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Horrorfilme sind einer der guten Gründe, warum man ins Kino geht oder sich die halbe Nacht um die Ohren schlägt – wir lieben sie eben. Früher durfte man nicht gucken, weil man vielleicht Albträume bekommen könnte. Kinder tun so etwas hohnlachend ab, rufen dann aber mitten in der Nacht Vati oder Mutti, weil sie tatsächlich sehr üble Träume haben, nachdem sie heimlich einen angesagten Gruselstreifen gesehen haben. Die Rede ist von kleineren Kindern, denn keiner würde erwarten, dass Sprösslinge, die das erste Jahrzehnt ihres Lebens hinter sich gebracht haben, etwas auf Verbote geben.
Wie auch immer, ein angenehmes Schaudern scheint das Wohlbefinden ganz erheblich zu steigern. Jedenfalls, solange man sich nicht alleine in der Wohnung befindet und es draußen nicht dunkel ist. Ein gut gemachter Film hat Nebeneffekte, was die Wahrnehmung von hausinternen Geräuschen betrifft – er macht sie weitaus hörbarer, als sie es sonst sind. Ebenso verlängert er Wege – das kurze Stück vom Wohnzimmer über den Flur und zum Lichtschalter kann da sehr viel weiter erscheinen als sonst – man tastet auch viel länger nach dem erlösenden Lichtbringer. Aber das passiert wirklich nur nach guten Filmen.
Ekelhorror hat andere Effekte, zum Beispiel spezielle Auswirkungen auf die Nahrungsaufnahme. Wenn auf dem Bildschirm oder der Leinwand eine brummelnde Kettensäge massenhaft Blutspritzer verursacht oder man genau sieht, wie eine Axt durch einen Schädel saust, ist das einfach unappetitlich, sonst nichts. Man ekelt sich mehr, als dass man Angstschauer verspürt. Es gab, seit sich der Film dieses Genres angenommen hat, viele blutrünstige Filme – aber wirkliche Meilensteine waren wohl die eher subtilen Geschichten.
Einer der bekanntesten Filme ist "Rosemaries Baby": der ganze Film kommt ohne Schockmomente der gröberen Art aus – tatsächlich ist nie etwas Schauerliches zu sehen. Die Wirkung des Films kommt durch die unterschwellige Bedrohung zustande, der die Heldin ausgesetzt ist. Obwohl sie in einer riesigen Stadt lebt, ist sie nicht sicher vor dem archaischen Bösen: dem Teufel und seinen Handlangern. Telefone klingeln, Fahrstühle verbinden Etagen, moderne Technik überall und eine Unzahl von Menschen in den Szenen – trotzdem wird die junge Frau zur Gejagten und findet keine Hilfe.
Frühere Filme wie "Schloss des Schreckens" mit Deborah Kerr sind ähnlich aufgebaut. Viktorianisch anmutend könnte der Film anfangs fast eine Gouvernantengeschichte nach Art der Hedwig Courths-Mahler sein. Durch genial verteilte, sehr wenige und fast milde anmutende Schockmomente wird der Film zu einer Gruselgeschichte, die wirklich unter die Haut geht.
Ein weiterer Film, der Kultstatus erreichte, ist "Bis das Blut gefriert", ein Film der auf einem Buch von Shirley Jackson basiert. Der Bösewicht und die Hauptperson ist ein unheimliches altes Haus, in dem sich mehrere Personen zu Forschungszwecken aufhalten. Auch hier ist nichts zu sehen, das wirklich schrecklich wäre – aber die genial gesetzten Effekte wirken sehr lange nach. Das Remake aus dem Jahre 1999 ("Das Geisterschloss") ist weitaus aufwendiger, was die Tricktechnik betrifft, allerdings wirkt dieser Streifen nicht so intensiv nach wie das Original.
Durch die technischen Möglichkeiten kann zwar viel mehr gezeigt werden, aber gerade das Sehen macht die ganze Sache weitaus weniger subtil: die Vorstellungskraft wird weniger beansprucht. Im alten Schwarzweiß-Film hingegen baut sich die dunkle Atmosphäre weitaus beeindruckender auf und bringt im Betrachter Bilder hervor, die wahrscheinlich jeden Filmeffekt in den Schatten stellen. Die Neuverfilmung zittert nicht so stark nach, sie ist ein gut gemachter Film mit interessanten Effekten – aber nicht mehr.
Wirkliche Ängste erzeugen kann ein Film dann, wenn die Bilder auf der Leinwand da enden, wo die Bilder im Inneren des Betrachters aufblitzen – denn der interne Regisseur bedient sich in der Trickkiste des Unterbewussten – da, wo alle unsere archaischen und uneingestandenen Ängste verstaut sind.
Die besten Filme sind auch die, welche erst dann so richtig ihre Wirkung entfalten, wenn sie längst zu Ende sind. Der richtige Horror kommt danach ... wenn die inneren Bilder sich mit den gesehenen verflechten und die Nacht erst einmal gelaufen ist.
© "Gute Horrorfilme haben integrierte Langzeitwirkung": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Die Abbildung zeigt eine Illustration zu Goethes Ballade Der Zauberlehrling, Lizenz: gemeinfrei.
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