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Musik ist etwas Wunderschönes – und fast alle Menschen lieben sie. Und dafür, dass wir alle, so oft wir wollen, Musik genießen können, haben findige Köpfe gesorgt. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es keine Tonträger gäbe: Musik könnte nur da gehört werden, wo sie live gespielt wird – eine andere Möglichkeit gäbe es nicht. Also wären Leute, die ein Instrument spielen, gesuchte und geschätzte Zeitgenossen. Wäre es nicht schwierig für unsere verwöhnte Generation, sich das vorzustellen?
Wir sind gewohnt, dass praktisch aus jedem Fenster Musik oder zumindest etwas Ähnliches klingt, das von irgendeinem Tonträger stammt. Jeder Supermarkt berieselt uns damit und aus jedem zweiten Auto dröhnt der Groove. Das gehört allerdings weniger in die Sparte "Musikliebhaber", sondern hat wohl irgendetwas mit unverständlichen urbanen Ritualen zu tun – aber immerhin verschafft es uns einen Überblick über die momentanen Charts. Dass die Jugend immer weniger ansprechbar wird, liegt nicht mehr zum Großteil am Generationskonflikt, sondern an diesen winzigen Ohrhörern, die an ebenso winzigen Geräten hängen, welche sagenhaft viel Musik speichern können. Tatsächlich hat sich die Umwelt in Bezug auf das Hörerlebnis in den letzten hundert Jahren zügig und auch oft verändert.
Mit der Erfindung des Grammophons in den 1880er-Jahren konnte Musik auf einmal überall gehört werden, nicht nur in Konzertsälen, bei Volksfesten oder Straßenmusikanten. Wo keine Hausmusik gepflegt wurde, herrschte sonst im privaten Umfeld Stille ... mit der Schallplatte – zunächst aus Schellack – änderte sich das allerdings. Diese Dinger brachten etwas Unerhörtes zustande – man konnte die Musik mit nach Hause nehmen und so oft hören, wie man wollte.
Das spröde Material der Schellackplatten erforderte zwar eine äußerst pflegliche Behandlung, aber das verstand sich bei den Kosten der ersten Scheiben und Abspielgeräte wohl von selbst. Die zerbrechlichen Platten wurden ab Mitte der 1950er-Jahre durch solche aus Vinyl ersetzt – und die wurden schnell zur Massenware. Sie konnten zwar verkratzen und waren auch recht hitzeempfindlich, aber doch weitaus pflegeleichter als ihre Vorgänger.
Plattenläden schossen wie Pilze hoch und jedes Kaufhaus hatte eine große Schallplattenabteilung. Vor allem wurde die ganze Angelegenheit mobiler, es gab kleine Plattenspieler, die man mitnehmen konnte. Die großen Musiktruhen verschwanden nach und nach und machten der Stereoanlage mit allen Schikanen Platz. Diese Teile wurden für viele junge Leute zu einer Art Hausaltar, und so mancher verbrachte Stunden damit, den Klangdiamanten ausfindig zu machen – damit ist der Schnittpunkt gemeint, der sich ergibt, wenn die Lautsprecherboxen optimal angebracht sind und der den ultimativen Stereosound ergibt; dabei geriet die Musik für einige Stereofans zur Nebensache. Neben den Schallplatten war damals auch ein tolles Tonbandgerät Pflicht. Man konnte damit stundenlang Musik hören, ohne Nadeln austauschen zu müssen oder so etwas wie einen Plattenwechsler zu bemühen.
Man lud auch keine Mädchen mehr dazu ein, sich die Briefmarkensammlung anzusehen – dafür gab es nämlich die Beatles, und überhaupt alles, was gerade "in aller Ohr" war. Dazu kam in den 1960er-Jahren etwas Neues auf den Markt: die Musikkassette. Eigentlich sollte das kleine Teil mit den Spulen eine Verbesserung darstellen, denn man brauchte keine Nadeln zum Abspielen und auch nicht so viel Platz zum Unterbringen der Sammlung. Tatsächlich schlugen die neuen Tonträger ein wie ein neues Album der Rolling Stones und begannen, die Schallplatten zu verdrängen. Allerdings hatten die Dinger so ihre Macken, denn unempfindlich waren sie nicht. Es gab öfter einmal "Bandsalat", dann war die Kassette hin.
Die Rekorder waren einigermaßen günstig und auch als Einzelgerät zu haben. Allerdings waren die Stereoanlagen nun nicht mehr mit Plattenspielern, sondern mit Kassettenrekordern ausgerüstet. Zudem wurden die Anlagen kleiner – das Statussymbol "Lautsprecherbox" schrumpfte nun auf eine erträgliche Größe und beherrschte nicht mehr das Wohnzimmer. Aber das nur nebenbei – was der wirkliche Vorzug der kleinen Magnetbändchen ausmachte, war die Möglichkeit, sie selber zu kopieren. Viele Kassettendecks hatten zwei Player, wirklich praktisch für das Überspielen. Es war auch möglich, vom Radio aufzunehmen und selber die "handgemachte" Musik zu speichern. Allerdings war es ratsam, immer einen Bleistift zur Hand zur haben, um manuell zu spulen, wenn der Rekorder sich mal wieder weigerte.
Nachdem wir uns recht und schlecht mit den kleinen rechteckigen Dingern beholfen hatten, tauchte um 1980 die CD auf – und die war es dann wirklich. Relativ unempfindlich, günstig und platzsparend wie kein Tonträger davor. Abspielbar mit Computer oder Disc Player – überall einzusetzen und sogar kopierbar. Tragbare Geräte gab es natürlich auch sehr schnell – wie bei fast allen Vorgängern. Und während wir hier noch die Vorzüge dieser kleinen Scheiben preisen, sind schon längst noch viel winzigere Teile auf dem Markt und in jeder Hosentasche ... kleine Datenträger mit riesiger Kapazität für Musik und auch Video.
Musik ist heute etwas, das überall ist – kein Vergleich zu den vergangenen Jahrhunderten, wo nur die Reichen und Mächtigen oft in diesen Genuss kamen, und wo die einfachen Leute ein kleines Konzert zum besonderen Anlass als ein außergewöhnliches Erlebnis ansahen. Vielleicht freute man sich in den kleinen Ansiedlungen das ganze Jahr über auf die Zeit der Jahrmärkte, wo die Musikanten aufspielten und es Tanz gab. Es ist etwas Gutes, dass Musik für jeden da ist und niemand darauf verzichten muss. Das Einzige, was vielleicht die Freude daran ein klein wenig trübt, wäre die Tatsache, dass man nicht mehr allzu viel Menschen in den Straßen musizieren hört – und auch dann nur, wenn sie eine Genehmigung in der Tasche haben.
© "Schellack und die Freiheit der Musik": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustrationen: Thomas Alwin Müller, littleART.
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