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Sie ist sehr alt geworden, jedenfalls für ihre Zeit. Im vierzehnten Jahrhundert war es nicht unbedingt üblich, ein Alter von 79 Jahren zu erreichen. Man mag sagen, dass Johanna von Flandern, der Herzogin von Bretagne, zu den Privilegierten ihrer Zeit gehörte und somit nicht dem Verschleiß der harten Plackerei ausgesetzt war, der den einfachen Leuten für gewöhnlich ein frühes Ende bereitete.
Das Leben einer Frau im Mittelalter war nicht ungefährlich, auch dann nicht, wenn sie behütet lebte, also von vornehmer Geburt war. Das Kindbett forderte sehr viele Opfer, und Krankheiten, für die man kein Heilmittel kannte, rafften ebenfalls viele Menschen hinweg. Zudem kam der Aberglaube, der in diesen Zeiten an die Stelle des alten Heilwissens trat, welches lange Zeit nur noch in den Klöstern gehütet wurde.
Aber das Leben der Johanna von Flandern (1295–1374) unterschied sich in sehr vielen Dingen von dem der Frauen ihres Standes – zwar hatte sie zwei Kinder geboren und war somit, wie alle anderen Frauen ihrer Zeit vom Tod im Kindbett bedroht, aber sie setzte ihr Leben auch auf dem Schlachtfeld aufs Spiel. So hatte Johanna von Flandern einige militärische Erfolge zu verzeichnen, als sie unter anderem die bretonische Stadt Hennebont verteidigte.
Ihr Ehemann, Herzog Johann IV. von Montfort, war zuvor in französische Gefangenschaft geraten – er hatte sich gegen die französische Krone erhoben und den Bretonischen Erbfolgekrieg damit eingeläutet. Ihm ging es um die Ernennung zum Herrn der Bretagne, was ihm sein Bruder verweigerte. Da er inhaftiert wurde, führte seine Frau Johanna den Kampf um das Land und den Titel für den gemeinsamen Sohn weiter. Dabei verließ sich die damals schon über vierzigjährige Frau nicht auf ihre militärischen Berater, sondern sie übernahm die Verteidigung der Stadt selbst.
Johanna rief die Frauen Hennebonts auf die Mauern und zu den Waffen und soll ihnen geraten haben, ihre "Röcke abzuschneiden" und sich und ihre Heimat selber zu verteidigen. Angetan mit voller Rüstung und bewaffnet trug Johanna Sorge für die Stadt und zeigte, dass sie sehr wohl zu militärischem Denken fähig war. Es wird von einem Ausfall berichtet, den sie an der Spitze ihrer Männer unternahm und dabei ein feindliches Lager vernichten konnte.
Johanna kämpfte nicht umsonst – sie gewann mehr als einen Kampf: den in Rüstung und den auf politischem Parkett. Nach dem Tode ihres Gatten im Jahre 1345 führte sie ihre ständigen Bemühungen um das Erbe für ihren Sohn fort – und tatsächlich wurden dessen Ansprüche anno 1364 mit dem Sieg im Bretonischen Erbfolgekrieg bestätigt. Das sind einige der uns bekannten Fakten, die vor dem historischen Hintergrund auch ohne Ausschmückung äußerst erstaunlich sind. Die Geschichte dieses Erbfolgekriegs ist gut dokumentiert und umfangreich, aber das ist nicht das, was uns hier interessiert. Die Person Johannas bleibt ein Rätsel, es gibt kein Bildnis, das Anspruch auf Authentizität erheben könnte. Ihre Zeit teilte den Frauen ganz eindeutig ihre Rollen zu – und es war mit Sicherheit keine einfache Sache, sich so offen gegen alles zu stellen, was das Leben einer Frau ausmachte.
Dass Johanna in voller Rüstung Kämpfe anführte, klingt mehr als interessant – denn einfach so vom sanft fallenden Frauengewand zum kriegstauglichen Kettenhemd mit eingefügten Platten zu wechseln, klingt weitaus leichter, als es ist. Da Johanna nicht nur als Galionsfigur ihrer Streitkräfte diente, sondern die Rüstung wohl zum größten Teil der Tage trug und sich in ihr sicher bewegen konnte, musste sie einige Übung gehabt haben. Das ist äußerst ungewöhnlich, vor allem, da für Frauen das Tragen von männlichen Kleidungsstücken (dafür kann ein Panzerhemd wohl gelten) als nicht gerade schicklich galt.
Zudem war die Herzogin nicht mehr jung, als sie sich in einen Krieger verwandelte – zumindest nicht, was das Verständnis ihrer Zeit betrifft. Sie muss eine ganz besondere Sicht der Dinge gehabt haben, da sie ihre Geschlechtsgenossinnen zum Widerstand aufrief. Die Stadt muss verteidigt werden, und das muss der tun, der verfügbar ist – das Geschlecht ist nicht die oberste Prämisse dabei. Heute würden die allermeisten Menschen das so sehen ... aber im vierzehnten Jahrhundert sah das anders aus. Woher Johanna diesen Mut nahm und die Fertigkeit zu dem, was sie tat, bleibt wohl ihr Geheimnis – aber manches Große wurde aus Liebe und/oder Pflichtgefühl getan.
Johanna war eine Heldin in mehr als einer Hinsicht – und die Barden haben über sie gesungen. Ein Lied, das ihre Taten besingt, fand den Weg in das Barzaz Breiz, einer berühmten Sammlung bretonischer Balladen.
© "Frauen im Mittelalter: Johanna von Flandern": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Die Abbildung zeigt ein Detail aus einer historisierenden Darstellung der Johanna von Flandern bei der Belagerung von Hennebont 1342; Lizenz: Public domain.
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