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Eine Zeichnung von Heinrich Zille zeigt einen Kriegsveteranen, der eine zerlumpte Uniform mit Orden trägt, ein Holzbein hat und sich den Stiefel putzen lässt. Zu dem kleinen Schuhputzer sagt er so etwas wie: "Ick zahle nur for eenen Stiebel, und dann musste noch die Löcher abziehen."
Das Bild Zilles scheint auf den ersten Blick vielleicht sogar lustig, aber dann kommt ein bitterer Nachgeschmack, denn es ist wohl mehr Satire als Karikatur. Der Alte ist zwar ein einstmals hochdekorierter Soldat, ein Verteidiger seines Vaterlandes, aber er hat nicht einmal genug Groschen, um sich den einzigen Stiefel putzen zu lassen. Und er feilscht noch um die Löcher im Leder.
Es gibt noch viele solcher Zeichnungen, viele Künstler haben sich die Veteranen zum Thema gemacht. Meist geht es um den "Dank des Vaterlandes", der wohl eher dürftig ausfällt, was viele Betroffene bestätigen können. Die Traurigkeit liegt in der Tatsache, dass eben diese Männer – wie der alte Soldat in Zilles Zeichnung – in rührender Weise an ihrer Würde hängen. Vermutlich lebt der Veteran auf der Straße oder bestenfalls in einem dieser Heime, die für seinesgleichen da waren in diesen Zeiten – aber dennoch will er die Illusion vom "flotten Wichs" aufrecht erhalten. Ungeputzte Schuhe sind für einen alten Soldaten bestenfalls ein Ärgernis.
Man sollte eigentlich meinen, ein verdienter Kämpfer und Verteidiger seines Landes könnte sich – falls er seine Einsätze überlebt – mit einer Anerkennung seines Landes in materieller Hinsicht einen ruhigen, wenn vielleicht auch bescheidenen Lebensabend gönnen. Das ist allerdings nicht immer Usus gewesen, die Geschichte kennt das Heer der bettelnden Versehrten von der Antike bis in unsere Tage.
Die psychischen Probleme nach Kriegseinsätzen führten viele in das Zivilleben zurückgekehrte Soldaten in das soziale Abseits und, wie aus den USA bekannt, oft auch in die Obdachlosigkeit. Zwar gibt es so etwas wie eine Rente, aber im Fall vieler Soldaten, die von ihren Einsätzen etwas "mitbrachten" – wie irreparable Schäden durch chemische Kampfstoffe – steht das in keinem Verhältnis. Jahrelang währende Prozesse um Erbgutschädigungen, die zu behinderten Kindern führten, und um die nicht anerkannten Spätfolgen, die aus Einsätzen mit gefährlichen Materialien rühren, sind harte Realität. Darüber können auch die an diesem Tag stattfindenden Paraden mit kerngesunden Männern in flotten Uniformen nicht hinwegtäuschen.
Die psychologische Betreuung der Heimgekehrten ist nicht optimal, es gibt zu wenig Therapeuten, die auf dieses Fach spezialisiert sind – und aus vielleicht auch von Laien nachvollziehbaren Gründen werden die Anlaufstellen beim Heer nicht sehr stark in Anspruch genommen. Was immer bleibt, auch wenn die Uniform abgelegt wurde, sind die Verletzungen, die nicht offensichtlich sind ... die seelischen. Ob nun ein Mensch lernen muss, mit einigen Gliedmaßen weniger auszukommen, oder ob die Seele nicht verarbeiten kann, was erlebt wurde, einfach ist es mit Sicherheit nicht. Eine Filmfigur sagte einmal in Hinblick auf seine Erlebnisse als Soldat in Vietnam: "Wir nannten sie (die Feinde) Geeks, damit es nicht zu persönlich wurde, aber es war letztendlich doch eine persönliche Sache."
Der Veteranentag war eigentlich ein spezieller Gedenktag für die Überlebenden der Armeen, die am Ersten Weltkrieg beteiligt waren und hieß in Amerika ursprünglich "Armistice Day", also Tag des Waffenstillstandes. Mittlerweile aber gilt dieser Gedenktag für alle Veteranen aus allen Kriegen, in die amerikanische Soldaten involviert waren, und wird dort wie auch in Belgien, Frankreich und Großbritannien feierlich begangen. Ein solcher Gedenktag ist notwendig, um diejenigen zu würdigen, die letztendlich alles gaben, um ihr Land zu verteidigen – oder glaubten dies zu tun. Was sie gaben, sind ihre besten Jahre, oft ihre körperliche Unversehrtheit, ihre psychische Stabilität.
Die wenigsten ziehen freiwillig an eine Front, auch wenn sie glauben, dass es ihr Wille ist – zu geschickt sind die ausgeklügelten Strategien, die hinter der "Freiwilligkeit" und "Freudigkeit" stehen. Wirklich verteidigende Armeen kämpfen gegen Menschen, die einer großen Lüge aufgesessen sind, die sie dazu brachte, zu tun, was sie tun. Das kann ebenso umgekehrt sein, man kann kaum von Schuld oder Unschuld sprechen, wenn Menschen einander auf Befehl töten.
Hinter der scheinbaren Notwendigkeit eines Krieges stehen meist die Interessen der Mächtigen, die sich der Menschen – über die sie herrschen – bedienen, um ihre Ziele zu erreichen. Das Wissen darüber mindert allerdings nicht die Trauer und die Schmerzen vieler Kriegsveteranen. So gesehen sollte der Tag der Veteranen immer begangen werden – und vielleicht wird er irgendwann in der Zukunft anders begangen werden als heute – nämlich als ein Tag der Erinnerung an die vergangenen Zeiten der Barbarei und deren Opfer, obwohl es keine Veteranen mehr gibt, weil der letzte Krieg auf der Erde vor sehr viel längerer Zeit beendet wurde, als ein Menschenalter dauert.
© "Der Veteranentag am 11. November": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Foto der Ehrengräber auf dem Kölner Westfriedhof von Factumquintus, Creative Commons-Lizenz
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