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Es ist dämmrig in dem großen Raum, nur die auf den runden Tischen stehenden Windlichter schaffen einige Lichtinseln. Der riesige Tresen ist von dem großen offenen Kamin beleuchtet, das Spiel der Flammen spiegelt sich auf dem dunklen, glatt geschliffenen Holz. Alles hier sieht sehr robust aus, eher im rustikalen Stil gehalten. Ich weiß nicht genau, wo ich hier gelandet bin, denn als der Nebel auf der Landstraße zu dicht wurde, habe ich den Wagen stehen lassen und bin ein Stück gelaufen, immer einem etwas diffusen Licht nach.
Dann habe ich dieses Wirtshaus hier gefunden. Wahrscheinlich ist es eine Art Dorfkneipe, alles hier drinnen ist aus Holz gemacht. Sogar die Humpen mit Bier sehen aus wie kleine Fässer, was irgendwie ein ganz guter Gag ist. Als ich mich an den Kerl wandte, der hinter der Theke herumhantiert, hatte ich ein etwas mulmiges Gefühl, denn der sah aus wie der Präsident einer besonders üblen Rockergruppe. Lederweste auf nackter Haut, lange und wirre Haare plus dem Rauschebart. Ich habe nach Kaffee gefragt, aber da glotzte mich der Waldschrat nur an und brummelte irgendetwas in das Gestrüpp, das er um die Lippen trägt.
Dann stieg mir der Duft in die Nase, der von dem großen Kessel herüberweht. Das Gefäß hängt über dem Feuer und etwas verdammt Gutes brodelt darin. Der Haarige folgte meinem Blick und schöpfte mir eine großzügige Kelle voll in eines dieser kleinen Fässer, aus denen alle hier trinken. Ich verzog mich damit in eine Ecke, und hier sitze ich nun und umklammere den Humpen mit den Händen. Das heiße Zeug schmeckt verboten gut, es ist eine Art Glühwein – aber was für eine. Ich genieße diesen Punsch in kleinen Schlucken und sehe mich um. Nachher werde ich den Keeper nach dem Telefon fragen – aber erst einmal wärme ich mich auf.
Der Laden hier sieht gut aus, auf mittelalterlich oder so in der Art hergerichtet. Die Gäste sehen entsprechend aus, fast alle haben lange Haare und Bärte, tragen Lederkluft. Frauen gibt es auch, recht hübsche sogar. Mich beachtet keiner, und das ist mir auch sehr recht. Wo ich genau bin hier, weiß ich nicht, aber das spielt erst eine Rolle, wenn ich meine kältestarren Glieder wieder richtig gebrauchen kann. Für einen Novemberabend war der so plötzlich aufkommende Nebel viel zu eisig und zu dicht. Mein Wagen kann nicht allzu weit von hier sein, höchstens fünf Minuten Luftlinie.
Die Tür fliegt plötzlich auf und mit dem Schwall kalter Nachtluft kommt ein Kerl herein, der einem wirklich Angst machen kann. Ich versuche so unauffällig wie möglich zu sein, denn mit dem da möchte ich keinen Stress haben. Einsneunzig muss der sein, und breit wie ein Schrank. Er stampft an den Tresen und zeigt, dass die Möbel hier wirklich massiv gearbeitet sind, indem er sich auf einen Barhocker krachen lässt. Ohne dass er ein Wort von sich gibt, bekommt er einen Humpen mit Punsch unter die Nase gestellt und nimmt tatsächlich einen Riesenzug von dem heißen Gesöff, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Dann sehe ich, dass der Umhang dieses Goliaths auf einer Seite in Fetzen herunterhängt. Scheint Leder zu sein, das gute Stück, und ich denke mir, er hat vielleicht einen Motorradsturz gehabt oder so etwas in der Art. Er fasst sich ein oder zweimal an die Schulter, so als täte sie ihm weh.
Da kommt eine der Frauen zu ihm nach vorne, lehnt sich an die Treseneinfassung und meint lächelnd: "Hey, was ist passiert – hast du mal wieder jemandem gezeigt, wo der Hammer hängt?" Im Hintergrund kichern die anderen Gäste und ich habe das Gefühl, das jeder hier den Kerl kennt. Der dreht nicht mal den Kopf, sondern knallt den Krug vor die Nase des Wirts auf das Holz. Der versteht das Signal und schenkt eilig nach. Die Schöne, die übrigens recht drall ist, sagt dann noch: "Dein Umhang ist ziemlich hinüber, ist ja hammermäßig."
Jetzt klingt Gelächter auf und der Große stürzt den frischen Punsch hinunter. Die Adern an seinem Hals schwellen an und sehen aus wie junge Baumwürzelchen. Aber immer noch sagt er kein Wort. Ich vergesse zu trinken, weil ich beobachte, was vor sich geht. Fasziniert frage ich mich, was hier gespielt wird und wieso sich alle auf den Kerl da einschießen. Dann spricht eine Stimme, die angenehm dunkel klingt. Ein Schatten löst sich aus dem Hintergrund und wird im Licht zu einem alten Mann mit zusammengebundenem weißen Haar. Er trägt eine Augenklappe und setzt sich neben den hünenhaften Neuankömmling. Der nickt grüßend und steckt seine Nase wieder in den Humpen vor ihm, als eine fröhliche Stimme zu hören ist: "Heute Nacht sind wir aber sehr still, ist ja hammerhart." Jetzt brandet so richtiges Gegröhle auf und Muskelmann fährt herum.
Da mischt sich die kurvige Dame wieder ein und sagt: "Komm schon, wir wissen doch alle, dass du einen Hammer hast." Jetzt kreischen alle vor Lachen, und der riesige Kerl gerät in ein Zucken, das auf mich wirkt wie ein epileptischer Anfall. Erst denke ich, gleich wird er zum Amokläufer werden, der Große – dann sehe ich, dass er lacht. Er schüttelt sich geradezu vor Gelächter und haut der Drallen dabei auf den Hintern. Eine weniger gut gebaute Frau hätte dieser "Tätschler" wohl auf die Bretter geschickt, aber diese hier verliert nicht einmal das Gleichgewicht. Dann haut Muskelberg dem weißhaarigen Einäugigen ebenso liebevoll auf die Schulter, und der Greis steht wie aus Blei gegossen.
Was sind das hier für Leute, und vor allem, wo bin ich hier? Und als der Riese, vom Lachen erschöpft, noch einmal den Humpen ansetzt, sagt die Frau lachend zu ihm: "Hast uns foppen wollen, was? Ich dachte schon, du hättest deinen Humor verloren, Thor."
© "Hammerhart – und breit wie ein Schrank": Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2011. Die Abbildung des Thor ist ein Detail aus einem Gemälde von Marten Eskil Winge aus dem Jahr 1872, Lizenz: gemeinfrei).
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