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Kranzmann hielt seine Werkzeuge in Schuss, das stand fest. Und für seinen Job, seinen verdammten Job, brauchte er das Beste, das er kriegen konnte. Mit verkniffenem Gesicht wischte er vorsichtig die kleine Videokamera ab, die er normalerweise über der Wohnungstür an einer Halterung befestigt hatte. Seine Frau, Christa, starrte ihn wie immer verständnislos an – aber was wusste die schon. Ein Mann muss für seine Sache kämpfen, das stand fest. Und das würde er tun, bei Gott das würde er.
Angefangen hatte es vor einem halben Jahr. Christa hatte das natürlich nicht bemerkt, sie konnte ja nicht über ihre Einbauküche mit Ceran-Kochfeld hinaussehen. Den Rest ihrer Aufmerksamkeit hatte ihr Putzjob – weiter ging da nichts. Aber Kranzmann war da anders: er war auf der Hut!!!
Anfangs war er noch versucht gewesen, zu glauben, die Rollschuhe seien aus Versehen auf dem Plattenweg zu den Garagen stehen gelassen worden. Da war er naiv gewesen. Aber das würde nicht mehr vorkommen. Aber als er denen auf die Schliche gekommen war, gemerkt hatte, dass diese Dinger Teil eines Anschlags auf seine Gesundheit oder sogar sein Leben waren – da hatte er Maßnahmen ergriffen. Christa hatte gelacht, als er ihr das erzählt hatte. Klar, die sentimentale Kuh wurde wabbelweich bei Kindern. Aber er wusste, dass das alles Teil eines perfiden Planes war.
Die Gören von denen taten, was man ihnen sagte – und wenn seine dusselige Ehehälfte auf das Grinsen und das "Guten Tag, Frau Kranzmann" hereinfiel, war das ihre Sache. Sie würde ihm noch dankbar sein, dass er ihr Leben gerettet hatte. Seit die hier wohnten, hier im Haus, hatte es stetige Veränderungen gegeben. Schleichend, das war das Wort, das Kranzmann dazu einfiel. Die Mülltonnen zum Beispiel ... seit nahezu vierzig Jahren hatten sie in einer Reihe gestanden, wie auf eine Schnur gezogen. Aber Kranzmann musste immer öfter feststellen, dass da geschludert wurde. Die graue Tonne stand vor, die braune schräg im Winkel ... nicht allzu auffällig, aber eben doch sichtbar und somit gegen die Ordnung. Und natürlich immer dann, wenn die da oben dran waren mit den Tonnen.
Dann dieser Geruch – es zogen Schwaden vom zweiten Stock herunter, die Kranzmann als sehr verdächtig einstufte. Ein leichter Brandgeruch, dazu ein Beigeschmack von irgendetwas Chemischem. Wer wusste schon, was die da zusammenbrauten? Kranzmann hatte gehört, dass Bauanleitungen für Bomben ganz leicht zu bekommen waren. Das traute er denen da oben zu – die hatten Probleme mit der Ordnung. Wenn Christa auch gemeint hatte, dass er sich beruhigen solle – und dass es nur nach chinesischem Essen riechen würde. Am Anfang hatte er das nicht so bemerkt – auch wenn der Mann schon so aussah wie einer, der gegen alles und jedes war. Sah man schon an seinem Auto – irgend so ein japanisches Modell. Wer so was fuhr, unterminierte den deutschen Markt – das war nun wirklich klar. Und das Weibsstück mit den streichholzkurzen Haaren und der durchdringend lauten Stimme trat ja auf wie ein Kerl.
Mit denen STIMMTE etwas nicht – das war nicht mehr zu übersehen gewesen. Kranzmann war nicht so dumm, wie sich Christa das vielleicht dachte – wenn er auf die von oben traf, machte er auf ebenso freundlich wie die, keine Frage. Durch die kleinen Plaudereien erfuhr er so einiges – zum Beispiel dass die dürre Schlampe in einem Biokostladen arbeitete. "Bingo", hatte er gedacht, "das passt ins Bild." Körnerfresser waren das, solche Alternativen nämlich. Kranzmann war empört darüber, dass es so etwas wie Alternativen zur gewohnten Ordnung geben sollte – das war völlig unmöglich. Der Kerl mit seinem Terroristenbärtchen war bei einer Zeitung angestellt – mit Sicherheit so ein Kommunistenblatt. Und dann standen diese Rollschuhe auf dem Weg, waren die Tonnen kreuz und quer in den Unterstand gestopft, und vom Balkon oben hingen sonderbare Ranken herunter. Christa hatte nur den Kopf geschüttelt, als Kranzmann davon gesprochen hatte, dass man vielleicht einen vom Rauschgiftdezernat kommen lassen sollte, um das Zeug zu identifizieren.
Nach vielen durchwachten Nächten hatte Kranzmann die Lösung gefunden: die da oben, das waren Schläfer. Kommunisten, die getarnt als Familie im Land lebten und für die Russen oder sonst einen feindlichen Staat spionierten. Irgendwann würde man sie aktivieren – und dann würden sie zuschlagen. Christa wurde richtig wütend, als er das sagte – aber sie wusste nicht, dass sie gute Aussichten hatte, in ihrem Bett ermordet zu werden von denen da oben. Das waren ganz gefährliche Typen. Aber sie hatten nicht mit Kranzmann gerechnet – der hatte ihre Tarnung durchschaut. Nur Kleinigkeiten waren das gewesen, Dinge, die niemand sonst bemerkte. Der knallrote Stoffhund im Auto auf der Rücksitzablage, der manchmal durch einen weißen Teddybären ersetzt wurde. Das waren Signale. Kranzmann kannte sich da aus, er hatte schon FILME gesehen, wo das so gemacht wurde.
"Die sind doch eine wirklich ruhige Familie, was regst du dich auf", sagte Christa manchmal – und da hatte sie sogar recht. Die waren viel zu ruhig – zwei Gören sollte man doch hören, oder nicht? Nicht ein einziges Mal musste Kranzmann die Treppe hinaufgehen und an die Wohnungstür klopfen, weil der Fernseher oder die Musik zu laut waren. Das war so verdächtig, dass sogar Christa das hätte merken müssen. Aber die hielt die Blagen für gut erzogen – dabei gehörte das alles zum Plan. Kranzmann wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Seit einer Woche trug er den Tarnanzug, den er in einem Militaria-Laden günstig bekommen hatte. Sein Rheuma protestierte zwar, als er seine Füße in die Schnürstiefel zwang, die zur Ausrüstung gehörten, aber da musste er nun einmal durch.
Er hatte Filmmaterial von vielen Stunden gesammelt – und jetzt würde er das Material an die Kripo schicken. Völlig von seinen Gedanken an die Operation "Spionageabwehr" gefangen, nahm er nur langsam wahr, dass Christa mit verschränkten Armen vor dem Couchtisch stand, auf dem er sein Material ausgebreitet hatte. Sie sah sehr ärgerlich und auch sehr ungeduldig aus – eigentlich gar nicht wie Christa. "Werner", zischte sie, "Werner, ich weiß nicht, was du willst. Das sind die besten Mieter, die wir je hatten, und du benimmst dich wie ein Idiot."
© Textbeitrag "Kranzmanns Mission": Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Bildnachweis: Blaue Tonnen, CC0 (Public Domain Lizenz).
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