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Manche Bücher können bezaubern, in genau diesem Sinne des Wortes. "Mein zauberhafter Garten" von Sarah Addison Allen ist so ein Buch – die Geschichte verlässt einen nicht wieder, und das ist auch gut so. Im Grunde ist es eine Geschichte um das nach Hause kommen.
Die beiden Waverley-Schwestern machen da so ihre Erfahrungen – eine der Frauen hat eine lange Reise hinter sich und muss die Liebe zum Daheim erst einmal entdecken. Die andere Schwester war immer im Ort, aber auch nicht so ganz zu Hause. Das findet sie, als ein anderer Mensch auftaucht. Natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte – aber die ist nicht das Wichtigste in diesem Roman. Sanfte Hexenkunst oder vielleicht auch nur Kräuterwissen zieht sich durch das Buch: Die ältere Schwester macht besondere Speisen für Feste, mit Kräutern und Blumen, die das Innere ansprechen und die Dinge ein wenig ... sagen wir, zurechtbiegen können.
Außerdem gibt es da noch diese ältere Dame, die einen Großteil ihres Lebens damit verbracht hat, Menschen irgendwelche Dinge zu bringen. Das kann ein Stück Pappkarton sein, ein Dosenöffner oder etwas ähnlich Triviales – manchmal wartet die nette Nachbarin stundenlang auf der Veranda, um so ein Stück zu überbringen. Sie muss es einfach tun, es ist eine Art Eingebung. Und der so Beschenkte kann sicher sein, dass er sogar ein ganz unglaubliches Utensil kurz darauf brauchen wird. Es ist jedes Mal wie ein kleines Bausteinchen des Schicksals, und die Bewohner des kleinen Ortes nehmen das auch hin – fast jeder hat schon Erfahrungen mit den Gaben der netten Dame gemacht und hütet sich davor, sie nicht anzunehmen.
Der eigentliche Star der Geschichte ist allerdings ein Baum, genauer gesagt, ein Apfelbaum, der auf dem Grundstück der Waverley-Schwestern steht. Dieser erstaunliche Obstspender macht sich auf eine für Bäume sehr außergewöhnliche Weise bemerkbar: Er wirft mit seinen Früchten. Es macht einen geradezu neckischen Eindruck, wenn der Baum wie wohlgezielt seine Äpfel in der Gegend herumwirft. Allerdings sammelt die ältere Schwester die Früchte ein und vergräbt sie. Denn der Apfelbaum hat ein Geheimnis: Wer einen Apfel isst oder auch nur anbeißt, sieht in einer flüchtigen Vision das wichtigste Ereignis seines Lebens – ob das nun erst stattfindet oder auch schon geschehen ist.
Es ist eine gefährliche Sache, solch ein Wissen plötzlich und unerwartet zu erlangen – in gewisser Weise handelt es sich um den Baum der Erkenntnis. Die plötzliche Vision kann mit gewaltigem Ruck Dinge geraderücken, vielleicht auch zunichte machen und zerstört mit Sicherheit so manche Lebenslüge. Deshalb will es Claire Waverley, die Eigentümerin des Gartens, auch nicht darauf ankommen lassen und sorgt dafür, dass niemand einen Apfel nimmt.
Gerade diese besonderen Früchte retten allerdings der jüngeren Schwester das Leben – sie floh mit ihrer Tochter vor ihrem gewalttätigen Mann. Als der sie letztendlich aufspürt, wirft der Baum ihm einen Apfel zu. Der Mann beißt genüsslich hinein, um seine sorglose Überlegenheit zu demonstrieren, um kurz darauf in heller Panik zu flüchten. Was er gesehen hat, wird nicht erzählt – aber er wird inhaftiert wegen einiger Vergehen. Außerdem nimmt der neu hinzugezogene Nachbar so ein Apfelgeschenk an, und was er sieht, ist einfach die schöne Bewohnerin des Nachbarhauses. Er nimmt die Vision einfach an – die Begegnung wird die Krönung seines Lebens sein.
Die kleine Tochter der jüngeren Schwester kommt übrigens hervorragend mit dem Baum aus, ihr zuliebe verzichtet er sogar auf das Werfen ... wahrscheinlich will er einfach nur lieb gehabt werden und meint es mit seinen Gaben nicht böse – das denken die Frauen zumindest am Schluss.
Die ganze, wunderschön humorig und intensiv erzählte Geschichte ist voll von unglaublich liebenswerten magischen Dingen, die den Menschen begegnen. Die Heilkräfte der Natur sind ein Thema, das Miteinander der Menschen und ihre vielen Stärken und Schwächen, das Loslassen und Gewinnen. Schenkfreudige Bäume und alte Damen, die selbstlos dafür sorgen, dass das Schicksal nicht ins Leere greift, weil ein Eierschneider fehlt oder ein Paketband ... die liebenswerten Einfälle sorgen für eine märchenhafte Stimmung, ohne in Rührseligkeit oder Kitsch zu versinken. Dafür ist die Geschichte zu klug und zu spannend erzählt – und von Zuckerguss kann nicht die Rede sein.
Wer sagt, dass Erwachsene keine Märchen brauchen? Wer diesen Roman liest, wünscht sich, dass es tatsächlich so einen Ort gäbe und dass dort Wohnungen leer stehen. Das Leben ist voller zauberhafter Geheimnisse.
© Text und Foto zur Rezension "Mein zauberhafter Garten – Gartenkultur einmal anders": Winfried Brumma (Pressenet), 2012.
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