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Vor einigen Jahren brachte meine jüngste Nichte Daniela, die zu diesem Zeitpunkt noch bei ihren Eltern im Haus lebte, einen kleinen Zwerghasen mit. Der Zwerghase war ein süßes, flauschiges, und wie sich später herausstellen sollte, verschmustes, anschmiegsames Knäuel mit großen braunen Augen und Schlappohren, das wir "Bobbel" nannten und aus dem schnell "Bobbele" wurde.
Zunächst einmal blieb Bobbele im Zimmer, das Daniela mit ihrem damaligen Freund und jetzigen Ehemann bewohnte. Da beide tagsüber zur Arbeit gingen, holte meine Schwägerin Bobbele in ihre Wohnung, da der kleine Hase den ganzen Tag alleine war. Dort bekam er im Computerraum meines Bruders einen größeren Käfig in der Ecke zur Verfügung. Bobbele wurde schnell zum Familienmitglied, und er übernahm in kürzester Zeit das Regiment im Haus. Alle waren vernarrt in ihn. Er wusste auch genau wie er einen anschauen oder sich besonders possierlich hinsetzen musste, dass man wie Butter an der Sonne schmolz. Besonders gerne ließ er sich auf den Arm nehmen und streicheln. Dazu kratzte er mit seinem Näschen am Käfiggitter, um anzuzeigen, dass er raus wollte. Wenn man ihn einfach auf dem Fußboden absetzte, machte er possierlich Männchen.
Wenn ihn keiner streichelte, konnte er jemandem durch Anstupsen deutlich zeigen, dass er genau das wollte. Mir ist er einmal in meine Hände gesprungen, weil ich nicht schnell genug mit "auf den Arm nehmen und Streicheln" war. So wurde er zum Stresskiller. Wer von uns sich durch irgendwen oder irgendetwas genervt und gestresst war, schnappte sich das Bobbele und schmuste eine Weile mit ihm. Danach ging es einem wieder gut.
Allerdings gab es sehr selten mal Anlass mit Bobbele zu schimpfen. Dann wurde aus Bobbele wieder Bobbel und am Tonfall merkte Bobbele, dass von seiner Seite aus etwas schief gelaufen war. Das brachte ihn dazu, sich beleidigt in die hinterste Ecke eines Zimmers, in dem er sich gerade aufhielt, unter einem Möbel zu verkriechen. Nicht einmal mit gutem Zureden oder gar kleinen Leckerbissen war er zu bewegen, diese Ecke zu verlassen. Dort saß er dann eine Weile und schmollte.
Bobbele wurde zum Feinschmecker. Er fraß nicht alles, was man ihm vorsetzte. Aber die erste rote Erdbeere im Garten bekam selbstverständlich er. Einmal waren Bruder und Schwägerin ein paar Tage verreist. Ich hatte Bobbele zu versorgen, was ich sehr gerne tat. Schwägerin sagte mir, dass ich ihm morgens und abends eine Scheibe Brot in den Käfig legen sollte. Bobbele war apathisch, und wenn er sonst mit seinem Näschen am Gitter seines Käfigs kratzte und aus dem Käfig geholt werden wollte, so blieb er jetzt still sitzen.
Ich nahm ihn auf den Arm und redete ihm zu, dass sein Frauchen bald wieder nach Hause käme. Es wurde nicht besser. Während meiner Anwesenheit begann er das Brot zu fressen. Ich schaute ihm eine Weile zu und verließ ihn dann. Als ich das nächste Mal wieder nach ihm schaute, war das Brot weg. Ich nahm an, dass er es gefressen hatte. Als die Schwägerin wieder nach Hause gekommen war, fand sie mehrere Scheiben angefressenes Brot unter dem Heu in Bobbeles Käfig. Er hatte das Fressen verweigert.
Bobbele wurde älter und bekam Zuwachs. Ein Nachbarsmädchen wurde stolze Hasenbesitzerin. Sie freute sich über eine niedliche weiße, kompakte Häsin mit schönen, blauen Augen namens Flocke. Allerdings kümmerte sich das Mädchen nach ein paar Tagen nicht mehr um Flocke, und Schwägerin versorgte sie. Dann gingen die Nachbarn ein paar Tage in Urlaub und in dieser Zeit kam Flocke zu uns. Eines Tages stand ich vor Flockes Käfig und sagte halblaut: "Ach Flocke, wenn du doch nur bei uns bleiben könntest!"
Ich weiß nicht, ob Schwägerin das gehört hatte, aber sie meinte kurze Zeit später zu mir, wir sollten Flocke behalten. Die Nachbarn waren damit einverstanden. Auch Flocke wurde schnell ein Familienmitglied und schnell hatten wir sie in unser Herz geschlossen. Aus "Flocke" wurde "Flöckle".
Morgens wenn ich zu ihr kam, saß sie erst mal in ihrem Käfig in der hintersten Ecke und ließ sich durch mein Locken und Schmeicheln einfach nicht bewegen, zu mir zu kommen. Erst als ich mich umdrehte und Anstalten machte, zu gehen, war sie bereit, nach vorne zu hoppeln. Dann konnte ich sie streicheln und kraulen, was sie sich gerne gefallen ließ und dabei genießerisch die Augen schloss.
Aber auch Flocke konnte beleidigt sein, sich abrupt umdrehen und einem demonstrativ und provozierend ihr fettes Hinterteil entgegenstrecken, was uns aber eher zum Lachen reizte.
Letztendlich wurde die Hasenfamilie komplett: Schnuffel. Meine jüngste Nichte, die in der Zwischenzeit ausgezogen war, wollte wieder einen Hasen haben. Und das war dann der Schnuffel. Aus "Schnuffel" wurde dann auch "Schnuffele". Allerdings war Schnuffel nicht so oft bei uns. Ihn hatten wir nur gelegentlich zum Hüten, aber auch von Schnuffel waren wir sehr schnell begeistert. Er ließ sich auch nur zu gerne kraulen und streicheln.
In dieser Zeit spürten wir, dass sich Bobbeles Lebenszeit dem Ende zuneigte. Er war krank, verweigerte das Fressen, magerte immer mehr ab und war auch nicht mehr so munter. Eines Tages war es dann soweit. Bobbele wurde zum Tierarzt gebracht und eingeschläfert. Wir heulten Rotz und Wasser. Danach ging es zum Beisetzen in unseren Garten. Auch hier gab es viele Tränen. Es fehlten nur noch die Flaggen auf Halbmast.
Noch lange vermissten wir unser Bobbele, aber Flocke hat uns über vieles hinweggeholfen und Schnuffel war auch immer wieder bei uns. Aber wenige Monate später "verabschiedeten" sich Flocke und Schnuffel fast gleichzeitig und starben. Uns war das zu viel Herzschmerz und seither haben wir keine Hasen mehr.
© "Hasenliebe: Erlebnisse mit Bobbele, Flöckle und Schnuffele. Wie Zwerghasen zum Feinschmecker werden": Eine Kurzgeschichte der Autorin Ulla Schmid; 01/2020. Bildnachweis: oben Zwerghase mit braunem Fell, sowie unten Hase mit hellem Fell (beide CC0, Public Domain Lizenz).
Alle Bücher von Ulla Schmid auf ihrer Autorenseite.
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