die Technik hatte Aussetzer, gerieten viele Fans in eine wirkliche Krise. Es sollen da einige Fernseher aus dem Fenster geflogen sein, und mancher saß dann einträchtig mit dem Nachbarn zusammen vor dessen funktionierendem Gerät. Zwar konnte man den Typen nicht besonders gut leiden – aber wenn es um Fußball ging, gab es keine Feinde. In Bezug auf die medientechnische Ausrüstung war das die Prähistorie, denn heute hat jedes Familienmitglied seinen eigenen Fernseher.
Der Unterschied zu heute: Nach dem Spiel oder dem unglaublichen Skandal in irgendeiner Serie ging das Leben weiter. Irgendwann gab es dann den Gameboy und genervte Eltern mussten sich einiges einfallen lassen, damit die Kinder das Teil wenigstens beim Essen aus der Hand legten. Und unter der Bettdecke wurde nicht mehr heimlich gelesen, sondern die Mario Brothers durch Labyrinthe gesteuert.
Die kleinen Unterhaltungsautomaten wurden in die meisten Schulranzen geschmuggelt, denn es gab schließlich Pausen. Außerdem konnte man Spiele tauschen, und ganz Hartgesottene spielten unter der Bank. Wahrscheinlich hätten sich einige Lehrer selbstständig machen können mit dem Vertrieb von Gameboys, wenn man bedenkt, wie viele von den Teilen sie während des Unterrichts konfisziert hatten. Und Firmen, die Batterien herstellen, mussten zu der Zeit wohl Sonderschichten eingelegt haben.
Mit den ersten Personal Computern ging es weiter, dem Commodore, der noch getippte Befehle brauchte, um den Pac-Man zu aktivieren und bei dessen Grafik man noch die Pixel zählen konnte – im Gegensatz zu dem Nachfolger, der schon weitaus einfacher zu handhaben war. Kinder waren auf jeden Fall begeistert und gebrauchte Geräte wurden zu einer Währung für sich. Die ganze Angelegenheit war an sich noch nicht dermaßen zerstörerisch, denn in den meisten Fällen nutzten mehrere Personen ein Gerät und Familien oder Freunde spielten gemeinsam.
Hier ist von der Zeit die Rede, als die Spiele noch als solche erkennbar und somit als solche erlebt wurden. Es macht wahrscheinlich einen Unterschied, ob man spielerisch mit einer Zeichentrick-ähnlichen Grafik umgeht oder ob man in eine fantastische dreidimensionale Welt eintaucht, die durchaus in der Lage ist, mit der Realität zu konkurrieren. Auch wenn man nicht online spielt, stehen unglaublich große Spielwelten zur Verfügung, die nicht so einfach loslassen.
Online-Spiele sind meist noch ein gutes Stück realer und umfassender. Aber auch ohne Ballern und Questen verlieren sich viele im Internet, denn man kann sich auch mit Fünftagebart oder ungeschminkt und nicht einmal angezogen mit "Freunden" treffen und ein Bubblegum-Leben führen, ohne sich auch nur vom Stuhl zu bewegen.
Es gab Fälle, in denen sich Angehörige Sorgen machten und mit Gewalt in Wohnungen eindringen mussten. Süchtige hatten sich von der Realität verabschiedet und fanden nur noch mit Mühe den Weg zur Toilette ... von regelmäßigen Mahlzeiten ganz zu schweigen. Die Kündigung von Arbeitgeber und Vermieter war lange ausgesprochen und wurde nicht mehr realisiert. Es sind keine Meldungen von Amokläufen bekannt, bei denen nackte und völlig abgemagerte Internet-Surfer nach der endgültigen Stromsperre schreiend und um sich schlagend Menschen auf der Straße attackierten. Und eigentlich wundert das sogar.
Sicherlich ist es nicht die Regel, dass ein Teenager kaltblütig einen Menschen tötet, nur weil dieser ihn von einem Spiel abhalten will und sich nach dem Mord glücklich an den PC setzt und so lange spielt, bis er erschöpft einschläft. Noch fallen Meldungen wie diese auf, aber wie lange wird das noch der Fall sein? Irgendetwas läuft fürchterlich schief in dem schönen neuen Leben mit dem Internet und den digitalen Welten.
Mag sein, dass die betroffene Generation zu dual aufwächst und eine letztendlich doch immer nur zweidimensionale Welt nicht wirklich von der wirklichen unterscheiden kann und um ihr Dasein im gewählten Cyber-Umfeld kämpft. Wer seine eigene Umwelt noch nicht wirklich erfasst und wahrgenommen hat, aber zwischen Tausenden von Alternativwelten wählen kann, wird ein sehr großes Defizit in Sachen Unterscheidungsvermögen haben, welches wahrscheinlich nicht mehr reversibel ist.
Vielleicht ist auch die Zeit, da wir lernten, mit dem Faustkeil umzugehen, noch nicht lange genug vorbei, um mit der immensen Datenflut fertig zu werden. Wenn es Nachrichten mit diesem Inhalt gibt, dann ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung, und wir sollten uns Gedanken darüber machen, was falsch gelaufen ist.
© "Computerspiele: Spiel oder Leben": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010.
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