|
Die Herausgeber Achim Hildebrand und Michael Schmidt veröffentlichten im Juni 2020 eine weitere Horror-Anthologie: Das Horrormagazin "Zwielicht 14" bietet die gewohnte Mischung aus Kurzgeschichten (teilweise aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt) sowie weiteren lesenswerten Textbeiträgen zu den Themen Horror und unheimliche Phantastik.
Dämmriges Licht, verschwommene Konturen. Die Realität hat einen Riss. Aus ihr heraus treten die unterschiedlichsten Geschichten: Zum Nachdenken anregend, beängstigend, aber auch erschreckend.
Wir freuen uns, vom norddeutschen Schriftsteller Vincent Voss eine Leseprobe aus seiner Novelle "Die dicksten Kartoffeln" vorstellen zu dürfen. Zur Erinnerung: Voss schrieb ab 2012 unter anderem die Romane "172,3", "Faulfleisch", "Töte John Bender" sowie "Ich bin böse!".
"Warum ich?"
"Hein hätte das so gewollt", antwortete Katja. Sie schob das Hallentor auf und Theo stand mit seiner Tochter Melinda und Heinrichs Ehefrau Katja und ihrer Tochter Frauke vor der Werkhalle, die neben den Stallgebäuden für 84 Stück Milchvieh nur einen Teil des norddeutschen Bauernhofes ausmachte. Hein war verschwunden. Er war mit seinem Trecker im Februar zu Protestkundgebungen nach Berlin gefahren und dann einfach nicht wiedergekommen. Seitdem bewirtschaftete Theo zwei Höfe und jetzt war April. April! Theo arbeitete momentan sechzehn Stunden am Tag. Pflügen, düngen, säen.
"Tja, ich weiß nicht." Er blieb skeptisch, betrat die Halle. Hier, zwischen all dem landwirtschaftlichen Gerät, hatten sie oft ein Feierabendbier getrunken und gute Lieder aus dem Radio lauter gedreht. Und jetzt sollte all das in seinen Besitz übergehen? Es fühlte sich für Theo merkwürdig an. So, als gäbe es für Hein keine Hoffnung mehr. Und Theo selbst hatte sie noch. Vielleicht hatte Hein einfach nur einen Rappel bekommen und brauchte Abstand?
Aufhören und den Hof einfach dichtmachen, mit diesen Gedanken schlugen sich derzeit viele Bauern herum. Theo auch. Er durchschritt langsam die Halle und ließ seinen Blick über alle Gegenstände schweifen. Nun mit anderen Augen. Was für Hein wichtig gewesen war, hatte er Theo immer gezeigt, jetzt besaß alles eine andere Bedeutung und Theo spürte so ein Gefühl, dass er wohl haben würde, wenn er endlich mal im Lotto gewänne.
"Kann es denn erst einmal hier stehen bleiben?", fragte er, wandte sich zu Katja um, die mit seiner und ihrer Tochter im hellen Rechteck des Tores nur wie ein Schatten zu sehen waren. Melinda und Frauke, als Bauerskinder so erzogen, dass sie ohne Aufforderung keine Werkhalle betraten, wenn er sich nicht beeilte, würden sie auf die Idee kommen, miteinander spielen zu wollen. Die beiden waren gleichaltrig und unzertrennlich. Theo hatte jedenfalls berechtigte Angst vor einem Unfall, war hier ja auch schon mal passiert. Der zweijährige Altmann-Sohn damals.
Theo wollte umkehren, als ihm an der einen Wand eine Stelle auffiel, wo Hein etwas mit mehreren Planen abgedeckt hatte. Hierhin hatte er Theo auch nie geführt. Theo ging darauf zu, hob die Plane an. Fässer. Lagerte Hein hier etwa Öl? Er zog die Plane so weit zurück, dass die zwei vordersten Fässer frei standen und leuchtete mit seinem Handy. Die Etikette vorne auf den Fässern zeigten sonderbare, ihm unbekannte Symbole. Augen, Wellen, ein Kopf mit Hörnern. Griechisch vielleicht. Theo hatte keine Ahnung.
"Weißt du, was Hein hier in den Fässern gelagert hat?", rief er zu Katja. Hein hatte immer extrem gute Ernten eingefahren. Bei jeder Wetterlage, ganz egal, was er angebaut hatte.
"Das war seine Geheimzutat, so hat er immer gesagt. Keine Ahnung, wo er das herhatte!"
Theo fuhr mit der Hand über ein Fass, kniete sich hin und suchte nach Hinweisen zur Anwendung.
"Weißt du, ob er irgendwo Unterlagen dazu hat?" Theo leuchtete zur daneben stehenden Werkbank und suchte nach Ordnern und Heftern.
"Weiß ich nicht." Er hat immer pro Feld ein Fass genommen. Und es gab zwei Sorten, Dünger und das was Viecher wegmacht. Und er hatte immer für zwei Jahre Vorrat", antwortete sie. Und er hat mir nie etwas verraten, dachte Theo. Theo zog die Plane weg und überschlug die Anzahl der Fässer. Etwas mehr als zwei Jahre, errechnete er.
"Er hätte bestimmt gewollt, dass du das auch für deine Felder benutzt, Theo." Theo lachte trocken auf. Ganz bestimmt hätte er das. Theo ließ die Fässer Fässer sein und ging hinaus.
"Gut", sagte er zu Katja. "Als erstes werde ich mit den Fässern seine Felder düngen, damit ihr beide versorgt seid." Er sah zu Frauke und Katja. Und dann werde ich meine Felder auch damit düngen, dachte er sich. ...
Die Horror-Anthologie "Zwielicht 14" ist erhältlich als Taschenbuch und E-Book. Die Paperback-Ausgabe bietet 291 gruselige Buchseiten (ISBN 979-8656035484). Das Horrormagazin wurde Ende Juni 2020 veröffentlicht. Das Titelbild wurde, wie auch bei vielen anderen Zwielicht-Horrormagazinen, von Björn Ian Craig gestaltet.
Auf der Webseite des Herausgebers Michael Schmidt findet ihr eine Fülle an Informationen zu sämtlichen Zwielicht-Buchausgaben und auch anderen Veröffentlichungen zu den Genres Horror und unheimliche Phantastik.
Das Horrormagazin "Zwielicht 14" enthält Kurzgeschichten von:
Ina Elbracht – Escape Room
Julia Annina Jorges – Puppenspiele
Michael Siefener – Die Fabrik
Karin Reddemann – Weh Mutterherz
Christian Weis – Dante Infernalis
Holger Vos – Skull City
Thomas Kodnar – Lover's Limb
Harald A. Weissen – Wolf ... wer?
Algernon Blackwood – Skeleton Lake (1906)
Vincent Voss – Die dicksten Kartoffeln
Michael Tillmann – Dark Tourism – Endstufe
Sascha Dinse – Mel
Harry Harrison Kroll – Altweibersommer/Fairy Gossamer (1924)
Jesse Franklin Bone – Einfuhrverbot für Horgels (1957)
(die beiden letzten übersetzt von Matthias Kaether)
Weiterhin sind diese Textbeiträge enthalten:
Achim Hildebrand – Legenden des Kannibalismus: Die Bean-Familie
Karin Reddemann – Baby Jane, der große Böse und ein Eispickel im Schädel
Textbeitrag zum Vincent Preis 2019
Horror 2019 – Die Auflistung der Werke Horror und unheimliche Phantastik
Mehr Phantastische Literatur lesen: Horror Kurzgeschichte von Ken Liu: "Laufschuhe"
© "Die dicksten Kartoffeln": Den Herausgebern und den beteiligten Autoren / Autorinnen danken wir herzlich für diese Leseprobe, 07/2020.
Archive:
Jahrgänge:
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Buch-Rezensionen |
Ratgeber |
Sagen & Legenden |
Fantasy Mythologie |
IT & Technik |
Krimi Thriller |
Fachartikel & Essays |
Jugend- & Kinderbücher |
Bedeutung der Tarotkarten |
Bedeutung der Krafttiere
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed