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Nolan steht tief atmend in seiner Box, die Augen geschlossen und die Arme ausgestreckt. Seine Füße stehen auf der "Disc", einer kleinen Schwebeplattform. Die Helfer legen gerade letzte Hand an und klinken die Spangen ein, die um die Füße gelegt werden und diese mit der Plattform fest verankern. Das leise Surren ihrer kleinen Schweber dringt beruhigend in Nolans Ohren, er nimmt die Unterlegung wahr, die von draußen kommt, von der größten Airfight Arena, die es je auf diesem Planeten gegeben hat. Wie ein Unwetter brodelt es, es ist purer Antrieb für das Adrenalin, das durch Nolans Adern jagt und ihn alles riskieren lässt.
Ein Disc Fighter, der abstürzt, ist erledigt, niemand interessiert sich mehr für ihn. Aber das macht meist nicht viel aus, denn wer so etwas überlebt, wünschte meist, er wäre nicht wieder aufgewacht, falls er noch seine Sinne beisammen hat. Hier in der kontinentalen Metropole ist die Höhe für die Fighter nur durch die Technik beschränkt, anders als in den kleineren Arenen der Provinzen, wo es mehr um Spaß geht als um alles andere. Aber dort wird auch nicht so hoch gewettet wie hier, wo jemand durchaus sein gesamtes Vermögen verlieren kann. Es ist wie ein Rausch, nicht nur für die Fighter. Wer einmal zu lange der Arenaluft ausgesetzt war, der kommt nicht mehr davon los. Es geht ins Blut, dieses kollektive Anspannen und Schreien, diese gewaltige Masse von Lärm, Geschwindigkeit und Menschen.
Nolan schaut in den Spiegel, den ein Helfer ihm vorhält. Er hat sein Trikot bedachtsam gewählt, in grau und weiß. Er setzt nicht auf Farbeffekte wie viele andere Flieger, er will, dass man ihn mit den Augen sucht. Ihn, den Favoriten des Tages. Der Helm ist eisgrau und bildet eine glänzende Fläche, abgesehen von dem schwarzen Visier, das in das Material eingelassen ist. Der Anzug selbst ist aus hochelastischem Kunststoff, eher eine Haut als ein Kleidungsstück und von so großer Dichte, dass es wirkt wie Lack. Nolan nutzt alles aus, was den Luftwiderstand senkt, wie alle Fighter.
Die Jungs auf ihren winzigen Schwebern haben ihn nun verlassen, seine Box ist leer bis auf ihn. In wenigen Sekunden wird die Metallschranke zur Seite schwenken, um ihn durchzulassen, ebenso wie das in allen dreißig Boxen gleichzeitig geschehen wird. Sein Förderer hat eine, selbst für diese Arena, aberwitzige Summe auf Nolan gesetzt. Allein diese Tatsache hat dazu geführt, dass viele Zuschauer abgewiesen werden mussten, weil die gigantische Anlage hoffnungslos überfüllt war.
Aber Nolan denkt an etwas anderes, er denkt an den Titel. Denn nur darum geht es heute. Trägt er den Sieg davon, ist er der Meister ... das gilt für die Erde ebenso wie für die benachbarten Kolonien. Ein gewaltiger Gong ertönt nun, und Nolan steuert seine Disc mit fast unmerklichen Verlagerungen seiner Schultern und Hüften aus der Box und in das Oval der Arena. Zigtausendfache Rufe begrüßen die dreißig Fighter, die langsam in einer Linie zur Mitte schweben, wo ebenso viele hübsche Mädchen auf herzförmigen Plattformen eben aufsteigen und je auf einen der Männer zufliegen, in ihren ausgestreckten Armen die Kampfstäbe. Die Kontinentalhymne ertönt, und feierlich ergreift jeder Fighter seine Turnierwaffe. Die Stäbe sind genormt, was Länge und Gewicht betrifft – die Farben passen meist zum Trikot, so wie bei Nolan. Sein weißgraues Instrument ist unauffällig gegen manch anderen, dessen Besitzer unnötige Spielereien wie Lichter oder Funken um das verdickte Ende spielen lässt.
Ein ovaler Farblaserring, im Durchmesser nur um wenige Fuß kleiner als die gesamte Bodenfläche, wandert bis zur richtigen Höhe. Wer mit seiner Disc diese optische Barriere in Richtung Boden passiert, muss das Feld verlassen. Bei diesem Kampf wird es nur einen Ersten geben – keinen Zweiten und keinen Dritten. Es wird so lange gekämpft, bis ein einziger Mann den Luftraum beherrscht. Dann ist es auf einmal still, so still, als schwebe man über einen ruhigen See – aber Nolan weiß, dass nach dem Signal ein Tosen wie zwanzig Tsunamis losbrechen wird. Jeder brüllt, feuert seinen Favoriten an. Er wird es nicht wahrnehmen, denn in hunderten von Kämpfen hat er gelernt, diese Stimme aus tausend Mündern zu ignorieren. Und er hat die allermeisten Kämpfe bestanden, er ist der älteste aktive Fighter überhaupt. Und er weiß, dass sich viele der jungen Flieger heute an ihn heften werden, um die eisgraue Legende stürzen oder zumindest versagen zu sehen. Sie werden im Rudel angreifen, um sich dann ebenso erbittert gegenseitig zu bekämpfen wie vorher ihn.
Nolan lächelt ein wenig hinter seinem Helm, denn es ist nicht das erste Mal – aber heute gilt es. Er hört den Ton, der das Turnier eröffnet, nicht bewusst, aber sein Körper reagiert sofort wie ein hochempfindliches Relais. Seine Disc ist hochgestiegen und er dreht der Meute schon die Vorderseite zu, als die noch im Aufsteigen begriffen ist. Es kommt, wie er es dachte – sie greifen ihn im Verband an. Das ist eigentlich verboten, aber die ständig stattfindenden Zweierrangeleien verwischen den Kollektivangriff, lassen ihn nicht allzu sichtbar werden. Das aber sind die letzten Gedanken, die er an etwas anderes als den Kampf verschwendet – jetzt ist er eins mit seiner Scheibe, seine Arme wirbeln den schweren Stab, als wäre er ein Spielzeug.
Einer der anderen trudelt, ein Treffer hat ihn mitten in einem gewagten Manöver aus der Bahn geworfen – der Fighter versucht, seine Plattform hochzureißen, aber die Unterkante ist über dem Laser. Er ist raus. Für diesen hat das Turnier nicht lange gedauert. Nolans Körper reagiert wie ein Präzisionsinstrument der Mikrochirurgie, er ist nicht greifbar. Zwei Flieger stoßen hart zusammen, an dem Punkt, an dem er noch einen Sekundenbruchteil vorher war, einer schwankt bedenklich, sein Flug wirkt abgehackt. Es gibt keinen Schiedsrichter, der den Mann aus dem Kampf nehmen könnte – er muss selbst entscheiden, ob er weitermacht. Nolan spürt, dass der Fighter schwer angeschlagen ist, umfliegt ihn elegant. Kurz darauf liegt der Verletzte auf dem Boden, er konnte seine Scheibe nicht mehr halten. Rettungsleute flitzen auf ihren roten, pfeilförmigen Boards auf den Liegenden zu, zwischen sich eine Medoplattform. Nolan kämpft, er sieht nicht die Farben der Trikots ... gelb, rot, irisierend – er sieht nicht die Körper. Wie eine Maschine, die mit anderen Maschinen interagiert, um deren Zerstörung zu erreichen, so arbeitet sein Körper.
Nun haben sie den Rudelangriff aufgegeben, denn einige greifen diejenigen an, die eine Schwäche zeigen, um die Zahl der Fighter zu verringern – den Champion kann man später noch angehen, wenn niemand mehr dazwischen steht. Nolan ist fast dankbar dafür, obwohl sein von Adrenalin hochgeputschter Körper vibriert vor Kraft. Zwei, drei geraten unter die Markierung und müssen raus – ein weiterer landet auf dem Boden und bleibt liegen. Wie viel Zeit vergangen ist, weiß er nicht und es ist ihm auch gleichgültig. Alles zusammen, der Orkan der Stimmen, das Zischen der Discs bei einem gewagten Manöver und das dumpfe "Klonk" der Kampfstäbe machen die Melodie, nach der Nolans Herz schlägt und immer schlagen wird. Das ist es, was er fühlt und was er will. Sonst gibt es nichts hier und jetzt.
Fünf sind noch in der Luft, und das geschmeidige Ballett, das sie aufführen, ist ein verklärter Tanz des Kampfes. Jeder Einzelne gegen jeden Einzelnen, von denen jeder nach Deckungsfehlern sucht. "Swutsch", ein Schrei – zwei Plattformen sind ineinander verkeilt. Die Discs sind beschädigt, verlieren an Höhe – und das ist das Aus. Ein kurzes Bündnis der zwei letzten gegen Nolan – er hebelt aus, lässt sich sinken – fliegt eine atemberaubende Schleife und fasst einen Fighter im Rücken. Der wirbelt herum, vergisst den Dritten und liegt von dessen Hieb mit dem Stab fast horizontal in der Luft. Nolan schlägt zu und wie ein Kreisel saust die Disc dem Boden zu. Der Flieger fängt sich noch im letzten Moment, ist aber viel zu weit unten und verliert. Dem letzten Gegner fehlt Nolans Erfahrung, er starrt einen Sekundenbruchteil zu lange dem Stürzenden nach. Der Stab des Champions trifft die Fußspangen mit aller Gewalt und verursacht einen sonderbaren Salto. Nolan verhakt seinen Stab zwischen den metallenen Füßen des Gegners und drückt ... drückt nach unten, schiebt die Disc mit aller Macht. Der andere ist hilflos, kann nicht mehr manövrieren. Dann ist die Lasermarkierung erreicht ... Aus. Nolan weiß es, fühlt es und lässt den Flieger vom Haken, steigt auf und hebt mit beiden Händen seinen Stab.
Die Arena ist wie ein Vulkanausbruch, es ist höllisch – es ist das, was er braucht. Als die Massen sich endlich einigermaßen beruhigt haben, läuft das Siegerzeremoniell ab – Plattformen rauschen in die Arena, Nolans Gönner umarmt seinen Champion immer wieder – es ist wie ein Rausch von Ton und Farbe. Dann begleitet man ihn in die Räume der Kämpfer und schließt das Tor hinter ihm. Der Arzt macht einen Check mit dem Bodyscanner und nickt, verabreicht aber einen Shot mit einem leichten Beruhigungsmittel. Dann winkt er alle hinaus, bis auf den wartenden Helfer. Der kreist nun sanft auf seiner kleinen Plattform um Nolan, löst die Fußspangen. Geschickt nimmt er den Wechsel zu Nolans Standardplattform vor, stützt dessen Körper, bis er die Füße an den Spangen fixieren kann.
Nolan hat die Augen geschlossen und lässt es geschehen – aber wie so oft kommt ihm dabei ein sonderbarer Gedanke. Als vor langer, langer Zeit die Menschen ohne Plattformen auskamen, als sie noch Beine hatten: Wie mögen ihre Wettkämpfe da wohl ausgesehen haben?
© "Die Plattformkämpfer – Disc Fighter": Erzählung von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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