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Vor langer Zeit hatte ich sie mal abonniert, die HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien. Wirklich gelesen habe ich sie eher selten. Denn zu lesen gab es schon damals eigentlich nichts Besonderes. Außer dem, was sowieso schon jeder weiß, bestanden die Neuigkeiten, Verzeihung: News, darin, dass Juroren eines Advertising-Awards, allesamt Vertreter der umsatzstärksten deutschen Werbeagenturen, sich gegenseitig mit Preisen beglückt hatten.
Dann gab es noch eine Rubrik über Persönlichkeiten in der Werbung, in der man erfahren konnte, dass die Praktikantin Anna-Nicole Gunzenberg, die soeben bei Müller & Partner gefeuert wurde, nun eine unwichtige Position bei Meier & Friends bekleidet. Weiterhin Darstellungen über Auflagen von Zeitschriften, die man in jeder Anzeigen-Preisliste übersichtlicher nachlesen konnte.
Nun lag sie wieder bei mir im Briefkasten, als kostenlose Leseprobe, die mich wohl zu einem neuen Abonnement motivieren sollte. Gleich die Schlagzeile, nein: Headline, hat mich umgehauen: "Vertrauen statt Rendite – Die Finanzbranche spricht die gleiche Sprache. Das erhöht die Austauschbarkeit", sagt da die ING-Diba Marketingleiterin Birgit Spors mit grimmig-kompetenter Miene und bekennt dazu gleich, dass sie keine Angst vor Verwechslung hat. Ich weiß zwar nicht, wie "frau" Marketingleiterin einer Bank wird, aber ich hatte eigentlich immer gedacht, dass Marketing-Kommunikation dazu dienen sollte, eigenständige Marken-Persönlichkeiten zu positionieren.
Da der einfache Bankkunde nach bankgemachten Wirtschaftskrisen, die sich die Klinke in die Hand geben, nicht mehr an das von Spors so genannte "Rendite-Gedöns" glaubt, setzt man auf andere Argumente: Fair, offen, transparent. Na, das ist es doch, was schon immer alle wollten. Und das Gute daran ist, dass die Bank sich hier in Allgemeinplätze verliert, womit sie kein Produktversprechen mehr abgibt, das sie folgerichtig auch nicht zu halten braucht.
Ich frage mich nur: Wozu braucht eine Bank dann überhaupt noch eine Marketing-Leiterin? Und wozu braucht diese eine Werbeagentur? Zweitere ist wohl eher der kleinere Kostenfaktor, schließlich freuen sich Heerscharen von Praktikanten darauf, auch mal an einer Kampagne kostenlos mitarbeiten zu dürfen.
Besonders gut in der aktuellen Ausgabe gefällt mir auch ein "Healthcare Marketing Report", dem das Blatt einen sage und schreibe zweieinhalb-seitigen Sonderteil widmet. So heißt es dort, dass eine HORIZONT-Exklusivumfrage des Frankfurter Link Instituts zeigt: Arzt und Apotheke sind beim Kauf von Medikamenten noch immer erste Anlaufstelle. Aha. Das hätte ich so nicht für möglich gehalten.
Vervollständigt wird die Nummer mit Stichpunkten für smarte Small-Talks beim Lunch. VW, MTV und Nielsen präsentieren die Studie "MePublic – A Global Study on Social Media Youth", wo man erfährt, dass "Crewsers" soziale Netzwerke als Treffpunkte sehen. Die Top News des Tages befassen sich mit dem Thema "Adding Value by Design" und den "Gillette Champions". Weiterhin wird berichtet, dass eine "Social Media Mission Control" begehrliche Blicke wecken wird. Auf der Frankfurter Buchmesse debattieren Crossmediale Experten bei der Konferenz "Storydrive" über Best-Practice-Beispiele und in einem Panel über das Thema "Beyond Newspapers and Magazines". Noch mehr harte Facts gefällig? Auf Seite 10 erfahren Sie, dass Daniela Stack ab sofort Abteilungsleiterin für Werbung bei der Deutschen Messe ist.
Eine feste Rubrik nimmt auf der gesamten letzten Seite ein gewisser Spießer Alfons ein, der auf lustige Art versucht, laufende Kampagnen niederzumachen. Offenbar ist Alfons selbstbekennend mit einem eingeschränkten Horizont gestraft, schließlich bezeichnet der deutsche Sprachgebrauch mit diesem Begriff nichts weiter als einen engstirnigen Menschen. Ungünstiger kann man es eigentlich nicht mehr positionieren: Ein Magazin, das sich selbst zwischen dem Titel HORIZONT und einem Spießer am Ende einrahmt. Könnte es vielleicht sein, dass es sich bei Letzterem gar nicht um einen Witzbold, sondern um den Chefredakteur handelt?
In Anbetracht der Tatsache, dass Aussagekraft und Eigenständigkeit etlicher Werbekampagnen immer dünner werden, erscheint das Fachmagazin für die Branche exemplarisch. Mangels thematischer Masse ist es inzwischen im Volumen ebenso dünn, wie es inhaltlich früher auch schon war.
Aber vielleicht habe ich mich nur gründlich in der Annahme geirrt, dass das Blatt überhaupt zum Lesen gedacht ist. Es ist wohl eher als Schreibtisch-Deko gemeint, sowohl für angehende und abtretende Marketing-Manager als auch für Werbe-Genies, die keinesfalls kreativ, sondern natürlich creativ sind und damit zeigen wollen, dass sie im Trend die Nase vorn haben. Deshalb finde ich: HORIZONT sollte wieder dicker werden. Ein ordentlicher Packen Papier, gut sichtbar im Konferenzraum platziert, zeigt dem Kunden, wo der Hammer hängt. Und je weniger er von dessen Inhalt versteht, desto besser.
Am besten, man nimmt einfach hundert Seiten Zeitungspapier und füllt diese mit Blindtext. Natürlich englischsprachig. Das ist ein Must. Damit kann man in Zukunft sogar Kosten für Praktikanten einsparen, die derzeit noch hochmotiviert versuchen, Zeilen zu schinden. Schließlich verschlingen die von ihnen genutzten Schreibtische und Kaffeemaschinen auch eine Menge Geld.
Die Werber hätten nun endlich wieder Zeit, sich ihrer Arbeit zu widmen. Sie müssten nicht mehr ängstlich innerhalb des Horizonts suchen, wo sie eventuelle Trends verpasst haben, sondern könnten getrost wieder über den Tellerrand hinausblicken. Eigentlich die Perspektive, die Kreativität überhaupt erst ermöglicht. Und wenn sie dabei entdecken, dass stylische Claims wie "Because Change Happenz" oder "Delivering Supply Chain Solutions" von nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung verstanden werden, könnten neue Visionen sie erleuchten. Nämlich die, dass in einer Welt floskelhafter Luftblasen hinter dem Horizont die Sprache in ihrem wahren Sinn und Zweck liegt und nur dann Wirkung zeigt, wenn sie verstanden wird und inhaltlich überzeugt.
© Text zu "Hinter dem Horizont liegen die coolen Ideen": Helmut Eberhardt, Eberhardt-Text – Mediaplanung mit dem Skalpell. Computergrafik (unverändert) des Sonnenuntergangs: Dellex (Quelle: Sonne Meer und Möwe, Creative Commons-Lizenz).
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