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Es ist wieder einmal soweit: es wird zu den Urnen gerufen. Oder, seit der Gesetzesänderung in Sachen Wahlrecht, zu den Briefkästen. In früheren Zeiten war die Briefwahl nur dann möglich, wenn der verhinderte Wähler einen guten Grund dafür nennen konnte, dass er des Sonntags nicht persönlich im Wahlbüro erschien.
Mittlerweile hat sich das geändert, und tatsächlich scheinen die Bürger die Briefwahl zu bevorzugen, auch dann, wenn nichts sie am Wahlgang hindert. Der prozentuale Anteil der Briefwähler ist sprunghaft angestiegen und lag 2005 bei 18,6 %. Im Jahre 1957 waren es noch 4,9 %.
Interessant wäre es, über die Gründe dafür mehr zu wissen.
Hat es etwas mit Bequemlichkeit zu tun? Nun ja, das wäre nicht unlogisch. Der mündige Bürger dieses Jahrtausends ist es mittlerweile gewohnt, fast alles vom Sessel oder vom Schreibtischstuhl aus zu erledigen. Was nicht online geht, ist wenigstens per Post zu bewerkstelligen. Warum nicht auch das Wählen? Wahlkämpfe werden schließlich auch vom Fernsehsessel aus beobachtet.
Oder sollte es um die Privatsphäre gehen? Ist es vielleicht mit einer gewissen Peinlichkeit verbunden, wenn man sich in einem Wahllokal zeigt? Niemand sieht einem schließlich an der Nasenspitze an, wo man die Kreuzchen platziert. Der Ökobutton am selbstgestrickten Pullover könnte eine raffinierte Tarnung sein. Die Springerstiefel oder der Reichsadler auf dem Shirt vielleicht auch, ebenso könnte man ein Fahrzeug der Oberklasse günstig mieten.
Scheuen die Leute den Anblick potenzieller Andersdenkender? Oder jagt den Wählern die Aussicht auf das Zusammentreffen mit Bekannten, Nachbarn oder dem Arbeitgeber am Wahlsonntag Angst ein? "Ja grüß dich, du auch hier? Wen wählst du denn?" Zugegebenermaßen könnte das eine gewisse Bloßstellung aufkommen lassen, falls man ohne Tarnungsaccessoires unterwegs ist. Fürchtet man vielleicht Auseinandersetzungen der politischen Art am Ort des Geschehens?
Nimmt man die Wahrscheinlichkeit, bleibt die ganze Sache doch eher eine Angelegenheit der Bequemlichkeit. Die Briefwahl hat allerdings nicht nur Befürworter, sondern strenge Gegner. Man fürchtet um das Wahlgeheimnis, und das ist nicht unbedingt abwegig. Schließlich befindet sich im Umschlag ja auch die komplette Anschrift mit Namen, also kann der Wähler eindeutig zugeordnet werden. Das wiederum entspricht nicht den Wahlgrundsätzen und ist von den Wählern nicht unbedingt erwünscht.
Zudem kann es bei dem Verfahren zu ziemlich schweren Pannen kommen. Briefe können verloren gehen, so im Juni in Pankow geschehen, wo 800 Briefe zur Europawahl schlichtweg vergessen wurden. Das ist nur ein Beispiel – es gibt mehrere, die die Unzuverlässigkeit des Verfahrens zeigen. Hier handelt es sich schlichtweg um Schlamperei, aber es gibt auch mehr Möglichkeiten für die Manipulation auf dem Weg vom Schreibtisch zur Post – und von da zu den Auszählungen. Man sollte sich darüber einig sein, dass die Bundestagswahlen zu wichtig sind, um den blinden Zufall oder den bösen Willen walten zu lassen.
Wer bei jeder Wahl seine Stimme abgibt, zeigt Engagement und den Willen, Verantwortung zu übernehmen. Wer per Briefkasten wählt, obwohl er in der Lage wäre, persönlich seinen Wahlzettel abzugeben, sollte vielleicht die Wichtigkeit der Sache überdenken. Die Wahllokale sind für gewöhnlich gut zu erreichen. Die meisten Bürger verfügen über ein Auto, das sie vor Witterungsunbilden schützt, und außerdem: was ist an einem sonntäglichen Spaziergang eigentlich so schlecht?
Es ist noch nicht gar so lange her, dass um freie Wahlen gekämpft werden musste. Oder um die Zulassung zur Wahl – nicht wahr, meine Damen? Also sollte man diese Errungenschaft gebührend zu schätzen wissen.
Freie Wahlen sind global gesehen durchaus keine Selbstverständlichkeit. Also verwechseln wir das doch bitte nicht mit einer Bestellung bei einem Versandhaus, denn es dauert nach einer Wahl eine Weile, bis das Rückgaberecht greift.
© "Das verbriefte Wahlrecht – Hintergründe zur Briefwahl": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Wahlen in Deutschland, CC0 (Public Domain Lizenz).
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