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Kindersoldaten China 1944
Ein Tag im Spätsommer. Es reicht mal wieder für heute. Ich bin nur zwanzig Minuten im Internet gewesen und schon ist mir leicht übel. Der Monitor fokussiert die ersten Meldungen über gequälte Tiere: Videos, die zeigen, wie jemand etwas tut, das man eigentlich nicht sehen möchte. Da liegt ein in Brand gesetzter Hund; in einem Betrieb schleudert jemand ein Kälbchen gegen die Wand; ein schreiendes Schwein wird lebendig gebrüht; Kinder haben ein Tier stranguliert; jemand tötet aus Rache ein Haustier.
Einen Clip weiter sieht man eine geköpfte Katze, und eine Kamera hat einen Mann aufgenommen, der seinen Hund als Fußball benutzt. Und dazwischen immer wieder Posts, die viele Male mit "Niedlich" oder "Cute" bewertet werden, was dasselbe bedeutet. Ein herziges Bild mit einem Schäferhund, der ein Entchen auf dem Kopf balanciert oder eine Katze, die irgendetwas sehr, sehr Niedliches tut. Oder dazu gebracht wird.
Dann immer wieder Kriegsbilder, denn an vielen Orten der Erde tobt gerade Krieg. Tote Kinder, bombardierte Hospitäler und Meldungen über schlimmste Gräueltaten. Menschen tragen schreiend ihre toten Kinder im Arm – und wenn es auch Fälschungen solcher Bilder gibt, die im Web kursieren, so symbolisieren sie doch das Töten, das unausweichlich zum Krieg gehört.
Und doch dringen diese Fotos, diese Botschaften nicht mehr durch nach den vielen, gepeinigten Tieren. Ein zerstückeltes Kaninchen erschreckt, erbittert, macht traurig. Aber ein blutüberströmter Mensch: was ist damit? Wieso gibt es längst nicht so viele Kommentare unter solchen Meldungen ... was ist es, das uns dazu bringt, den Fokus schnell wieder auf halbverhungerte Pferde oder gemarterte Zirkuselefanten einzustellen?
Manchmal findet sich unter den Posts dieser Tierquäler eine Stimme, die fragt, wieso man sich über die gepeinigten Menschen nicht halb so viel aufregt. Darauf geht eigentlich kaum jemand ein – es bleibt in gewisser Hinsicht so stehen.
Eine Meldung über einen nach der Aussetzung gestorbenen Hundewelpen macht sehr betroffen – aber die Kommentare noch mehr. Die Leute denken sich grauenvolle Todesarten aus für diejenigen, die das Tierchen in die Mülltonne gestopft haben wie eine Tüte Kartoffelschalen. Das ist genau so beängstigend wie die Nachricht über einen Jungen, der einen Frischling erwürgt hat in einem Streichelzoo. Wie kann man Grausamkeit verurteilen und genau diese selber anwenden wollen?
Niemand findet so ausgeklügelte Todesarten für diejenigen, die Menschen in den Tod schicken unter dem Legalisierungszeichen des Krieges.
Bedeutet das alles, dass uns Menschen die Leiden anderer Menschen gleichgültig sind? Oder schrecken wir einfach zurück vor dem, was allzu real werden könnte? Tierquäler sind in der Minderheit, sie wissen was sie tun ... und sie wollen es tun. Das ist so – ob es sich nun um jemanden handelt, der seinen Hund zu Tode tritt oder den Betreiber einer Mastanstalt. Die Gründe mögen variieren, aber vermehren weder die Qualen noch vermindert sie diese. Ein Bomberpilot folgt einem Befehl und der so oft beschworenen Notwendigkeit des Krieges ... ist es das, was viele nicht daran rühren lässt?
Oder sind wir Menschen einfach der Menschen überdrüssig, weil es so viele von uns gibt? Wütend machen uns allenfalls getötete Kinder oder einzelne Individuen. Was ist mit den größten Serientätern, die es je gab und immer noch gibt? Denjenigen, die Menschen an die Waffen hetzen, gleichgültig welches Volk sie angeblich schützen wollen damit?
Wahrscheinlich halten wir nicht mehr allzu viel von unserer eigenen Spezies und wollen das schützen, was die Unschuld noch hat, die wir selber vor sehr langer Zeit verloren haben – das wäre eine mögliche Erklärung. Kindern billigen wir das gerade eben auch noch zu – aber sonst? Meldungen über Meldungen von getöteten und gefolterten Lebewesen prasseln in nie vorher gewesener Dichte auf uns ein – wir sollten ein genommenes Leben als solches sehen, gleichgültig was es einmal gewesen war: Mensch oder Tier.
Ich plädiere auch dafür, Mörder als solche zu benennen – ob sie nun einen einzelnen Menschen getötet haben oder viele tausend. Ob sie nun ein Kälbchen umbrachten oder viele tausend Kühe.
Aber ich würde es auch gerne sehen, dass diejenigen, die Gleiches mit Gleichem vergelten wollen, ihre Motive hinterfragen. Es fällt mir schwer, bei diesen Menschen Mitgefühl mit der Kreatur – sei es Mensch oder Tier – als Beweggrund anzunehmen. Gleiches mit Gleichem zu vergelten ist etwas für den Boxring.
Schmerz ist Schmerz – egal wer ihn fühlt. Tatsache ist, er eignet sich möglicherweise für die Dressur ... aber nicht für eine tiefgehende Änderung. Resümiere ich die Posts, die ich in den letzten Monaten gesehen habe, dann bin ich aber sicher, dass wir genau das brauchen: eine Änderung des Denkens in allen Bereichen unseres Daseins.
© "Gleiches mit Gleichem vergelten ist etwas für den Boxring": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2014. Bildnachweis: Kindersoldaten China 1944, CC0 (Public Domain Lizenz).
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