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Im niederbayerischen Fürstenzell gab es einstmals einen vortrefflichen Abt, einen wahren Mann des Glaubens und Streiter Gottes. Jener war mit Gaben reich ausgestattet und führte das Kloster mit guter Hand und reinem Herzen. Keiner der Brüder hatte Grund zur Klage, alles wurde gerecht bemessen – sei es Lob oder Tadel – und die Gemeinschaft des Klosters war eine wahre Gemeinschaft in Christi.
Nun hätte der Abt zufrieden sein können mit den reichen Gaben, die ihm verliehen waren, doch nagte an ihm im Geheimen eine Trübnis der Seele. Trotz aller Gelehrsamkeit und allen Wissens, trotz der Kunst, die Brüder zu führen, mangelte es ihm an Beredtheit. Seine Predigten waren, trotz des Glaubensfeuers, das in ihm loderte, schwach und ohne Kraft. Die Gabe der Wortgewalt war ihm nicht gegeben, und das war ihm ein schwerer Kummer.
So er den ergreifenden Worten eines Mönches oder Priesters lauschte oder von einer Predigt ergriffen wurde, fühlte er ein dumpfes Neidgefühl in sich aufsteigen, für das er jedes Mal, wenn es über ihn kam, sich selbst die schwersten Bußen auferlegte und Gott demütig um Verzeihung bat. Er arbeitete bis zur Erschöpfung an seinen Predigten, doch so gelehrt und ergreifend sie auf dem Pergament aussahen, so blutleer und monoton kamen sie aus ihm heraus. Der Abt verzweifelte schier an seinem eigenen Unvermögen und versank immer öfter in ein dunkles Brüten, woraus ihm der Glaube und das Gebet immer schwerer zu helfen vermochten.
Eines Nachts arbeitete der Abt bei einem Talglicht wieder über seiner Predigt für den nächsten Tag, dieses Mal verbissener als sonst, hatte doch ein Priester eines entfernteren Konventes eine Gastpredigt gehalten, die begeistert aufgenommen worden war ob ihrer Lebendigkeit und ihres Feuers. Der Abt hatte unter einem Vorwand den Gottesdienst verlassen und war in seine Räume gegangen, wo er schwer mit den Schatten des Neides zu kämpfen gehabt hatte. Er rieb sich gerade die müden und schmerzenden Augen, als er eine Gestalt in der Kammer gewahrte. Der Mönch, so es einer war, trug eine schwarze Kutte und hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen, so dass sein Gesicht völlig im Schatten lag.
Der Abt wollte auffahren, aber da streckte die Gestalt in der Kutte gebietend die Hand nach ihm aus und er sank auf seinen Stuhl zurück. Dann hub der unheimliche Mönch an zu sprechen, mit glatter und angenehmer Stimme. Er wisse um den geheimen Wunsch des Abtes, und er könne diesen Wunsch erfüllen. Mittlerweile hatte nun dieser begriffen, um wen es sich bei diesem nächtlichen Besucher handelte, aber er konnte sich nicht vom Stuhle erheben.
* * * Ende der Leseprobe aus unserem Buch * * *
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© Textbeitrag "Die Legende vom stummen Abt": Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Pilger auf Wallfahrt, CC0 (Public Domain Lizenz).
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