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Was nun genau hässlich ist, liegt nicht an demjenigen, der so bezeichnet wird. Es liegt immer, aber auch wirklich immer an den anderen. Trends halten sich nicht mehr lange heutzutage – sie versickern allzu schnell in den Kanälen, die von den Massenmedien gegraben werden. Outfits und Styling – also Kleider, Frisuren oder Make-up (das können nicht allzu viele Leute noch schnell korrekt übersetzen), zeigen auch kaum mehr so etwas wie Persönlichkeit an.
Das Zelebrieren von Diktaten, was das Aussehen betrifft, braucht heutzutage mehr als ein Ventil – und da ist das Internet genau das richtige Instrument. Wo früher die Häme wegen nicht angesagter Klamotten wenigstens auf die Clique beschränkt war, kann man jemanden als hässlich – also nicht dem momentanen Zeitgeschmack unterworfen – vor Tausenden von Menschen vorführen.
Die momentanen "must haves" sind die "no goes" von morgen – das war schon immer so, aber die Intervalle waren noch nie so kurz wie heute. Mädchen in Hüfthosen und mit hippen Tattoos, die das Stadtbild maßgeblich prägten, wurden rasant zu Speckbarbies mit Schlampenstempel bzw. Arschgeweih. Über Hosen in mehrfacher Übergröße mit auf dem Pflaster schleifender Schrittpartie lachten heimlich schon immer Leute – heute sind diese Mehrpersonenzelte für den Unterkörper der Brüller.
Wo früher der Haaransatz der in allen Nuancen von Gelb schimmernden Mähnen verräterisch dunkel war, sieht man heute erstaunt, dass eine Art Negativaufnahme den Platz der wasserstoffblondierten Köpfe ersetzt hat. Scheinbar ist schwarz gefärbtes Haar jetzt das, was man trägt. Und es sorgt dafür, dass man sich die Nächte nicht mehr wirklich um die Ohren hauen oder auf harten Drogen sein muss, um auszusehen, als wäre das Tageslicht etwas, das man sehr selten zu Gesicht bekommt.
Man könnte es schulterzuckend abtun, aber das Cybermobbing von nicht angepassten Menschen nimmt immer mehr bizarrere Formen an. Auf vielen Internet-Plattformen gibt es so eine Art Vorführspaß, der darin besteht, dass man Bilder von Menschen postet, die nicht gerade dem gängigen Schönheitsideal entsprechen – die also nicht intervallkompatibel sind. Dabei fühlt man sich selbst wie das absolute Top-Model.
Um darauf zurückzukommen: in den Zeiten als noch die Köpfe zusammengesteckt wurden und über jemanden gelästert wurde, der nicht so ganz dem Trend entsprach und sich trotzdem in die Schule, Disco oder Fußgängerzone traute, war dieses Verhalten schon bezeichnend. Unsichere Teenager werteten sich selber auf dadurch. Das war eine Art Reflex, der das Erwachsenwerden begleitete und mit der Zeit verschwand. Man tat das, weil man selber so fürchterlich unsicher war ... aus keinem anderen Grund. Aber bei denjenigen, die solche Spaßbilder ins Internet stellen, handelt es sich erstaunlicherweise selten um pubertierende Teenager – es sind Erwachsene. Das ist zuweilen schwer zu glauben, liest man die Kommentare unter diesen Posts. Und sie heften sich damit ein gut sichtbares, virtuelles Schild an die Stirn: "Ich bin unsicher, ich habe Minderwertigkeitsgefühle, und ich bin nicht bereit daran zu arbeiten."
Schade – hier haben Menschen den Weg, der zu einer eigenständigen Persönlichkeit führt, nicht wirklich hinter sich gebracht, soll heißen, dass sie dem Wahn des Angepasstseins immer noch verfallen sind. Also dann doch lieber "hässlich", aber selbstbestimmt?
© "Cybermobbing und das Schönheitsideal": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Druck ausüben, CC0 (Public Domain Lizenz).
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