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Das Dämmerlicht reichte kaum bis zu den Wänden aus grob behauenem Stein, auf denen rinnende Feuchtigkeit verlogenen Glanz hinterließ. Alle Helligkeit konzentrierte sich auf die Mitte des Raumes, wo ein Tisch aus Brettern aufgestellt war und an dessen vier Enden Fackeln in dort angebrachten Haltern steckten. Die Gestalt, die sich über den Tisch beugte, raunte mit fiebrig klingender Stimme Wort auf Wort.
Eine schwarz behandschuhte Hand strich zart über Haut, immer und immer wieder: "Ahhh ... Milla, Eure Haut ... Eure teure Haut ... wie sehr hatte ich mich danach gesehnt, sie berühren zu können. Das Schicksal, Kind, spielt es nicht seltsam mit uns? Nun wird alles so geschehen, wie Ihr es gewünscht habt, und vielleicht erhört Ihr mich dann?"
Die Stimme wurde lauter, kreischend fast, und trieb mit ihrem Klang einen bösen Blitz durch die Dunkelheit, die sich um den Tisch sammelte. Vor der von innen verriegelten Tür stand eine Wache, ein junger Mann noch, in Lederpanzer und Helm. Als die Burg genommen worden war, endlich eingenommen vor zwei Tagen, hatte der ehrenwerte Magus Werandar seinen Lohn gefordert für seine Arbeit. Ohne die Hilfe des Zauberers wäre die Feste nicht eingenommen worden, jedenfalls nicht so schnell. Den Männern des Herzogs schmeckte das nicht so gut wie ihrem Herrn, denn Werandar war von der Sorte, die einem einen kalten Schauer über den Rücken trieb, ging man an ihm vorbei und hatte das Unglück, seinen Blick auf sich zu ziehen. Außerdem war Kriegshandwerk die eine Sache – Hexerei eine andere.
Der Herr der Burg war ein Vertreter des Landadels und nicht bereit gewesen, des Herzogs Wunsch zu willfahren und sein kleines Kastell zur Verfügung zu stellen als steinernen Spielstein im gerade stattfindenden Spiel um Land und Macht – und da der Bauernritter, wie er verächtlich genannt wurde, nicht über die Mittel verfügte, um sich Gefolgsleute zu kaufen, verlor er alles. Erst die Herrschaft über seine Heimstatt, dann das Leben. Die kleine Feste hatte sich gut gehalten, aber gegen die Magie dieses Hexers gab es keine Verteidigung. Widernatürliche Blitze, plötzlich faulendes Wasser und Vorräte, die in Flammen aufgingen – es hatte nicht allzu lange gedauert.
Werandar, der Hofmagus, war sehr interessiert gewesen, als er hörte, was für eine Belagerung anstand. Er bot seine Hilfe an – für eine ganz bestimmte Bezahlung. Der Herzog hatte mit den Schultern gezuckt und genickt – Weiber hatte er genug, es kam nicht darauf an. Wäre es um Gold gegangen, wären seine Gnaden nicht einverstanden gewesen – er hütete seine Kriegskasse gut. Doch wenn der alte Ziegenbock (das sprach der Herzog nicht aus in Gegenwart des Magiers) die Tochter des Bauernritters haben wollte für eine kurze und billige Belagerung – an ihm sollte es nicht liegen.
Nachdem die Burg eingenommen war, führte Werandar die Männer des Herzogs zu den Waffenkammern und dahin, wo der bescheidene Etat des Besiegten zu finden war. Er kannte die Feste sehr gut, der Hexer. Und er ließ sich die Tochter des rasch hingerichteten Ritters bringen. Deren Augen wurden groß, ihr Gesicht bleich. Und mit tonloser Stimme sagte sie nur ein Wort: "Ihr!"
Der Magier hatte seine Vorbereitungen getroffen, ein Kellerverlies herrichten lassen und sich mit dem Mädchen dahin zurückgezogen. Der Herzog winkte Zustimmung und kümmerte sich um wichtigere Dinge. Nur einmal hatte er flüchtig in das Gesicht der Gefangenen geblickt, und ihre gestammelten Bittworte, die sie mit angstvollen Blicken in das gierige Gesicht des Hexers hervorgebracht hatte, mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht.
Drei Tage lang hatte Werandar das Verlies nicht verlassen, Essen und Wein ließ er sich bringen. Dass der Herzog eine Wache abstellte, kümmerte den Magus nicht – er hatte sich eingeschlossen mit seiner Beute. Die herzogliche Wache spuckte angewidert aus, der Mann hatte einiges gehört, seit er vor der Tür aus grobem Holz stand. Dinge, die er lieber vergessen wollte – und die er nicht verstand. Sie hatte am ersten Tag geschrien, einmal nur, und dem Wachsoldaten war es kalt den Rücken hinuntergelaufen. Was immer der Alte mit dem Mädchen trieb, es war etwas Ungutes, Böses. Es ging nicht darum, sich an dem Weib zu ergötzen, es ging um mehr als das – und es war widerlich.
Drinnen, im Schein des wie blutig tanzenden Fackellichtes strich Werandar immer noch über die Haut Millas, strich verzückt über jede blutbedeckte Stelle, die vor ihm lag. "Weißt du noch, meine Schneeflocke, was du mir geantwortet hast, damals, als ich dich fragte, was dich hindere, mir die Hand zu reichen und mit mir zu gehen? Es wäre nicht mein Alter, hattest du gesagt, du Täubchen ... auch nicht mein hässliches Gesicht, sondern nur die Pflicht deiner Familie gegenüber hielte dich zurück. Du hattest Angst vor mir, obwohl ich noch nicht der war, der ich heute bin. Und du hast gelogen, oh wie du gelogen hast, du Füchsin. Du hast mich nicht gewollt, und gewunden hast du dich wie eine Schlange, die auf einem Bratrost zu liegen kommt. Der alte Narr hat mich hinausgeworfen, mich, Werandar ... und ich ging fort, um zum größten Magus des Reiches zu werden."
Der Hexer verfiel in eine Art Fistelton, als er in grotesker Nachahmung greinte: "Oh, bedrängt mich nicht weiter, ich werde keine andere Antwort geben können. Ach wenn Ihr doch in meiner Haut stecken würdet, dann könntet Ihr mich zumindest verstehen." Mit dem ihm eigenen dumpfen Raunen sprach Werandar dann weiter: "Hab ich dir nicht versprochen, dass ich wiederkommen würde, Milla? Und dass ich mit dir abrechnen würde, du weißarmige Hexe? Deine Wünsche sind in Erfüllung gegangen, meine Geliebte. Vor allem dieser eine."
Mit einem plötzlichen lauten Aufschrei, der zu triumphierendem Gelächter wurde, fasste der Hexer mit beiden, vor Blut triefenden Händen nach dem, was auf dem Tisch ausgebreitet lag und raffte es an sich. Dann stürmte er zur Türe und löste die Riegel, stob an der erschrockenen Wache vorbei auf den Mauergang – wo jeder ihn sehen konnte, wie er sich mit unheimlichem Gelächter immer wieder im Kreis drehte, den zerfetzten blutigen Umhang aus Menschenhaut mit beiden Händen um sich raffend.
© "Liebe die unter die Haut geht": Kurzgeschichte von Winfried Brumma (Pressenet), 2013. Die Abbildung zeigt ein Detail aus dem Gemälde Häutung des Marsyas von Tizian (um 1570–1576); Lizenz: Public domain.
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