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Alles, aber auch alles scheint der Mode unterworfen – nicht nur Kleider, sondern auch Spielzeug, Körperkultur und sogar Haustiere. Diese Letzteren trifft die flüchtige Beliebtheit besonders, denn auch bei ihnen gibt es einen Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage. Leider, muss man sagen – denn ein aus der Mode gekommenes Kleidungsstück, Möbel oder Brillengestell kann ohne weiteres entsorgt werden und sorgt allenfalls für höheres Müllaufkommen. Betrifft das "aus der Mode kommen" allerdings Lebewesen, sollte das nicht so einfach sein.
Noch etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sah man nicht allzu viele verschiedene Hunderassen in den Städten oder Dörfern. Was da beim abendlichen Spaziergang so an der Leine geführt wurde, wirkte überschaubarer als das heute der Fall ist. Da unterschied man die allseits beliebten Dackel in einigen Variationen wie Lang- oder Drahthaar. Eigentlich Jagdhunde, waren die kurzbeinigen und anerkannt eigensinnig charmanten Wonneproppen oft in der Begleitung gesetzter Herrschaften in Loden.
Schneidige Leute hatten einen Deutschen Schäferhund an der Leine, ein forsches und verspieltes, sehr oft auch ausgebildetes Tier. Die gab es auch in mehreren Spielarten, mit langem oder kurzem Fell und auch in verschiedenen Farbschlägen. Nicht zu vergessen den Boxer – ein wirklich sehr schöner Hund, was man erst so richtig erkennt, seit das Kupieren von Schwanz und Ohren verboten ist. Winzige Spitzohren und ein fehlender Schwanz vermittelten ein eher gedrungenen Eindruck, sie wirkten wie geballte Muskelkraft. Waren sie auch, wenngleich sie als sehr familienkompatibel galten.
Ein Foxterrier gehörte in die Riege der Dackel, jedenfalls was die menschlichen Rudelmitglieder betraf. Man sah sie überall, fesch getrimmt und selbstbewusst neben ihren menschlichen Begleitern einherlaufen. Damen mochten Pudel, und die gehörten absolut zum Straßenbild. Das gilt für beide – auch für die Damen. Pudel waren meist hübsch geschoren, trugen einen pudeltypischen Allerweltsschnitt. Großpudel, Mittelpudel und der plötzlich so beliebte Zwergpudel sorgten für Umsätze in den Hundesalons. Hart an den Hinterläufen hing ihnen der Cockerspaniel, was die Beliebtheit anbetraf. Der musste nicht getrimmt werden und konnte mit einem unschlagbar seelenvollen Blick punkten. Als exotisch galt der Collie, der seit den Lassie-Filmen, die im Fernsehen liefen, immer mehr Liebhaber fand. Aber im Großen und Ganzen waren die Bellos, Lumpis und Hassos überschaubar. Schon kleine Kinder kannten die verschiedenen Rassen und es war nicht allzu kompliziert.
Dann ging es Schlag auf Schlag – die Züchtergemeinden hatten Langeweile und verlegten sich auf das Kreieren neuer Modelle. Der Zwergpudel zum Beispiel war den Designern nicht mehr zwergenhaft genug, und so erschufen sie den Toy-Pudel. Der war tatsächlich noch kleiner, noch putziger und konnte einem noch viel mehr leid tun. Denn dieser Spielzeughund, das ist ja schließlich die Bedeutung des Namens, wurde auch dementsprechend behandelt. Das arme Hündchen trug Mäntelchen, die sündhaft teuer waren, strassbesetzte Halsbändchen und musste sich sogar einfärben lassen – passend zu Frauchens Haarfarbe oder Garderobe. Das winzige Tierchen wurde nicht als Hund behandelt, sondern mehr als ein Maskottchen.
Man sah immer mehr Exoten in den Straßen – plötzlich kamen Afghanen in Mode. Prachtvoll stolz einherschwebende, große Windhunde mit schönem Fell wurden in den Innenstädten spazieren geführt. Das sah einfach unglaublich elegant aus, kann aber nur verwundern – denn was ein Windhund in der Stadt und überwiegend an der Leine zu suchen hat, ist nicht nachvollziehbar. Niemand ist in der Lage, einem solchen Tier nur annähernd den Auslauf zu bieten, den es braucht, wenn er in einer Etagenwohnung lebt und den Hund niemals von der Leine lassen kann. Dies interessierte allerdings niemanden, denn auch diese Tiere wurden von vielen als modisches Accessoire behandelt. Die Afghanen verschwanden wieder aus der Wahrnehmung, sie machten Dalmatinern, Doggen, Irischen Settern und Riesenschnauzern Platz. Kaum hatte man sich daran gewöhnt, waren diese Rassen schon wieder selten zu sehen.
Die Molosser tauchten auf – es gab Leute, die tatsächlich glaubten, einen Mastino Napoletano halten zu müssen – praktisch den Nonplusultra-Kampfhund. Ein solcher Riese zernagt keine Sesselbeine, er frisst eine Couch. Und er ist kein Hund für Modelaunen. Andere molosserartige Neuheiten bevölkerten nun die Hundemeilen und mutierten irgendwann zu Listenhunden. Das lag mehr an den Menschen als an den Tieren, aber die Hunde haben nun ihren Ruf weg.
Am anderen Ende der Züchterwahnskala waren die Winzlinge aufgetaucht. Noch kleiner und noch winziger – das wurde zum obersten Gebot. Yorkshire Terrier waren größte Mode – kleine Tierchen, die manchmal sogar ein Schleifchen tragen mussten, damit sie durch ihr dichtes Fransenpony sehen konnten. Mittlerweile sind sie völlig out – denn es gibt ja noch kleinere Hundchen. Da wäre zum ersten einmal der Chihuahua – so etwas wie ein Zwergpinscher (die sind ein Dauerbrenner), der einem Schrumpfstrahl ausgesetzt wurde. Eigentlich als Rattenjäger gezüchtet, wurden diese Hunde immer mehr verkleinert und ihr Kopf immer runder selektiert, was zwar süß aussieht, aber einer Missbildung gleichkommt. Trotz diesen massiven Eingriffen (eigentlich ist diese Rasse ursprünglich nicht so klein gewesen) sind sie Hunde – wenn man sie denn lässt und nicht als interaktives Spielzeug benutzt.
Aber da so viele Leute so ein Hundchen haben wollten und man sie immer häufiger sah – also Winzlinge in Mode kamen – betrat der Pommernspitz den Gassilaufsteg. Er ist ebenso winzig, sieht aber aus wie ein Chihuahua, der mit seiner Zunge zu nah an eine Steckdose geraten ist. Ein ultimatives Flauschbündel mit riesigen Augen und einem entzückend runden Köpfchen: also unwiderstehlich. Ein Pommernspitz ist das wandelnde Kindchenschema. Das Schlimme daran ist, dass gute Rassen kaputtgezüchtet werden, um einem überzogenen Design angepasst zu sein. Die praktisch nach innen gezüchtete Schnauze der Möpse war ursprünglich nicht ganz so flach, weswegen diese sehr intelligenten und hübschen Hunde weitaus weniger Atemprobleme hatten. Der kugelförmige Schädel der ganz kleinen Rassen ist sehr anfällig – die Fontanellen wachsen dadurch nämlich nicht richtig zu und machen den Schädel empfindlicher.
Ist ein Hund richtig in Mode, will jeder ihn haben – so kommt es, dass ein agiler und lauffreudiger Border-Collie als Gassihundchen in einem Apartment gehalten wird, dabei verblödet und aggressiv wird. Wer unbedingt einen Weimaraner haben will – einen ausgezeichneten Jagdhund – sollte mehr als einen Vorgarten zu bieten haben und dazu auch einen Aufgabenbereich für den Hund. Was bleibt, wenn die große Modewelle vorbei ist, sind kaputtgezüchtete Rassen, die kaum mehr gesunden können.
Es kann jede Rasse treffen – eine neue ebenso wie eine uralte. Wer Tierheime besucht, kann ganz leicht erkennen, was vor etwa einem Jahr der Modehund war. Denn eine auffällig große Zahl davon wartet in den Boxen auf ein neues Zuhause.
© "Spitz-Findigkeiten – Hundezucht aus Langeweile. Hunde als modisches Accessoire?": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2012. Die Abbildungen zeigen einen schwarzen Mudi (oben), sowie einen Kroatischen Schäferhund (unten); Lizenz: gemeinfrei / Public domain.
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