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Morgens um vier Uhr ist die Welt noch in Ordnung, jedenfalls bis der Wecker klingelt. Dann nämlich reißen die bedauernswerten Bürger, die Winterdienst machen, in brutalster Weise ihre Köpfe von den Kissen und fahren in passende Kleidung – also Schneestiefel, Anoraks, Mützen, Schals und auf jeden Fall in mehr als einen Pullover.
Das Streugut steht bereit, ebenso wie Schippe und Besen, und los gehts. Wer ein wirklich winterfestes Auto hat, kann sich glücklich schätzen – sonst nämlich gibt der Blechhaufen eine Stimme mehr im morgendlichen Chor der gequälten Batterien ab, vorausgesetzt man kann das Türschloss enteisen und die Windschutzscheibe freimachen.
Wer zu seinem Einsatz fahren muss, stellt den Wecker eben auf eine Stunde früher ein – vorsichtig geschätzt. Bei Einsatzorten, die nicht so weit entfernt liegen, ist man auf jeden Fall schneller, auch wenn man zu Fuß gehen muss. Hat es über Nacht gefroren, ist rutschfestes Schuhwerk Pflicht, denn man betritt eine jungfräuliche Eisschicht. Logisch – der Streudienst war ja noch nicht da. Der ist man schließlich selber.
Eine verschneite Stadt um diese Zeit hat einen ganz besonderen Charme, sie sieht aus wie die Städte in den Bilderbüchern, oder auf diesen Weihnachtspostkarten. Sie ist auch stiller, alles ist gedämpfter durch den Schnee. Kaum ein Fußabdruck verunziert den weißen Überzug, noch hat sich kein Matsch gebildet durch die Fußgänger. Eigentlich ist es schade, dies so radikal zu entfernen, denkt man – aber leider gibt es da Bestimmungen. Von Stadt zu Stadt leicht verschieden, aber eben doch eindeutig.
Auf dem Weg zu den Einsatzorten trifft man an den Wochentagen oft dieselben Menschen. Die Bäckereifahrer beliefern früh die einzelnen Filialen, in denen um diese Zeit schon gearbeitet wird. Sonst ist es ziemlich dunkel auf den Straßen, es fahren kaum Autos. Neben den Stiefelabdrücken sieht man zuweilen Pfotenspuren, die ersten Gassis wurden schon absolviert. Rückt man an Sonn- und Feiertagen aus, sind diese Kombinationen fast die einzigen, die man wahrnimmt um diese Zeit. Dafür hat man die Variante der "Frühheimkehrer", die mehr oder weniger unsicher auf dem Heimweg sind, nicht unbedingt der Straßenglätte wegen.
Manche Menschen, die einem begegnen, grüßen freundlich – manche nicht. Diejenigen, die vor ihren Häusern schon räumen, winken oft solidarisch, wenn sie Leidensgenossen sehen. Mittlerweile sieht man immer mehr sehr verdrossene Menschen, die mit dem Schaber an ihren Autoscheiben zugange sind und vor sich hinmurmeln. Man versteht es nicht wirklich, was vermutlich auch besser ist. Der "Autoanlasser-Blues" erklingt immer noch, jetzt aber unterlegt durch das rhythmische Schrabben der Schneeschaufeln, die je nach Straßenbeschaffenheit weicher oder härter klingen. Die dazugehörige Lichtorgel steuern die städtischen Räumkommandos bei, deren Wägen – mit orangefarbenen Drehlichtern ausgestattet – mittlerweile auch in Sachen Sturzverhütung unterwegs sind.
Wie man in einem Bestseller vor nicht allzu langer Zeit lesen konnte, haben die Grönländer etwa vierzig verschiedene Worte für Schnee, je nach dessen Konsistenz. Schnee ist nicht einfach Schnee, das ist er nicht einmal hier in Deutschland. Mit der Zeit lernt man die verschiedenen Arten kennen und vor allem ihr Verhalten auf dem Straßenbelag. Leichter Pulverschnee, den man schnell entfernen kann, und für den man nicht einmal eine Schneeschaufel braucht. Schwerer Matsch, der unglaublich kraftintensiv zu schieben ist, oder harmlos aussehender Belag, unter dem sich heimtückische Eisglätte verbirgt.
Der Härtefall, der selten vorkommt, ist der, dass man sich den Weg gangbar streuen muss, um vorwärts zu kommen. Einfacher Pulverschnee ist nicht glatt, man läuft fedrig weich darauf und hat eigentlich keine erhöhten Chancen für einen Sturz. Das kommt erst nach dem Wegschieben, dann bildet sich eine Art wässrige Schmiere, die die Chancen drastisch erhöht. Also kommt Streusalz zum Einsatz. Widerliches Zeug eigentlich, aber effektiv, wenn auch nicht gerade umweltfreundlich.
Früher behalfen sich die Leute mit ökologisch unbedenklichem Sand oder sogar Asche, was auch hervorragend funktionierte, aber im letzteren Fall aussah, als sei eine Kohlenzeche in unmittelbarer Nähe. Ordentliche Städter akzeptieren vermutlich diese Variante nicht mehr, zudem sind wohl nur noch sehr wenige Öfen in Gebrauch, die Asche liefern könnten. Höchstwahrscheinlich würde das sowieso gegen irgendeine Bestimmung verstoßen und kommt somit nicht mehr infrage.
Die frühmorgendliche Winteridylle ist jetzt dem normalen Stadt-Image gewichen, nur grauer zu dieser Jahreszeit und eigentlich schmutziger. Der glitzernde Puderzuckerüberzug ist entweder weggeschippt und gefegt, oder von den Füßen der Passanten in Matsch verwandelt, und die Räumkommandos sind auf dem Heimweg.
In früheren Zeiten, als die Hufschmiede die Pferde winterfest machten mit Stollen an den Eisen, da ging es im Winter geruhsamer zu. Auch die Menschen hielten so eine Art Winterschlaf, zumindest in den Dörfern. Es schneite wohl auch länger und heftiger als heutzutage – man war nur unterwegs, wenn man musste.
In den Metropolen, Städten und Gemeinden der heutigen Zeit ist eine jahreszeitlich bedingte Reduktion der Geschwindigkeit nicht denkbar. Die "Maschine Stadt" muss am Funktionieren gehalten werden, und so nehmen an jedem Wintermorgen unzählige "Vermummte" den Kampf gegen den gefrorenen Regen auf, um Stürze, vor allem aber Schadensersatzforderungen zu verhüten, und dafür zu sorgen, dass die Blechlawine nicht ins Stocken kommt. Bis zum nächsten Morgen.
© "Der Kampf gegen den gefrorenen Regen": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2010. Bildnachweis: Bagger als Schneepflug, CC0 (Public Domain Lizenz).
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