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(April 2010) Es ist gar nicht so lange her, dass ein Mann Kindern zu Hilfe kommen wollte – und dabei umkam. Er wurde richtiggehend zu Tode geprügelt. Posthum erhielt der mutige Mann sehr viele Ehrungen, sogar die Bewunderung von Politikern. Nicht, dass es ihm selber nützen würde, aber er hat Zeichen gesetzt in Sachen Zivilcourage.
Die Signale wurden verstanden – außerdem sind viele Deutsche nicht gewillt tatenlos zuzusehen, wie ein Mensch belästig oder gar verletzt wird und greifen ein, wenn sie so etwas sehen. So auch Uwe W. aus München, der Zeuge wurde, wie in der U-Bahn ein betrunkener Mann einer Frau eine Bierflasche an den Kopf schlägt. Uwe W. greift ein, um die Frau zu schützen – und bei dem dadurch entstehenden Handgemenge fällt der tapfere Bierflaschenritter in das Gleisbett und bricht sich die Hand.
Das wäre soweit der Hergang, und bedürfte eigentlich keines weiteren Wortes, wenn es nicht diese Geldstrafe in Höhe von 600 Euro gäbe, zu der der Helfer verdonnert worden ist. Vorsätzliche Körperverletzung wurde ihm zur Last gelegt. Er habe "überreagiert", so die Begründung.
Vermutlich geht das Gericht davon aus, dass Herr W. nicht sanft genug zu dem Täter war. Dieser hatte an diesem Tag allerdings einen großen Hang zur Überreaktion, denn irgendetwas muss ihn an zwei durch den Waggon gehenden Frauen dermaßen gestört haben, dass er nicht umhin konnte, einer davon mit voller Wucht eine Bierflasche an die Schläfe zu schlagen. Nach dieser zweifellos gar nicht so schlimmen Behandlung konnte sich die Frau erst einmal nicht auf den Beinen halten und sank blutend zu Boden, während der Schläger keifend und pöbelnd weiter drohte.
Vielleicht hat Herr W. ja eine übersteigerte Vorstellungskraft, denn er griff ein, weil er es wohl für möglich hielt, dass es zu weiteren Misshandlungen des Opfers oder der anderen, völlig verängstigten Frau kommen könnte. Diese Überlegung trieb ihn vermutlich zu der nun folgenden Straftat. Zwar waren alle Beteiligten zu diesem Zeitpunkt von Beobachtern umgeben, diese aber zeigten sich als gesetzestreue Bürger und griffen nicht ein. Das war ja auch nicht nötig, schließlich war die Gefahr ja vorbei, denn der Bierflaschenschwinger trat in unauffälliger Weise den Rückzug an.
Und genau an diesem Punkt konnte Herr W. seine kriminelle Energie nicht mehr kontrollieren, denn aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund lag ihm daran, dem Schläger die Bierflasche wegzunehmen. Vermutlich ist seine sonderbare Bierflaschenbesessenheit auf orale Frustration in der Kindheit zurückzuführen und auf gar keinen Fall auf vorausschauendes Denken. Die Fixierung des jüngeren Schlägers auf seine Flasche als Frustabbauinstrument spielt hier keine Rolle, denn schließlich ist er unschuldig. Die Frau blutet, die Leute gaffen, alles ist im grünen Bereich – was also will dieser gefährliche Verbrecher jetzt noch von ihm?
In selbstgerechtem Zorn verteidigt er also nun seine Flasche und schlägt diesem Kerl die Faust vor den Latz. Wo kämen wir schließlich hin, wenn jeder denkt, er könne einem den wohlverdienten Spaß verderben? Ist doch ein freies Land, oder nicht? Aber hier setzt dieser Kriminelle seiner Latte von Verfehlungen noch eins drauf und schubst den Fäusteschwinger tatsächlich zurück, obwohl dieser kleiner ist als er. Und es kommt, wie es kommen muss ... der Schwächere wird verletzt.
Auf die eindeutig schwächere Frau mit der Kopfverletzung können wir hier nicht auch noch eingehen, das ist Schnee von vor 5 Minuten und damit verjährt. Das Gericht erkannte nun tatsächlich auf vorsätzliche Körperverletzung und Herr W. musste für seine Untaten zahlen. Erschwerend kam hinzu, dass der unfaire Mensch dem Bierflaschentypen körperlich überlegen war.
Nach diesen Vorfällen wird deutlich, dass ungesteuerte Zivilcourage in höchstem Maße gefährlich sein kann und dass gewisse Richtlinien zu beachten sind. Zuerst muss angesichts gewalttätiger Aktionen sichergestellt werden, dass es sich nicht um harmlose Rangeleien unter Freunden handelt. Also erst beobachten, bevor das Handy gezückt wird! Man will ja keine Klage wegen Verleumdung riskieren, nicht wahr?
Sollte Blut fließen, ist das ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass tatsächlich Hilfe benötigt wird. Vorausgesetzt, die blutenden Personen schreien nicht nur lauthals nach Hilfe, weil sie sich interessant machen wollen, oder weil gerade ein Film gedreht wird. Schließlich kann eine Unterbrechung der Aufnahme teuer werden, und möglicherweise deckt die Haftpflichtversicherung das nicht ab.
Weiterhin muss geprüft werden, ob die am Boden liegende Person tatsächlich schwer verletzt ist oder schon in kurzer Zeit ein Bier am Kiosk trinken kann. Man will sich schließlich auch nicht aufdrängen, wenn das Opfer schon kein Aufhebens von den Schrammen hat.
Dann muss vor allem die körperliche Konstitution des jeweiligen Angreifers in Augenschein genommen werden. Eine Chance auf Straffreiheit hat man als Retter nur dann, wenn der Schläger mehr als zweimal so schwer und etwa 20 Jahre jünger ist als man selber. Besser wäre es natürlich, er hätte den schwarzen Gürtel in mehreren Kampfsportarten.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, könnte eine Hilfe für Dritte oder das Verteidigen der eigenen Person straffrei sein, jedenfalls wenn man einen tüchtigen Verteidiger hat. Hat man die Situation nun völlig geprüft und hält ein Eingreifen für erforderlich, kann man langsam darangehen, zur Hilfe zu schreiten. Es wäre sinnvoll, wenn es keine Zeugen zu diesem Zeitpunkt gäbe – denn man agiert schon sehr nah am Rande der Legalität, wenn man Menschen helfen will.
Aber tun Sie einfach, was Sie nicht lassen können in so einem Fall – sicher haben Sie Freunde, die Ihnen etwas Geld leihen können, damit die Strafe bezahlt werden kann.
Link zum Bericht der tz-online
© "Lohnt Zivilcourage? Recht von Täter und Opfer": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Mutiger Sprung über den Abgrund (Illustration), CC0 (Public Domain Lizenz).
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