|
Der historische Roman der Autorin Heike Wolf spielt in der turbulentesten Zeit des letzten Jahrhunderts. Kaiserreich, Weltkrieg, Revolution und Inflation, Diktatur und Besatzung bilden den Hintergrund für die Erlebnisse, Freuden und Probleme der Schönaus.
Während Charlotte ihren achtzigsten Geburtstag plant und gebannt die Demonstrationen und Umwälzungen in der DDR verfolgt, denkt sie zurück an ihre Kindheit und Jugendzeit in Leipzig. Als Tochter der großbürgerlichen Familie Schönau wurde sie dort 1909 geboren und wächst mit zwei Geschwistern auf.
Die wohlbehütete Kindheit wird durch den Ersten Weltkrieg erschüttert und auch in den turbulenten Jahren der Weimarer Republik erleben die Schönaus, wie sehr sich das Leben gewandelt hat. Mitten in einer politisch instabilen Zeit machen die drei Schönau-Kinder ihre ersten Schritte ins Erwachsenenleben. Während Charlottes Schwester Dorchen die freie Kulturwelt in Berlin genießt, ihr Bruder Heinrich von den falschen Kreisen angezogen wird, erfährt Charlotte selbst die Vielseitigkeit des Studentendaseins und erleidet den ersten schmerzhaften Verlust ihres Lebens.
Das Taschenbuch des ersten Bandes umfasst 372 Seiten und wurde via BoD im Juli 2019 veröffentlicht (ISBN 978-3748141266). "Bürgerin aller Zeiten: Die Schönaus 1913–1933" wurde auch als E-Book herausgegeben.
Luise stand bibbernd in der Schlange vor der Kohlenausgabe. Sie trug ein Winterkleid, eine Strickjacke, einen Mantel und einen Umhang, aber die Januarkälte – es ging bis zu minus 20 Grad – durchdrang jede Kleidung und ihr Köper hat kein schützendes Körperfett mehr. Sorgenvoll sah sie auf die Menschen vor sich – es wäre nicht das erste Mal, dass die Kohlen ausgingen, bevor die Reihe an sie kam. Es sprach kaum jemand, die Leute waren erschöpft und hungrig. Eine Frau gab ihren beiden Kindern mehrere Lebensmittelkarten und schärfte ihnen ein, wo sie hingehen sollten. Luise sah ihr resigniert zu, mittlerweile gab es auch auf die Karten kaum noch Lebensmittel. Die letzten Kartoffeln hatten die Schönaus zu Weihnachten gegessen, einem traurigen Weihnachten, bei dem die Familie in Decken gehüllt bibbernd zusammensaß, um ein karges Mahl zu verzehren. Seitdem gab es fast ausschließlich Steckrüben und das von Luise sorgfältig gehortete Eingemachte war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Luise trampelte leicht mit den Füßen auf dem Trottoir, um sich ein wenig zu wärmen. Ihr war schwindlig, wie so oft in den letzten Wochen. Plötzlich kam Bewegung in die Schlange, Luise hörte lautes Protestieren von mehreren Frauen, eine schrie: "Aber ich brauche de Gohle, de Kinder erfrier'n mir!"
"Nischt mehr da", rief eine Männerstimme, und als die Aufregung der wartenden Frauen größer wurde, rief der Mann: "Ich kann's ooch nich' ändern, es ist nischt mehr da. Gommen Se morgen wiedr."
Luise fiel nicht in die Proteste mit ein, sie wusste, dass es keinen Sinn hatte und nur Energie verbrauchte, was sie sich nicht erlauben konnte. Sie verließ die Schlange und wischte sich eine Träne von der Wange, dann eine weitere und dann folgten so viele Tränen, dass sie kaum noch sehen konnte. Sie ging trotzdem weiter, die tägliche Runde war noch lange nicht beendet. Nun musste sie versuchen, Nahrung zu finden und vielleicht noch etwas, dass sich als Brennmaterial eignete.
Als Luise nach Hause kam, öffnete sich die Türe zum Wohnzimmer einen winzigen Spalt und Lotte schaute hinaus. "Hast du was bekommen, Mutti?"
"Ein Ei und etwas Zwieback. Ist Mathilde schon zurück?"
Lotte nickte. "Hat nischt gekriegt, nur die blöden Steckrüben. Johann hat ein paar Kohlestückchen gebracht, aber nur ganz kleine."
"Ich gehe in die Küche. Mach die Türe wieder zu, die Wärme geht sonst raus."
"Das ist keine Wärme, Mutti." Lottes Worte brachen Luise fast das Herz.
Sie ging in die Küche, wo Mathilde, von mehreren Umhängen umhüllt, Steckrüben in Scheiben schnitt. Die Küche war eiskalt, der Herd wurde nur zum Ankochen genutzt, um Brennmaterial zu sparen, die restliche Garung erfolgte in der Kochkiste.
Auf Mathildes fragenden Blick sagte Luise: "Ein Ei, etwas Zwieback, keine Kohlen."
Dann sank sie auf den Boden. Mathilde stürzte zu ihr. "Frau Schönau!"
"Sehen Sie nach dem Ei, nicht dass es zerbrochen ist", murmelte Luise und schloss die Augen.
Mathilde gehorchte und stellte erleichtert fest, dass das Ei, sorgfältig in einen von Luises Schals eingewickelt, den Sturz überstanden hatte.
"Ist es in Ordnung?" fragte Luise, die Worte kaum verständlich.
"Ja." Mathilde legte das Ei vorsichtig in eine Schale auf dem Tisch und half dann Luise auf. Sie stellte erschrocken fest, dass Luise kaum noch etwas zu wiegen schien.
"Hier, setzen Sie sich erst mal in den Sessel. Sie sind eiskalt! Ich hole Ihnen eine Decke!"
Luise ließ sich in den Sessel sinken und schloss wieder die Augen. Sie fühlte sich fast unwirklich, wie in eine schützende Blase gehüllt, und es war ein angenehmes Gefühl. Sie versank darin, bis Mathildes Stimme unsanft hereinbrach. "Frau Schönau, essen Sie das!"
Langsam öffnete Luise die Augen, es schien ihr, als ob Blei auf ihnen läge. Sie sah Mathilde, die ihr einen dünnen Zwieback mit Steckrübenmarmelade entgegenhielt.
"Nein, das ist für die Kinder", nuschelte sie.
"Sie essen das jetzt! Sie sin' doch gar nich' mehr richdch da!"
Mit viel gutem Zureden, fast Zwang, schaffte Mathilde es, dass Luise den Zwieback aß. Sie seufzte tief. "Und nu hol ich eins von den Einmachgläsern."
"Nicht, Mathilde. Die müssen ..."
"Ich weeß, die müssen reichen. Da ha'm wir aber nischt von, wenn die bis Frühling reichen und wir geene Graft zum Essen mehr ha'm." ...
Lesen Sie mehr im ersten Band der Dilogie von Heike Wolf: "Bürgerin aller Zeiten: Die Schönaus 1913–1933". Hinweis: Der zweite Teil dieses historischen Romans, sowie noch viel mehr Bücher, sind auf dem Autorinnenprofil von Heike Wolf zu finden.
© Buchvorstellung: "Bürgerin aller Zeiten". Der Autorin danken wir herzlich für die Textauswahl aus ihrem Roman, 08/2019.
Archive:
Jahrgänge:
2022 |
2021 |
2020 |
2019 |
2018 |
2017 |
2016 |
2015 |
2014 |
2013 |
2012 |
2011 |
2010 |
2009
Themen:
Bücher aktuell |
Autoren gesucht |
Ratgeber |
Sagen & Legenden |
Fantasy Mythologie |
IT & Technik |
Krimi Thriller |
Fachartikel & Essays |
Jugend- & Kinderbücher |
Bedeutung der Tarotkarten |
Bedeutung der Krafttiere
Noch mehr Bücher lesen (Werbung):
Fantasy & Science Fiction
| Krimis & Thriller
| Ratgeber
| Reise & Abenteuer
Sie schreiben anspruchsvolle Romane und Erzählungen? Wir suchen neue Autorinnen und Autoren. Melden Sie sich!
Wenn Sie die Informationen auf diesen Seiten interessant fanden, freuen wir uns über einen Förderbeitrag. Empfehlen Sie uns auch gerne in Ihren Netzwerken. Herzlichen Dank!
Sitemap Impressum Datenschutz RSS Feed